Schlüsselwort Freiheit

Von Ernst Wurzinger · · 2008/02

Das syrische Regime unter Bashar Al Assad befindet sich seit über vierzig Jahren im Kriegszustand mit Israel: Rechtfertigung für eine Politik der starken Hand gegen Opposition und Dissidenz. Dennoch sind gegenüber früher Verbesserungen festzustellen.

Damaskus. Die angeblich älteste Stadt der Welt präsentiert sich mit verstopften Straßen, Hitze, hupenden Autos, fliegenden Händlern, Menschenmassen und einer Prise Unbeschwertheit. Tagsüber kommen zu den sechs Millionnen EinwohnerInnen weitere zwei Mio. Menschen in die Hauptstadt, in der sich auch die drei wichtigsten Gerichtshöfe des Landes befinden. Vor der Hauptuniversität Damaskus tummeln sich StudentInnen und Straßenverkäufer, Taxis und Minibusse.
Von Lenin und Marx bis hin zu Hitlers „Mein Kampf“ ist alles auf den universitären Bücherbörsen zu bekommen. Am Gehsteig aufbereitet liegen bunte Poster arabischer Popsänger, religiöse Texte und Lehrbücher nebeneinander. Politische Literatur oder Kritisches über das syrische Regime fehlt allerdings.
Seit 1963 ist die Baath-Partei in Syrien an der Macht, seit Juni 2000 Bashar Al Assad als Staatspräsident anstelle seines verstorbenen Vaters Hafiz. Auf erste Hoffnungen einer Stärkung bürgerlicher Rechte wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit folgte schon bald Ernüchterung. „Unsere Leben gehören der syrischen Regierung um Bashar Al Assad, seinem jüngeren Bruder Mahir und dem Schwager Asaf Shawkat. Wegen der Notstandsgesetze kann jeder ohne besondere Gründe verhaftet und angeklagt werden“, sagt Amira, syrische Menschenrechtsanwältin (Name geändert). Sie leidet seit Jahren unter Schikanen der überall präsenten Geheimdienste, ständigen Verhören, Reiseverbot und Einschüchterungsversuchen. Ihre Mutter erhält nächtliche Drohanrufe, ihr Freund wird auf Schritt und Tritt überwacht. Obwohl die Geheimdienste nicht mehr so stark sind wie zur Zeit Hafiz Al Assads, ist doch Vorsicht geboten, wenn man sich kritisch über syrische Politik oder den Präsidenten äußert – vor allem auf dem Universitätscampus und in Cafés.
„Die Menschen hier leiden unter zwei Dingen: Bedrohung von innen durch das Regime und die Sanktionen von außen gegen Syrien. Freiheit ist das Schlüsselwort für die Zukunft.“ Amira sitzt in ihrem Büro, raucht, auf der Wand ausnahmsweise kein Foto des Präsidenten Bashar Al Assad, sondern die Erklärung der Menschenrechte. Sie brauche dringend eine Pause von Syrien, sagt die Anwältin – sie darf das Land aber nicht verlassen. Als Oppositionelle und Menschenrechtsaktivistin steht sie in engem Kontakt mit den Familien inhaftierter Oppositioneller.

Die prominentesten Fälle sind neben anderen Michel Kilo, Anwar Al Bunni, Mahmoud Issa und Kamal Labwani, die im Frühjahr 2007 zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt wurden. Anklagegrund? „Verletzung nationaler Gefühle und Verbreitung falscher Informationen.“ Hintergrund der Verhaftungen ist die so genannte „Damaskus-Beirut-Deklaration“, die von einigen hundert libanesischen und syrischen Intellektuellen unterzeichnet wurde und in der zu besseren Beziehungen zwischen Libanon und Syrien aufgerufen wird. An sich nichts Anrüchiges, doch fürchten die Syrer den Einfluss der „14. März-Bewegung“ im Libanon (Teil des anti-syrischen Lagers), die 2005 schon für den Abzug der 14.000 Mann umfassenden syrischen Truppen aus dem Libanon verantwortlich war.

Mittlerweile sitzt auch Akram Al Bunni, Bruder des Menschenrechtsanwalts Anwar Al Bunni, hinter Gittern, besonders für seine Familie folgenschwer, da Akram bis zu seiner Verhaftung auch seine Schwägerin und deren Kinder finanziell unterstützte. Außerdem leidet er unter Herzproblemen, die im Gefängnis kaum ausreichend behandelt werden. Sechzehn Jahre verbrachte Akram bereits im mittlerweile geschlossenen Hochsicherheitsgefängnis Tadmur, nahe der weltberühmten alten Ruinenstadt Palmyra (auf arabisch: Tadmur), das vor vier Jahren geschlossen wurde. Seit der Schließung von Tadmur sind die Gefängnisse in akzeptablem Zustand, gefoltert wird in diesen laut Menschenrechtsberichten nicht mehr, und Anklagen vor Militärgerichten haben in den letzten Jahren abgenommen. Bedenklich bleiben allerdings Vorgänge in den Geheimdienstbüros, die, meist unterirdisch gelegen, sich jeder kritischen Untersuchung entziehen. Syrer erzählen von Spritzen, stundenlangen Verhören, Drohungen und Schlägen.
Für den international bekanntesten Fall Anwar Al Bunni ist keine Milderung seiner Haftstrafe zu erwarten: Zu fünf Jahren Gefängnis kommen nun weitere Anklagepunkte dazu, Ende Jänner muss er wieder vor dem Militärgericht erscheinen. In seiner Zelle wurde unlängst ein Dokument über die fragwürdige Rolle einer syrischen NGO gefunden, in dem das syrische Ministerium für Soziales kritisiert wurde: Also wieder vor das Militärgericht.

Fliegende Händler mit großen Ohren: Der palmengesäumte Justizpalast in der Nähe des Einkaufsmekkas Suq Hamidiye ist auch aus der Ferne zu erkennen. Die schwarz-weiß-rote Fahne mit den grünen Sternen weht am Dach, über dem Eingang ein überdimensionales Portrait des verstorbenen Präsidentenvaters Hafiz Al Assad. Vor dem Eingang sitzen Zigaretten- und Losverkäufer; alte und junge Männer. Viele dieser fliegenden Händler, Ba´ia Mutadjaual auf Arabisch, sind Spitzel des militärischen Geheimdienstes Mukhabarat, der vor allem in der Altstadt und vor dem Justizpalast mittels Straßenverkäufern operiert.
Im Gericht selbst herrscht Menschengewimmel, halbherzige Taschen- und Sicherheitschecks am Eingang und sich stapelnde Akten allenthalben. EU-Beobachter sind seit einiger Zeit bei den Verhandlungen zugelassen, ein Fortschritt für das sonst so restriktive Regime. Bei den Gerichtsverhandlungen geht es chaotisch zu; schimpfende Richterinnen, mehrere Angeklagte auf einmal und plötzlich abgesagte Verhandlungen sind nicht selten. Trotzdem ist mit der Zulassung von BeobachterInnen ein Zeichen Richtung Europa gesetzt. Syriens Wirtschaft steht nicht besonders gut da, das Land ist auf Kooperation angewiesen und hofft auf ein noch nicht ganz ausgehandeltes Wirtschaftsabkommen mit der Europäischen Union, das auch eine Menschenrechtsklausel enthält.

Anwar Al Bunni wurde vor allem wegen der Eröffnung eines EU-finanzierten Ausbildungszentrums für Nichtregierungsorganisationen (s. SWM 6/07 S.11) verhaftet. Autor und Journalist Michel Kilo dagegen ist besonders in die „Damaskus-Deklaration“ involviert und wird von Seiten der EU weniger beachtet als Bunni.
Kilo ist mit seinem Einstehen für elementare Rechte und Freiheiten einer Zivilgesellschaft in den Augen der Machthaber von Damaskus aber als politischer Aktivist gebrandmarkt und steht seit Jahren unter Beobachtung und Drangsalierung der Geheimdienste. „Die EU macht nicht genug für Kilo. Europäische Politiker sollten zuerst eine Übereinkunft zur Entlassung politischer Häftlinge fordern, bevor sie wirtschaftliche oder sonstige Abkommen unterzeichnen“, fordert Menschenrechtsaktivist Mahmoud. Viel mehr als beobachten und ihre Präsenz unterstreichen wird von der EU-Delegation in Syrien aber auch in Zukunft kaum zu erwarten sein. Das jeweilige Engagement variiert nur geringfügig durch die wechselnden EU-Präsidentschaften und deren Vorsitzende.

Dass ein politischer Reformprozess trotzdem nur von innen kommen kann, eint die Geister in der syrischen Republik dennoch. Antiamerikanismus verbindet StudentInnen, Oppositionelle und Regierung gleichermaßen. Irak und Afghanistan schweben als mahnende Beispiele einer von außen kommenden fehlgeschlagenen Intervention schwer über dem 18 Millionen EinwohnerInnen-Land. Dazu gesellt sich die schon von klein auf eingelernte und erlebte Kriegsbedrohung durch den Nachbarn Israel, der am besetzen Golan ungezügelt aufrüstet. Diese dient dem Regime immer wieder als Vorwand, um zivilgesellschaftliche Eigeninitiativen und Reformen abzublocken.
Anwältin Amira blickt aus dem Fenster ihres kleinen Büros, draußen zupft ein Gärtner Unkraut im Park. Die Sonne scheint, aber im Büro bleibt es düster. Das Summen des PCs wird nur von ihrer müden Stimme übertönt: Sie hofft, nächstes Mal mehr Zeit zu haben, oder am besten, nächstes Mal schon im Ausland zu sein, nur ein paar Wochen Erholung von Syrien, falls es mit der Ausreisegenehmigung doch eines Tages klappt. Trotzdem: Für immer möchte sie nicht weg.

Der Autor stammt aus der Schweiz, ist Ethnologe und Journalist und bereiste kürzlich Syrien.

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