Rap für den Propheten

Von Christa Schwab · · 1999/01

In den USA leben 6 Mio. Muslime. Fast die Hälfte davon sind African Americans. SÜDWIND-Mitarbeiterin Christa Schwab bietet einen Einblick in das breite Spektrum der islamischen Gruppierungen.

5. September 1998. Glühende Hitze in Harlem, New York City. Festivalstimmung. T-Shirts und Snacks werden an Ständen verkauft, grün-rote Fahnen gehißt und geballte Fäuste, die zur schwarzen Einheit aufrufen, in die Höhe gestreckt. Khalid Mohammed hat die jungen Schwarzen der Vereinigten Staaten dazu aufgerufen, am Million-Youth-March teilzunehmen. Gekommen sind nur etwa 6000. Dennoch fand das Ereignis in den US-amerikanischen Medien ein breites Echo. Der Anlaß des Marsches jedoch, der die Jugend zum Drogenverzicht und zum erfolgreichen Schulabschluß bewegen sollte, blieb von den Medien unerwähnt.

Khalid Mohammed war jener Mann, der mit Äußerungen wie „hakennasige, Bagel-essende, betrügerische sogenannte Juden“ sogar den Führer der Nation of Islam (NOI) Louis Farrakhan puncto Antisemitismus übertroffen hatte und infolgedessen aufgrund öffentlichen Drucks 1993 von der schwarznationalistischen Gruppierung ausgeschlossen wurde. Eine eigene Gemeinschaft hat er bislang noch nicht gegründet.

Bei der NOI handelt es sich um eine Ausformung der schwarzen nationalistischen Bewegung der zwanziger Jahre in der Tradition Marcus Garveys (1887-1940) Der afroamerikanische Politiker gründete 1914 in Jamaika die Universal Negro Improvement Association, die die Doktrin der Trennung der Rassen vertrat. Eine Zusammenarbeit der jüdischen und der schwarzen Community kam in den sechziger Jahren im Rahmen der Bürgerrechtsbewegung zustande.

Anfang der achtziger Jahre bis Mitte der neunziger Jahre erstarkte mit dem sozialen Aufstieg der Juden der Antisemitismus der NOI-Mitglieder. Es besteht ein Konkurrenzverhältnis zwischen Juden und African Americans. Letztere erlebten selbst keinen nennenswerten sozialen Aufstieg.

Gleichzeitig zu der Demonstration der AnhängerInnen Khalid Mohammeds wurde der Atlanta-Youth-March veranstaltet. Dieser wurde von der NOI unterstützt, erregte jedoch kaum Aufmerksamkeit.

Als W.D. Fard Mohammed, der sich in den schwarzen Ghettos in den dreißiger Jahren als Personifizierung Allahs ausgab, mit Hilfe Elijah Mohammeds in Detroit die NOI gründete, verfolgte er das Ziel der Gründung eines eigenen Staates für African Americans. Die NOI hat in den letzten Jahren ihren radikal-separatistischen Ansatz sowie die Idee der Staatsgründung aufgegeben.

Zugrunde lag die Theorie, daß die Schwarzen die ursprünglichen Menschen und die Weißen die Teufel wären. Dieser Staat sollte auf einer eigenen Ausformung des Islam gegründet sein, der den Bedürfnissen der schwarzen FacharbeiterInnen nachkam und den Bruch mit der christlichen Gesellschaft symbolisiert.

So erkennt etwa die NOI Elijah Mohammed als letzten Propheten Allahs an, der sogar den Propheten Mohammed an Wichtigkeit übertrifft. Weiters glaubt die NOI, daß der Koran nicht von Gott diktiert, sondern von 24 schwarzen WissenschaftlerInnen geschrieben worden wäre. Das wichtigste Buch werde allerdings von Farrakhan selbst offenbart werden. Die „kaukasische Rasse“ oder die „blauäugigen Teufel“, wie die Weißen genannt werden, seien nicht von Allah geschaffen worden, was dem universalistischen Prinzip des Islam widerspricht. Dennoch beharren die Mitglieder der NOI darauf, als Muslime bezeichnet zu werden.

Die NOI-Bewegung wird von der islamischen Welt ignoriert, mit Ausnahme Ghaddafis, der die NOI als revolutionäre Bewegung auch finanziell unterstützt.

In einem Buchladen der NOI deutet der Verkäufer auf den Koran, der neben dem Ladentisch stets griffbereit liegt. Die Frage, ob man als Weiße den Versammlungen und Gottesdiensten beiwohnen könne, verneint er und setzt schnell entgegen: „Das ist kein Rassismus. Es geht uns nur darum, in unserer Gemeinschaft ein Bewußtsein zu schaffen, damit wir mit den Alltagsproblemen zurande kommen.“

Mit ihrer Forderung nach Disziplin schafft die NOI dies teilweise. Unter den Männern in Anzügen, weißen Hemden und Fliegen, dem Markenzeichen der Brüder der NOI sind viele ehemalige resozialisierte Drogenabhängige und Gefängnisinsassen.

Aidan X, ein ehemaliger Drogendealer, ist überzeugt: „Wenn ich nicht den Brüdern der NOI begegnet wäre, wäre ich wieder rückfällig geworden.“

Der schwarze Bürgerrechtler Malcom X (1925-1965) hatte mit seinen ersten Reden in Harlem vor 40 Jahren viel zur Popularität der Gruppierung beigetragen. Später ist er von der NOI ausgetreten und hat sich der universalistischen Konzeption des Islam angeschlossen.

Die Rekrutierungspraktiken der NOI sind heute vielfältig: große Märsche, von denen der Million-Man-March in Washington im Oktober 1995 am meisten Aufmerksamkeit erregte; der Black Family Day; die Black Radio Station; das Zeitungsorgan The Final Call und das 1994 etablierte Manhood Training: NOI-Mitglieder halten für schwarze Ghettobewohner Lesungen ab und trainieren sie durch Gruppentherapie, mit den Alltagsproblemen im Ghetto zurande kommen.

Die Jugend soll mit ausdrücklicher Genehmigung Farrakhans auch durch den Rap dazu gebracht werden, der NOI beizutreten. Prince Akeem, NOI- Jugendminister, rapt in seinem ersten Album Coming down like Babylon „All praise to Allah“ und singt über das soziale Programm der NOI und die Resozialisierung von Gangmitgliedern.

Bei der berühmtesten Band, die der NOI huldigt, handelt es sich um Public Enemy, die in „Bring the noise“ Farrakhan als einen Propheten preist.

Die Mitgliederzahl der NOI wird geheim gehalten, doch kann davon ausgegangen werden, daß sie um die 10.000 aktiven Mitglieder, die auch regelmäßig in die Moscheen gehen, zählt. Dies ist angesichts geschätzter 6 Mio. Muslime in den USA, von denen etwa 40% African Americans sind, zwar eine verschwindende Minderheit. Doch 59% der schwarzen Muslime sind der Ansicht, daß die NOI Probleme anspricht, die an die Öffentlichkeit gebracht werden sollten.

Die NOI erlangte bei der schwarzen Bevölkerung auch durch die Etablierung einer NOI-Security-Agency Anerkennung.

Seit 1988 schloß diese mit verschiedenen Städten Verträge ab, die sie dazu bemächtigte, durch die Straßen zu patrouillieren. In vielen Ghettovierteln konnte der Drogenhandel weitgehend bekämpft und für Sicherheit gesorgt werden.

Während ein Großteil der African Americans diese Maßnahmen begrüßte, wurden der NOI-Security-Agency von Seiten des Vizepräsidenten Al Gore, des Kongresses, der US-Commission on Civil Rights und der jüdischen Gemeinschaft rassistische Rekrutierungspraktiken vorgeworfen. Dies führte dazu, daß einige Stadtverwaltungen die für die NOI-Security-Agency gewinnträchtigen Verträge auflösten.

Hand in Hand mit dem Ziel der Resozialisierung unter islamischer Führung und unter Ausschluß staatlicher Behörden geht die Förderung wirtschaftlicher Unabhängigkeit der schwarzen Muslime. Dabei dominieren konservative ökonomische Ansätze. Vorzeigemodell schwarzen Unternehmertums ist das Restaurant Salaam Palace in Süd-Chicago, welches 1995 in Anwesenheit von Farrakhan eröffnet wurde. Es wurde zum Symbol wirtschaftlicher Entwicklung in einem schwarzen Ghetto.

Auch die American Muslim Mission (AMM), ein Konkurrent der NOI, zielt auf eine eigenständige wirtschaftliche Entwicklung der muslimischen Gemeinschaft. Warith Deen Mohammed, der Gründer der AMM und Repräsentant der größten Black Muslim Gemeinschaft in den USA, ist der Sohn des legendären Elijah Mohammed. Nach dem Tod seines Vaters 1975 spaltete er sich von der NOI ab, um die sunnitische Form des Islam unter den African Americans zu propagieren.

200.000 Mitglieder der NOI folgten Deen Mohammeds Weg zum orthodoxen Islam.

Konform mit dem traditionellen islamischen Glauben steht der Besuch der Moscheen Menschen aller Hautfarben offen. „Der Islam kann dem Westen auch etwas bieten“, so Deen Mohammed, der für den interkonfessionellen Dialog eintritt.

Als Präsident Bill Clinton 1996 die religiösen Repräsentanten der verschiedenen Konfessionen zu sich ins Weiße Haus einlud, vertrat Izabel Pasha die US-amerikanischen Muslime. Er ist Imam der in Harlem gelegenen Hauptmoschee der AMM.

Szenenwechsel. 96th Street in Midtown Manhattan. Hier steht die größte Moschee New Yorks, die 1992 vor allem mit kuwaitischen Gelder fertiggestellt wurde. Gäste sind hier äußerst willkommen und werden stolz in den kürzlich fertiggestellten großen Betsaal geführt. Wöchentlich finden Vorträge statt, die Nicht-Muslimen den islamischen Glauben näherbringen sollen.

„Nation of Islam, von der habe ich noch nie etwas gehört“, sagt Mohammed Gemeaha, der ägyptische Imam, „ich bin aber erst seit drei Monaten in den USA.“

Auch anderen Mitarbeitern der Moschee scheint der Begriff wenig zu sagen. Abdul, ein junger, eifriger Moscheengänger, findet allerdings nur ablehnende Worte: „Der Islam kennt keine Unterschiede zwischen den Rassen, die NOI hat also mit dem Islam nichts zu tun“.

: Die Autorin ist Politologin und beschäftigt sich mit muslimischen Minoritäten. Derzeit ist sie in Bulgarien als Universitätslektorin tätig.

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