Reines, weißes Gold

Von Anke Schwarzer · · 2004/04

Der Anbau von Biobaumwolle ist nicht nur ökologisch sinnvoll. Er kann darüber hinaus auch KleinbäuerInnen zu höheren Einkommen verhelfen.

Keine andere Nutzpflanze wird so intensiv mit Pestiziden behandelt wie die Baumwolle. Kaum ein anderes Gewächs ist so attraktiv für Kapselwürmer, Käfer, Spinnmilben und andere Schädlinge. Da das „weiße Gold“, wie die Baumwolle oft genannt wird, in Monokulturen angebaut wird, werden die Böden schnell ausgelaugt und bieten nicht mehr genügend Nährstoffe. Die Pflanzungen müssen gedüngt und bewässert werden. Die Böden werden verseucht, Pestizide gelangen ins Trinkwasser, Schädlinge entwickeln Resistenzen, Menschen und Haustiere erkranken und sterben.
Elf Prozent der weltweit verwendeten Pestizide und 24 Prozent der Insektizide werden nach Angaben des internationalen Pestizid-Aktions-Netzwerks (PAN) auf Baumwollpflanzungen ausgebracht, obwohl das Malvengewächs auf nur vier Prozent der Ackerflächen in der Welt angebaut wird. Durch den immensen Bewässerungsbedarf ist der Baumwollanbau in Usbekistan auch Hauptgrund für das Austrocknen des Aral-Sees, eine der bisher größten Umweltkatastrophen.
Zwar nimmt die Anbaufläche weltweit seit Jahrzehnten nicht mehr zu. Jedoch hat sich Westafrika, massiv unterstützt von der Weltbank und Frankreich, zu einer führenden Baumwollanbauregion entwickelt: Seit 1990 wurden Anbauflächen und Produktion beinahe verdoppelt, und 2003 kamen bereits 15 Prozent der Weltexporte aus der Region. Hier sind es aber weniger große Agrarbetriebe, sondern KleinbäuerInnen, die auf ihren ein bis fünf Hektar großen Feldern Baumwolle anbauen.

In Bénin, neben Mali und Burkina Faso eines der drei Hauptexportländer Westafrikas, nahmen die Anbauflächen seit 1990 um 350 Prozent zu. Die weniger beachteten Folgen: Die Organisation Béninoise pour la Promotion de l’ Agriculture Biologique (OBEPAB) verzeichnete in der Erntesaison 1999/2000 allein in zwei Anbaugebieten in Bénin insgesamt 265 Vergiftungsfälle, 24 davon mit tödlichem Ausgang. „Die Leute sterben, aber niemand redet darüber“, sagt Simplice Davo Vodouhe, Koordinator von OBEPAB.

Der Einsatz von Pestiziden schädigt nicht nur die Umwelt und die Gesundheit. Die meisten KleinbäuerInnen tappen in eine Schuldenfalle, denn der Preis für die Gifte ist enorm und frisst den schmalen Gewinn schnell wieder auf. Das Interesse an einem ökologischen Anbau von Baumwolle nehme daher zu, erzählt Vodouhe. Die BäuerInnen könnten damit auch höhere Gewinne erzielen, da die Ernten in der Regel sehr gut und qualitativ hochwertig seien, während die Kosten für teure Gifte und Dünger entfielen.
Offizielle Unterstützung für den biologischen Anbau mit Fruchtfolge und Mischkultur gibt es allerdings nicht. „Die Regierungen halten schöne Reden, aber danach passiert nichts“, sagt Vodouhe. Dennoch wurden in Bénin 2002/2003 nach Angaben von OBEPAB 185 Tonnen Öko-Rohbaumwolle geerntet. Wenig im Vergleich zum Maikaal-Projekt in Indien, wo in der gleichen Saison rund 2.500 Tonnen Bio-Rohbaumwolle erzeugt wurden, oder mit den 1.800 Tonnen in Tansania, doch immerhin eine Verzwanzigfachung seit 1997/1998.

Angepasste Varietäten ersetzen Hochleistungssorten, statt Kunstdünger kommen Mist und Kompost zum Einsatz und der chemischen Keule werden Vorsorge und Know-how entgegen gesetzt. Ein Sud aus Blättern des Neembaumes bekämpft Insekten, ähnlich wie Gemische aus Tierknochenasche, Knoblauch und aus den Wurzeln und Früchten lokaler Pflanzen. Kuhurin enthält Eisen, Kalium und Magnesium und wirkt als Dünger, gleichzeitig vertreibt er weiße Fliegen. Manche Bio-Substanzen können für Fische oder anderes Getier allerdings tödlich sein. Vieles muss noch erforscht werden, es fehlt aber an Geldgebern und interessierten Instituten.
„Jeden Tag finden die Bauern wichtige Mittel für den Bioanbau, aber sie können sich nicht sicher sein, ob sie die Substanzen auch wirklich anwenden können“, sagt Mamadou Touré, Abteilungsleiter für Fair Trade bei der „Compagnie Malienne pour le Développement des Textiles“ (CMDT) im malischen Bamako. Ein weiteres Problem: Es mangele an Kontakten zur Biobranche, um die Produkte schnell verkaufen zu können. Nicht nur die ökologisch angebaute Baumwolle muss abgesetzt werden, sondern auch die anderen Bio-Produkte, die in der Fruchtfolge angebaut werden, etwa Erdnüsse, Mais oder Linsen.
Noch immer werde nur ein kleiner Teil der Biobaumwolle aufgekauft, der Rest wandere in den konventionellen Markt, bilanziert Saro Ratter, Berater für ökologische Landwirtschaft aus Deutschland mit zehn Jahren Erfahrung im Biobaumwollanbau. Wichtig seien verlässliche und engagierte Investoren, die den engen Kontakt mit den KleinbäuerInnen nicht scheuten und für eine ständige Beratung sorgten. Allein die ökologische Umstellung dauere drei Jahre; geklärt werden müsse auch, wer die Zertifizierung und deren Kosten übernimmt.
Auch dürfe die Biobaumwolle bei der weiteren Verarbeitung auf keinen Fall mit konventioneller Ware gemischt werden, erklärt Ratter. Dies erfordere eigene Entkernungs- und Spinnmaschinen, die aber in der Regel für die wenigen BiobäuerInnen zu teuer seien. Deshalb müssten die gemeinsam benutzten Anlagen aufwändig gereinigt werden.

„Um in kleinbäuerliche Biobaumwollproduktion zu investieren muss man persönlich überzeugt sein. Man macht zwar keine Verluste, aber man muss bereit sein, auf Riesenprofite zu verzichten“, so Ratter. Für ihn sind Behauptungen von Firmen wie Nike, das Angebot an Biobaumwolle sei zu klein, vorgeschobene Argumente. „Wenn sie wirklich interessiert und bereit wären, den erforderlichen Preis zu zahlen, dann wäre es durchaus möglich, genügend Biobaumwolle zu liefern“, so Ratter.
Jedenfalls zeichnet sich ein wachsendes Interesse von Seiten der Supermärkte und großer Unternehmen an Biobaumwolle ab. So verkauft die zweitgrößte Einzelhandelskette der Schweiz, die Coop, bereits mehr als ein Drittel ihrer Textilien unter dem Öko-Label Naturaline. „Sicher könnte man mehr Geld mit konventioneller Baumwolle verdienen, aber wir machen auch mit der Biobaumwolle gute Geschäfte“, sagt der Coop-Einkaufsleiter Emanuel Büchlin. Das Versandhaus Otto in Deutschland hat im letzten Jahr nach eigenen Angaben 600 Tonnen Biobaumwolle aus der Türkei verarbeitet und will bis zum Jahr 2005 zehn Prozent der Katalogware aus biologisch angebauter Baumwolle anbieten.

Nike wiederum hat 2003 nach eigenen Schätzungen rund 2,5 Prozent seines gesamten Baumwollbedarfs aus biologischem Anbau aus den USA und Griechenland bezogen, etwa 1.360 Tonnen. Während der Konzern für Sportbekleidung aus den USA Biobaumwollfasern mit konventionellen mischt („Blends“ mit rund drei Prozent Biofaseranteil), setzt die mittelständische Firma Hess Natur seit Beginn der 1990er Jahre auf reine Biobaumwoll-Kleidung. Die Fasern stammen großteils aus der Türkei, Peru und den USA, aber auch aus Indien, Israel und verschiedenen afrikanischen Ländern. Laut Firmenangaben wurden im Jahr 2000 rund 300 Tonnen verarbeitet.
Insgesamt ist die Menge der verarbeiteten Biobaumwolle immer noch marginal, aber sie steigt. „Man sagt, die Biobaumwolle hat keine Bedeutung, aber ich weiß, dass sie für die Familien, die sie produzieren und die verlässliche Marktpartner gefunden haben, von sehr, sehr großer Bedeutung ist“, so Ratter. Und sein Kollege aus Bénin, Vodouhe, ist überzeugt, dass es beim Biobaumwollanbau nicht nur um ökologische Aspekte geht: „Es ist ein soziales Thema, es geht darum, KleinbäuerInnen ein besseres Leben zu ermöglichen“.

Anke Schwarzer ist Sozialwissenschaftlerin und arbeitet in Hamburg als freie Journalistin.

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