Rechtsgut Sprache

Von Gabriele Müller · · 2006/11

Durch fehlende und unqualifizierte Übersetzung ist die Rechtsstaatlichkeit gefährdet. Eine Enquete in Wien zeigte auf, dass vor allem bei „exotischen“ Sprachen nicht gewährleistet ist, dass alle beteiligten Parteien einander richtig verstehen.

Österreich hat EU-weit eines der vorbildlichsten Dolmetschgesetze. Das Recht auf Beiziehung eines qualifizierten Dolmetschers vor Gericht und Exekutive ist – im Sinne eines fairen Verfahrens – für jede Person, die der Amtssprache nicht mächtig ist, unumstritten. „Theorie und Praxis klaffen aber auseinander“, meint Christine Springer, Präsidentin des österreichischen Verbandes der Gerichtsdolmetscher bei der Enquete „Gerichtsdolmetschen“, die von der Fachgruppe „Grundrechte“ der Österreichischen RichterInnenvereinigung im Oktober veranstaltet wurde.
Seit bekannt wurde, wie fahrlässig fehlerhaft Übersetzungen wichtigen Beweismaterials in der so genannten „Operation Spring“ gegen vermeintliche afrikanische Drogenhändler waren, ist die Berufsgruppe der „Behördendolmetscher“ in Misskredit geraten. Zu Unrecht für die mehr als 1.400 gerichtlich beeideten DolmetscherInnen, die für insgesamt 49 Sprachen in Österreich registriert sind. Zu Recht, was den Fall der erwähnten Dolmetschung betrifft. „Hier hat der Dolmetscher seinen Aufgabenbereich überschritten“, so Rechtsanwältin Alexia Stuefer, die Aktenkenntnis von der Hauptverhandlung erlangte, bei der auch der Dolmetsch anonymisiert auftrat. Er hatte Gesprächspassagen aus der Telefonüberwachung den jeweiligen Sprechern zugeordnet. Eine Zuordnung, die laut Diagnose des Instituts für Schallforschung aufgrund der mangelnden Tonqualität gar nicht möglich war. Die Sprachqualität des – für seine damalige Tätigkeit ad-hoc beeideten – Dolmetschs konnte die Verteidigung prüfen: „Sind Sie beeidet?“ „Ja.“ „Wissen Sie, was beeidet ist?“ „Ja.“ „Was ist beeidet, Ihrer Ansicht nach?“ „Dass man vor Gericht erscheinen muss.“

Besonders im Asylverfahren ist genauestes Übersetzen von zentraler Bedeutung. „Ein sprachliches Missverständnis kann Menschenleben kosten, wenn die Schutzbedürftigkeit nicht erkannt wird“, meint Bettina Maurer-Kober, Mitglied des Unabhängigen Bundesasylsenats. Von den DolmetscherInnen wird erwartet, „dass sie jedes Bedeutungselement von AsylwerberInnen wiedergeben können, ohne etwas wegzulassen, hinzuzufügen oder zu vereinfachen. Idealerweise behalten sie auch den Sprachstil und (Unter-)Ton des Gesagten bei“, schreibt sie im Handbuch „Dolmetschen im Asylverfahren“. Oft sind auch sprachkulturelle Erklärungen nötig, die in transparenter Abgrenzung vom Dolmetschen zu erfolgen haben.
Bei Einvernahmen vor der Polizei sieht die Realität oft anders aus. Weniger als ein Viertel aller ÜbersetzerInnen, die bei der Exekutive eingesetzt werden, ist gerichtlich beeidet und zertifiziert, schätzt Oliver Scheiber, Kovorsitzender der Fachgruppe „Grundrechte“. Besondere Probleme bereiten die afrikanischen und asiatischen Sprachen sowie Sprachen aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion. So ist für das derzeit sehr „gefragte“ Georgisch ein einziger Dolmetsch in die Liste eingetragen. Oft werden Laien eingesetzt, die sprachlich ungeeignet sind, Partei ergreifen oder sich sogar in die Vernehmung einmischen.

Von einem besonderen Kuriosum berichtet Manfred Herrnhofer, Vizepräsident der Österreichischen Richtervereinigung. Hier kommt ein Villacher Taxifahrer für eine (in Österreich) seltene indische Sprache zum Einsatz. Der Vorteil: Der Taxler ist immer verfügbar. Die Polizei gibt an, bisher keine Probleme mit ihm gehabt zu haben. Von 36 Akten, die Richter Herrnhofer in jüngster Zeit bearbeitet hat, waren nur bei vier Vernehmungen GerichtsdolmetscherInnen anwesend. Alle anderen Protokolle wurden von Laien, Angehörigen oder Unbekannten (Unterschrift unleserlich) als Dolmetsch gezeichnet. Die freie Beweiswürdigung, so der Richter, sei angesichts dieser Situation nicht mehr gewährleistet.

Unprofessionelle Übersetzungen führen schließlich zu höheren Kosten. Erich Prunc, Professor am Institut für Translationswissenschaft an der Universität Graz, spricht von der „Umwegrentabilität guten Dolmetschens“. Die Kosten durch schlechtes Übersetzen bis hin zu juristischen Spätfolgen könnten nur durch Investition in gute Ausbildung und ständige Qualitätskontrolle vermieden werden. Prunc: „Es ist eine Frage der Wertentscheidung, was in den Rechtsstaat investiert werden soll. Die Interpretation von Texten ist eine Machtfrage.“
Vom Verband der österreichischen Gerichtsdolmetscher werden immer wieder Fortbildungsseminare veranstaltet, ein periodisches Mitteilungsblatt hält die Mitglieder über gesetzliche Änderungen und aufgetretene Übersetzungsprobleme auf dem Laufenden. Geplant ist nun auch die Ausbildung von DolmetscherInnen in den wenig vertretenen Sprachen. „Verfestigte Asylwerber“ kämen hierfür durchaus in Frage, meint die Richtervereinigung.

Gabriele Müller ist freie Journalistin, Übersetzerin und Gerichtsdolmetsch in Wien.

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