„Pessimistisch, aber hoffnungsvoll“

Von Michaela Krimmer · · 2005/02

Der aus Syrien stammende, in Deutschland lebende Schriftsteller Rafik Schami begeistert derzeit mit einer Erzähltournee zu seinem neuen Buch „Die dunkle Seite der Liebe“ sein Publikum. Mit Schami sprachen für das Südwind-Magazin Michaela Krimmer und Friedrich Ofner.

Südwind-Magazin: Welches ist Ihr Lieblingswerk?
Rafik Schami:
Das ist immer das jüngste Buch, weil die Ängste vor dessen Erscheinen sehr groß sind. Es ist wie bei der Schwangerschaft mit einem Kind. Die Geburt ist ein Wunder des Lebens. Das Buch ist ein Wunder der Kunst. Das Allerschlimmste wäre, dass kurz vor dem Erscheinen irgendjemand ein Buch mit einem ähnlichen Thema veröffentlicht. Und das eigene Buch, so genial es auch sein mag, ist dann zweiter Guss. Alle diese Ängste sind nach der Veröffentlichung weg, und es entsteht eine Art Erleichterung und Liebe zu diesem Neugeborenen. Man ist glücklich, dass es angekommen ist und akzeptiert wird.

Erzählen Sie uns etwas zur Entstehungsgeschichte Ihres neuen Romans „Die dunkle Seite der Liebe“!
Das schwierige Thema zwang mich immer wieder, Pausen einzulegen, um zu recherchieren. Ich bemerkte oft, wie dünn der Boden unter meinen Füßen wurde. Man denkt, man ist als Araber fähig, über alles Arabische zu schreiben. Doch das ist ein großer Irrtum.
Das war aber das kleinere Problem. Das größere Problem war, eine Form zu finden, die das Ganze spannend erzählt. Ohne Mitleid und ohne Parteinahme für die Liebenden. Ein Schriftsteller ist schlecht beraten, wenn er sich in seine Figuren verliebt – er muss vielmehr eine gewisse Distanz halten, damit das Buch zu einem Kunstwerk wird. Ich habe viel damit experimentiert, die passende Form zu suchen, zu schauen, wie ich diese verbotene Liebe erzähle. Und dann bin ich auf die Mosaiksteinchen-Technik gestoßen. Jede Geschichte ist in sich geschlossen, und der Roman besteht aus 304 Geschichten, die miteinander ein Gemälde ergeben. Das brauchte aber 20 Jahre.

Ihr Buch beschreibt die 1.000 Arten der verbotenen Liebe in Arabien. Das widerspricht dem europäischen Bild vom arabischen Liebesleben.
Ich wollte mich nicht an die Klischeebilder der Europäer halten. Ich wollte zeigen, wie sinnlich man in der arabischen Welt lebt – aber alles im Versteckten. Die öffentliche Ordnung ist tatsächlich rigide, kalt, fern jeder Sinnlichkeit. Die Verschleierung der Frauen ist eine Abschottung des Körpers. Die Lebendigkeit des Orients wird damit ausgelöscht. Ich musste also erzählen, was meine Heldinnen und Helden erleben; ich musste erzählen, was ich selbst erlebt habe; ich wollte nicht erzählen, was man von mir erwartet. Ich wollte mich auch nicht dem anderen Extrem unterwerfen: der Orient als Ort der unterdrückten Wünsche eines gut erzogenen Katholiken in Europa.
Meine Frage war: Was ist das für eine Gesellschaft, die Helden wie Rana und Farid hervorgebracht hat? Die Araber haben eine Kultur, die sie die Erde nicht als Ort des Leidens erleben lässt wie wir Christen. Die Christen haben auf der Erde nichts zu genießen, damit sie später im Jenseits genießen können. Die Araber halten davon nichts. Sie kennen keinen Beichtstuhl, wo die Leute klein gemacht werden. Sie waschen sich, und damit ist ihre Seele rein. Der Körper wird der Seele gleich gestellt. Wäscht du deinen Körper, so wäscht du deine Seele.

Wie sehen Sie den Konflikt zwischen Israel und Palästina? Was könnte ein nächster Schritt zu einem Friedensprozess sein?
Der nächste Schritt wäre, dass sich die Palästinenser nicht über die Nachfolge von Arafat zerstreiten. Das ist der erste Schritt, der liegt allein bei den Palästinensern. Als zweites muss sich Sharon von der Idee trennen, er könnte die Palästinenser mit der Faust zum Schweigen bringen. Dadurch wird alles nur noch schlimmer.
Meine Vision ist bescheiden: Erstmals sollte Stille einkehren, eine Pause. Die Truppen zurückziehen. Die Palästinenser erst einmal zur Wahl kommen lassen. Der Kreislauf von Anschlag und Gegenschlag muss gebrochen werden. Wenn die israelische Führung aufhört, alle Palästinenser als Verbrecher zu betrachten, sondern ihnen die Hand reicht und ihnen entgegenkommt, hat die Hamas keinen Grund mehr, einen Anschlag zu verüben. Es gibt in Israel eine breite Basis für einen Kompromiss.
Die Medien in Europa berichten so, als wäre die ganze Bevölkerung für den Krieg. Das stimmt nicht! Die Bevölkerung ist müde und will ihre Ruhe haben. Und deshalb ist der Augenblick für eine Versöhnung jetzt gekommen. Ich bin pessimistisch, aber hoffnungsvoll.

In Frankreich wurde in öffentlichen Schulen ein generelles Kopftuch-Verbot erlassen, auch in Deutschland wurden zum Teil heftige Diskussionen darüber geführt. Wie stehen Sie der Kopftuch-Debatte gegenüber?
Ich sage nicht: Ich bin für das Tuch, oder ich bin gegen das Kopftuch. Ich sage: Kümmert euch um die Kinder, die ohne Deutschkenntnisse in die Schule kommen. Lehrt die Kinder die Kultur der Demokratie, und sie werden sich selbst gegen das Kopftuch aussprechen.
Die muslimischen Männer sollen ein Kopftuch tragen, die sind ja verführerischer als ihre Frauen! Das ist ja nicht zu ertragen, diese schönen Männer ohne Kopftuch!
Der europäische Humanismus ist noch nicht ausgeschöpft mit seinen Werten, mit seiner Achtung vor der Freiheit des Menschen. Aber Humanismus und Demokratie bedeuten nicht Laschheit gegenüber antidemokratischen, reaktionären und frauenfeindlichen Ideologien. Ganz im Gegenteil. Und so wie der demokratische Staat ganz effektiv und höchst modern die Banken schützt, so muss er die Demokratie beschützen. Sie ist wertvoller als alle Banken zusammen. Sie ist der Garant seines Bestehens, die Banken nicht immer! (lacht)

Der islamische Fundamentalismus wird oftmals als Bedrohung der westlichen Werte dargestellt. Wo orten Sie den Ursprung dieser Feindschaft?
Der islamische Fundamentalismus wird in Europa überschätzt. Durch den Aktionismus dieser kleinen Gruppen kommen sie immer wieder in die Medien. Das ist eine kleine, aber sehr gewalttätige, sehr aktive Minderheit.
Der Fundamentalismus besteht nicht im Glauben. Die unteren Schichten in Ägypten zum Beispiel sind sehr gläubig; aber nicht fundamentalistisch. Die Fundamentalisten sind eine dünne Schicht von Akademikern, die frustriert sind, sehr klug sind, und die wissen, dass sie nicht an der Macht in ihren Ländern teilhaben können. Und so fingen sie an, grundsätzliche Fragen zu stellen: Warum scheiterte die Demokratie in Arabien? Warum gibt es keine Entwicklung? Und sie suchten nach einem Feind, genauso wie der Westen nach einem Feind suchte. Zufälligerweise fanden sie sich gegenseitig. Man kann jeden Bürger hier gegen den Islam hetzen, weil der Islam mehrmals an die Türen Europas geklopft hat. Auch 200 Jahre Kreuzzüge sind noch immer präsent in den Köpfen der Europäer.
Auf der anderen Seite mussten die Fundamentalisten unter den Arabern nicht viel tun, um die Europäer als die Erzfeinde darzustellen. Sie werden als die Ursache allen Scheiterns in der arabischen Welt gesehen.

Welche politischen Rahmenbedingungen nähren den islamischen Fundamentalismus?
Die Fundamentalisten leben von den Diktaturen. In einer Demokratie hätten sie keine Chance. Aber da die Diktatoren keinen Widerspruch gelten lassen, ist eine demokratische Opposition nicht möglich; dies bereitet den Boden für den bewaffneten Widerstand. Der Fundamentalismus lebt nicht von der breiten Basis, sonder von einer kleinen entschlossenen Gruppe und der Präsenz in den Medien. Ein Anschlag zählt mehr als ein langer, friedlicher Kampf für mehr Bürgerrechte. Das ist leider der Charakter unserer Medien. Die Fundamentalisten sind stark in der Sensation, aber sie haben kein Programm.
Es gibt wohl einige islamische Staaten, doch diese sind völlig gescheitert. Sie haben keine Antworten auf die Probleme der modernen Welt. Dort werden Hände abgeschlagen, statt soziale Fragen zu lösen. Langfristig werden auch die Fundamentalisten scheitern.

Michaela Krimmer ist Ethnologin und freie Mitarbeiterin bei Ö1, Friedrich Ofner ist Ethnologe und freier Mitarbeiter des Südwind-Magazins. Sie führten das Gespräch mit Rafik Schami im vergangenen Dezember in München.

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