In der neuen Regierung Perus werden sowohl progressive als auch reaktionäre Ansätze vertreten.
Noch Anfang des Jahres hatte kaum jemand mit einem Wahlsieg des neuen linken Hoffnungsträgers Perus, Pedro Castillo, gerechnet. In der ersten Runde der Präsidentschaftswahl im April landete der Dorfschullehrer und Gewerkschafter der marxistischen Partei Perú Libre überraschend auf dem ersten Platz. Dabei profitierte er zum einen von der Wirtschaftskrise, die seit 2019 im Land herrscht, und von der großen Unzufriedenheit mit der etablierten politischen Klasse. Ein Großteil der Politiker*innen ist in Korruptionsaffären verstrickt, und die Covid-19-Pandemie traf das südamerikanische Land härter als die meisten Länder der Region.
Knappes Ergebnis. Zum anderen spielte Castillo im ersten Wahlgang in die Hände, dass viele Kandidat*innen angetreten waren – 17 an der Zahl. So reichten ihm gerade einmal knapp 19 Prozent der Stimmen, um den ersten Platz zu belegen. Zweite wurde mit gut 13 Prozent die rechtskonservative und wirtschaftsliberale Politikerin Keiko Fujimori. Die Tochter von Alberto Fujimori, der Peru zwischen 1990 und 2000 diktatorisch regierte, stilisierte sich fortan als Anti-Castillo-Kandidatin und vermeintliche „Retterin vor dem Kommunismus“.
Im Juni, in der Stichwahl, setzte sich Castillo schließlich mit 44.000 Stimmen Vorsprung knapp durch. Versuche Fujimoris, 200.000 Stimmen von Castillo annullieren zu lassen, schlugen fehl.
„Diese Regierung tritt an, um mit der Bevölkerung zu regieren“, verkündete Castillo in seiner Antrittsrede am 28. Juli, dem 200. Jahrestag der Unabhängigkeit Perus. Als eines seiner wichtigsten Ziele erwähnte er die Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung. Zudem sprach er sich für die Beseitigung kolonialer Strukturen im Staat und eine Aufwertung des indigenen Erbes, eine gerechtere Rohstoffpolitik, die Verbesserung des Gesundheits- und Bildungssystems und die Bekämpfung der Korruption aus.
Fragwürdige Positionen. Aber er wiederholte auch fragwürdige Aussagen aus dem Wahlkampf, wonach „kriminelle Ausländer“ das Land innerhalb von 72 Stunden zu verlassen hätten. Dies richtet sich vor allem gegen Migrant*innen aus Venezuela.
Für Polemik sorgte anschließend auch die Ernennung von Guido Bellido zum Ministerpräsidenten. Gegen ihn läuft ein Verfahren wegen „Verteidigung des Terrorismus“, weil er sich in einem Interview positiv auf die Guerilla „Leuchtender Pfad“ bezogen hat, auf deren Konto in den 1980er und 1990er Jahren zehntausende Tote gingen. Kurz nach seiner Ernennung weitete die Justiz zudem Ermittlungen wegen Geldwäsche auf ihn und weitere Mitglieder von Perú Libre aus. Auf Twitter verbreitete Bellido zudem frauen- und homofeindliche Äußerungen.
Linksliberale Mitstreiter*innen. Castillo selbst gilt gesellschaftspolitisch als äußerst konservativ, so berief er nur zwei Frauen in sein Kabinett. Die Koalition mit dem Mitte-Links-Bündnis „Juntos por el Perú“ (Gemeinsam für Peru) wirkt bisher jedoch als Korrektiv. Denn: Anahí Durand aus diesem Bündnis ist als langjährige Kämpferin für Frauen- und LGBTIQ-Rechte bekannt und die neue Ministerin für Frauen und vulnerable Gruppen, so die offizielle Bezeichnung.
Und: Der Wirtschaftsminister Pedro Francke, ein renommierter, moderat-linker Ökonom, der ursprünglich „Juntos por el Perú“ beraten hatte und kurz vor der Stichwahl zu Castillos Berater wurde, sprach sich nach seiner Ernennung sowohl deutlich gegen den „Leuchtenden Pfad“ als auch gegen Homofeindlichkeit aus.
Minderheit im Kongress. Wohin der Kurs der neuen Regierung genau geht, wird sich wohl in den nächsten Monaten zeigen. Ihre Zusammensetzung ist – abgesehen von den unterschiedlichen Ansätzen – auf jeden Fall ein Novum: Erstmals stammt die große Mehrheit der Minister*innen nicht aus der (weißen) Elite der Hauptstadt Lima. Den größten Rückhalt hat Castillo im ländlichen, indigen geprägten Andenraum sowie im dünn besiedelten Amazonas-Tiefland.
Wie sehr die Bündnispartner „Perú Libre“ und „Juntos por el Perú“ ihre politischen Ziele wirklich durchbringen werden können, ist aber fraglich. Im Parlament (in Peru der „Congreso“) kommen sie gemeinsam nur auf 42 von 130 Sitzen, die Mehrzahl haben Abgeordnete von der politischen Mitte bis Rechtsaußen inne.
Das ist auch deshalb relevant, weil das Parlament über das Kabinett abstimmen muss und unter bestimmten Bedingungen Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident*innen durchführen kann. In den vergangenen fünf Jahren hatte Peru vier unterschiedliche Staatsoberhäupter.
Wie lange sich Castillo an der Macht halten kann, wird sich zeigen. Vor einer Woche ist bereits Außenminister Héctor Béjar wegen umstrittener Äußerungen zurückgetreten. Im November 2020 und im Februar 2021 soll er die peruanische Marine und den US-Geheimdienst CIA für das Entstehen der Guerilla Leuchtender Pfad verantwortlich gemacht haben.
Tobias Lambert arbeitet als freier Autor, Redakteur und Übersetzer überwiegend zu Lateinamerika. Er twittert unter @lambert_to.
Berichte aus aller Welt: Lesen Sie das Südwind-Magazin in Print und Online!
Mit einem Förder-Abo finanzieren Sie den ermäßigten Abo-Tarif und ermöglichen so den Zugang zum Südwind-Magazin für mehr Menschen.
Jedes Förder-Abo ist automatisch ein Kombi-Abo.
Mit einem Solidaritäts-Abo unterstützen Sie unabhängigen Qualitätsjournalismus!
Jedes Soli-Abo ist automatisch ein Kombi-Abo.