Präventive Eroberung

Von Robert Poth · · 2007/11

Mit der zunehmenden internationalen Regulierung hat sich der Wettlauf um die weltweiten Zigarettenmärkte beschleunigt. Die letzten großen Bastionen: China und Indien.

Wenn es nach Frank Sinatra geht („If I make it there …“), sieht es gut aus für die „Framework Convention on Tobacco Control“ (FCTC), die Konvention zur Eindämmung des Tabakgebrauchs der Weltgesundheitsorganisation WHO. Denn auch China, mit einem Drittel des weltweiten Zigarettenkonsums das Mekka des Tabakgeschäfts, hat die FCTC ratifiziert und sich damit verpflichtet, bis 2011 ein umfassendes Werbe- und Sponsoringverbot für Tabakwaren zu erlassen. Schon die kommenden Olympischen Sommerspiele in Beijing sollen weitgehend „rauchfrei“ sein, von den Veranstaltungsorten über die Restaurants bis zu den Taxis.
Ermutigend ist auch, dass die im Februar 2005 in Kraft getretene FCTC von bereits 150 Ländern unterzeichnet wurde, darunter – mit Ausnahme Indonesiens, das wirtschaftliche Probleme anführt – alle wichtigen Entwicklungsländer. Denn mit ihrer großen Bevölkerung, ihrem hohen Anteil an Jugendlichen und ihren steigenden Einkommen sind sie die „Zukunftsmärkte“ der Tabakkonzerne, wo zumindest der schrumpfende Absatz im Norden wettgemacht werden soll. Dem soll die FCTC entgegenwirken – auch indem sie Regierungen ermutigt, die Tabakindustrie gerichtlich zu belangen. Im Juni etwa klagten drei nigerianische Bundesstaaten internationale Tabakkonzerne auf mehr als 30 Mrd. US-Dollar Schadenersatz für Gesundheitskosten, wenig später folgte auch Saudi-Arabien mit einer Forderung von rund 2,7 Mrd. Dollar.

Große Erwartungen wären aber fehl am Platz. Die Branche floriert nach wie vor, ob staatlich oder privat; tatsächlich dürfte der Erfolg der FCTC den Wettlauf um die Märkte im Süden sogar beschleunigt haben. Denn Werbebeschränkungen zementieren die Marktanteile der „Platzhirsche“, Mindestpreise verhindern einen Markteintritt per Unterbieten, höhere Tabaksteuern senken die Nachfrage – je früher man einen Markt bearbeitet, desto besser also.
Philip Morris etwa zahlte 2005 rund fünf Mrd. Dollar für die indonesische Sampoerna, kaufte sich im selben Jahr Coltabaco (Kolumbien) und erwarb im März Lakson Tobacco, die Nr. 2 in Pakistan. British American Tobacco (BAT) stieg 2001 massiv in Nigeria ein, das nun zu einer Exportplattform für West- und Zentralafrika ausgebaut wird, und schluckte 2003 die peruanische Tabacalera Nacional.
Im April erwarb Japan Tobacco International (JTI) für 15 Mrd. Dollar die britische Gallaher Group (und damit auch die 2001 privatisierte Austria Tabak); die britische Imperial Tobacco übernimmt gerade für 12,6 Mrd. Euro die spanische Altadis (Tabacalera plus Seita), genehmigt (unter geringfügigen Auflagen) von der EU-Wettbewerbsbehörde im Oktober. Mit Altadis, der die marokkanische Régie des Tabacs gehört, verstärkt Imperial Tobacco auch die Präsenz in Afrika, nachdem bereits 2001 mit Tobaccor die Nr. 2 der Region übernommen wurde (Westafrika, Madagaskar).

Damit werden nur mehr vier „Riesen“ rund 50% des Weltabsatzes auf sich vereinen: Philip Morris, BAT, JTI und Imperial. Rechnet man die China National Tobacco Corporation (CNTC) hinzu, entfallen 80% aller weltweit verkauften Zigaretten auf nur fünf Konzerne. Schon aus wettbewerbsrechtlichen Gründen dürfte das Potenzial für Übernahmen bald erschöpft sein. Die wirklichen Pfründe gäbe es in China und in Indien – aber diese Märkte waren mit legalen Mitteln bisher nur schwer zu erschließen.
China ist mit einem Pro-Kopf-Konsum von 1.800 Zigaretten pro Jahr (etwa wie in den USA) ein „reifer“ Markt, aber eine Domäne von Staatsunternehmen unter dem Dach der CNTC. Trotz der im Rahmen des WTO-Beitritts vereinbarten Zollsenkung von 65% auf nur mehr 25% (2004) liegt der Marktanteil von „Big Tobacco“ weiter unter fünf Prozent, und er beruht großteils auf Lizenzvereinbarungen: Hongta, das größte chinesische Tabakunternehmen, produziert Marken von Imperial, Shanghai Tobacco von Gallaher. Seit dem Vorjahr werden auch Marlboro (Philip Morris) in China unter Lizenz produziert; für das gleichzeitig vereinbarte Joint venture (50:50) für Auslandsmärkte stellt Philip Morris, quasi als Gegenleistung, sein weltweites Distributionsnetz für chinesische Exportmarken zur Verfügung.
Indien dagegen ist mit weniger als 100 Zigaretten pro Kopf und Jahr der größte Zukunftsmarkt überhaupt. Dort sind Privatunternehmen am Ruder – der Mischkonzern ITC mit mehr als 70% Marktanteil, gefolgt von Godfrey Phillips und VST. Zwar ist BAT sowohl an ITC als auch VST beteiligt, während Godfrey Phillips de facto eine Philip Morris-Tochter ist; eine eigenständige Präsenz ausländischer Unternehmen wurde aber bisher im Tabaksektor nicht zugelassen. Das Hauptproblem ist jedoch ein anderes: Geraucht werden hier vor allem die traditionellen Bidis (Tabak, eingerollt in Blätter des Tendu-Baums), und nicht wenige: Die Angaben schwanken zwischen 900 Mrd. und 1.300 Mrd. Stück pro Jahr. Während Zigaretten mit hohen Steuern belastet sind (mehr als 70% des Verkaufspreises), blieben Bidis steuerlich bisher praktisch ungeschoren; eine Maßnahme auch zum Schutz der manuellen Bidiherstellung, die geschätzten 4,4 Millionen Frauen (und auch Kindern) in Indien ein Einkommen ermöglicht.

Gesundheitspolitisch zweifellos bedenklich: Bidis können bis zu dreimal mehr Nikotin und fünfmal mehr Teer als Filterzigaretten enthalten. Und ginge es bloß um die Steuererträge, wäre Indien mit mehr Zigarettenkonsum und geringeren Steuern etwa wie in China besser bedient. Unter Einrechnung der Gewinne der Staatsunternehmen warf das Zigarettengeschäft dort 2006 fast 38 Mrd. Dollar für den Staat ab, zumindest zehnmal mehr als in Indien.
Ein Win-Win-Szenario auf Basis von Steuersenkungen würde Burke Fishburn, Koordinator der Tobacco Free Initiative der WHO für Asien, wohl nicht befürworten. Die Versöhnung der unterschiedlichen Interessen im Tabakgeschäft à la WHO sieht anders aus: Höhere Tabaksteuern senken den Konsum und erhöhen die Steuereinnahmen, während die Tabakunternehmen ihren Spielraum für Effizienzsteigerung ausschöpfen. Zumindest in Asien könnten sie derart sogar in einem schrumpfenden Markt ihre Gewinne steigern, wie Fishburn dem britischen Economist versicherte. Dass sich die Branche freiwillig mit solchen Perspektiven zufrieden gibt, darf bezweifelt werden.

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