Seitenblicke auf Senegal

Von Robert Poth · · 1999/04

Der Gastgeberstaat der jüngsten Lomé-Verhandlungsrunde kämpft gegen Armut Landflucht und den Mangel an Investitionskapital.

Vom „King Fahd Komplex“, dem luxuriösen Ort des EU-AKP-Ministertreffens im Norden Dakars, dauert es etwa eine Taxiviertelstunde bis ins Zentrum. Hier und vor anderen teureren Hotels der Umgebung angeln Taxifahrer in verbeulten Peugeots mit zersprungenen Windschutzscheiben nach zahlungskräftiger Kundschaft, um sie, einmal am Haken, möglichst nicht mehr entwischen zu lassen.

Wer etwa seine Fracht in ein Restaurant der Innenstadt geliefert hat, wartet geduldig, um sich die Fuhr in die Gegenrichtung zu sichern. Das bringt bis zu 4000 Francs CFA (40 französische Francs oder ca. 80 Schilling), das Zwanzigfache des Mindeststundenlohns in Senegal. Zumindest für die Taxifahrer sind die Lomé-Verhandlungen ein Segen – ein willkommener Zusatzverdienst in der Trockenzeit, wenn die meisten ausländischen Gäste ins Land strömen.

Der Tourismus ist einer der Hoffnungsträger Senegals und vorläufig das einzige Mittel, die klaffende Lücke in der Leistungsbilanz des westafrikanischen Landes ein wenig zu schließen. Senegal ist zwar, gemessen an Kriterien des Internationalen Währungsfonds, ein Musterschüler in Sachen strukturelle Anpassung. Das Budgetdefizit lag 1997 bei 1,5%, die Inflationsrate kaum höher, und die Wirtschaft wuchs zuletzt um ca. 5% pro Jahr.

Andere „strukturelle Defizite“ erweisen sich jedoch als hartnäckiger: Etwa die Unbillen des Klimas im Sahel, schwankende Erlöse der Hauptexportprodukte Erdnüsse, Phosphate und Fisch, und eine Mangelware namens alternative Exportchancen. Die Folgen: Ein chronisches – und weiter wachsendes – Handelsbilanzdefizit insbesondere mit der EU, Landflucht, wachsende Armut und überforderte Infrastrukturen in den Städten.

Da der Schuldendienst das Budget auffrißt, müssen Mittel für Investitionen auf andere Art beschafft werden. Privatisierungen haben ausländische Investoren wie France Télécom und Lyonnaise des Eaux angezogen, die nun Betrieb und Ausbau der Telekommunikationsnetze des Landes bzw. die Wasserversorgung Dakars nebst Sanierung der Leitungsnetze üernehmen.

Eine schwierige Aufgabe: Etwa droht einem Großkunden, der Stadtverwaltung, das Geld auszugehen. Schuld seien Einnahmenverluste durch die jüngste Dezentralisierung der Verwaltung, verteidigt sich Bürgermeister Mamadou Diop in der lokalen Presse.

Finanzierung ist ein Hauptproblem. Und eines ist kaum bestreitbar: Ohne das Lomé-Vertragswerk stünde Senegal schlechter da. Von 1992 bis 1996 flossen etwa 40 Millionen ECU in die Umstrukturierung der Erdnußwirtschaft, 32 Millionen in den Gesundheitssektor und den Straßenbau. Und ohne die 33 Millionen Euro an Risikokapital der Europäischen Investitionsbank EIB – für Telekommunikation und Wasserversorgung – hätte sich vielleicht kein ausländischer Investor gefunden.

Effektiver wäre es aber, so Mouhamadou Amine Kébé, Autor einer Studie über die Armut im Senegal, mit Investitionen in ländliche Infrastruktur und entsprechende Dienstleistungen (Erziehung, Gesundheit, Marketing) die Landflucht zu bremsen – denn damit würde gleichzeitig die städtische Armut bekämpft.

Genau das wird mit Geld aus der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit in Region Thičs, zwei bis drei Autostunden östlich von Dakar versucht. Dort haben intensiver Erdnußanbau und Abholzung die Böden ausgelaugt und der Erosion ausgesetzt.

Gemeinsam mit der Bevölkerung von sechs Dörfern, 5.200 Menschen, werden hier modellhaft Grundsätze einer nachhaltigen Bewirtschaftung verwirklicht. Projektpartner sind die Entwicklungswerkstatt Austria (EWA) und der landesweite Produzentenverband FONGS (Fédération des Organisations Non-Gouvernementales du Sénégal).

Dämme, Erdwälle und Windhecken sollen etwa helfen, das Wasser der unregelmäßigen Niederschläge länger zu konservieren und die Bodenerosion zu stoppen; Wasserpumpen, die Frauen ihre traditionelle Arbeit erleichtern, werden in einer lokalen Werkstatt gebaut und repariert, mit Hilfe österreichischer Maschinen.

Menschen, die bereits in Elendsvierteln in der unübersichtlichen Peripherie von Dakar wie in Albarka gelandet sind, müssen andere Überlebensstrategien entwickeln. Die Menschen drängen sich hier zusammen, eingezwängt zwischen Müllhalden, Neubausiedlungen und schmucken, mauerbewehrten Villen.

In, neben und vor den aus Holz, Blech und Karton zusammengeflickten Hütten wird von irgendwo hergeschlepptes Holz zu Holzkohle verarbeitet und in kleinen Plastiksäckchen verkaufsfertig gemacht; Aluminimum wird an einem kleinen, offenen Ofen geschmolzen, mittels Erdformen auf dem nackten Boden in dickbauchige Kochtöpfe gegossen, mühsam glattgefeilt und geschliffen.

Eine auf dem Boden ausgefaltete Zeitung dient als Gemüseladen: acht kleine Karotten, drei Mini-Auberginen, zwei halbe Maniok-Knollen, ein Häufchen Paprikaschoten und Papayaschnitten.

Im schattigen Inneren einer Hütte verbergen sich eine Ziege, ein Schaf und ein paar Enten.

In Albarka leben Menschen aus allen möglichen Gegenden und Ethnien Senegals, auch Pulaar (Fulbe) aus der östlichen Casamance wie Ahmadou.

Er ist eigentlich Tischler, sagt er. Regelmäßige Arbeit hat er keine, ein Schicksal, das er mit fast jedem zweiten Jugendlichen in Dakar teilt. Sein Vater lebt nicht mehr, seine Mutter und ein paar kleinere Geschwister sind unversorgt, und für die fühlt sich Ahmadou nun hauptveranwortlich. Sein Traum: in Europa zu arbeiten und Geld nach Hause zu schicken. Viele Chancen, der Armut in Dakar zu entkommen, sieht er nicht. Übrigens: Die EU fordert eine Rücknahmeverpflichtung für illegale Einwanderer im neuen Lomé-Abkommen, als Gegenleistung für ihre Hilfe an die AKP-Länder.

Irgendjemand sollte ihm das vielleicht einmal ausführlich erklären.

SÜDWIND-Wirtschaftsredakteur Robert Poth beobachtete Anfang Februar die Lomé-Verhandlungen auf Ministerebene in der senegalesischen Hauptstadt Dakar.

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