Sieben Blasmusikkapellen und kein Schlumpfgeschäft

Von Christian Felber · · 1999/06

Bad Goisern will keine Geisterstadt werden. Mit dem Nahversorgungsprojekt „Lebensqualität durch Nähe“ versucht die 7000-EinwohnerInnen-Gemeinde, dem rasanten Strukturwandel in ländlichen Regionen entgegenzuwirken.

Frau Neugebauer deutet mit dem Kopf auf die vollen Einkaufstaschen in beiden Händen: „Ich kaufe im Ort, ich halte viel von Nahversorgung, nur haben wir ein Geschäftesterben. Dort vorne sind die Auslagen reihenweise leer, das ist schlecht.“

Aus der Bäckerei Meislinger hingegen duftet es backfrisch, kaufbewußte Bad GoisernerInnen haben den Laden am Leben erhalten. Frau Kofler, eine Pensionistin, bekennt feierlich: „Ich fahr zum Einkaufen nie weg, weder nach Bad Ischl noch sonstwo hin.“

Nicht alle denken so. Gerade die jüngere Generation, die mit dem Auto zur Arbeit auspendelt, nutzt gerne auch die verlockenden Angebote in ferngelegenen Konsumtempeln.

Hannes Kofler findet das unfair: „Wer seine Kaufkraft in fremde Regionen trägt, zu Hause aber die Infrastrukturen auf Kosten anderer in Anspruch nimmt, schadet seiner Heimat“, ist auf einem Infoblatt der ARGE „Lebensqualität durch Nähe“ zu lesen.

Seit 1990 arbeitet Kofler, Direktor der örtlichen Raiffeisenbank, an der Rettung der Nahversorgung. „Die Strukturen brechen weg“, war seine Ausgangserkenntnis, „die Kaufkraft fließt ab, und wenn die Geschäfte zusperren, endet die Kommunikation, löst sich der örtliche Zusammenhang auf“.

Die Zahl der Nahversorger hat sich in Österreich seit 1970 mehr als halbiert. schon 10% aller Gemeinden sind ohne Lebensmittelgeschäft, 5% ohne Gasthaus, 44% ohne Bäcker. In Bad Goisern ist die Lage noch nicht dramatisch. „Noch ist fast alles da, aber wir wollen nicht warten, bis es zu spät ist. Wenn man alles aus 25 Kilometern Entfernung holen muß, wie heute schon in Gosau, wird es ungut“, zeigt sich Kofler vorausschauend.

Deshalb nahm Bad Goisern 1995 gemeinsam mit drei anderen oberösterreichischen Pilot-Gemeinden an dem vom Bildungshaus SPES im nahen Schlierbach entwickelten Projekt Pro-Nahversorgung teil. Es wird von Landesregierung und Wirtschaftskammer gefördert und von allen Parteien im Ort getragen.

Anfangs sei es schwierig gewesen, den Menschen den Begriff „Nahversorgung“ näherzubringen. Kofler: „Die meisten glauben, damit sei nur der tägliche Einkauf gemeint. Doch die Eisenhandlung gehört genauso dazu wie Schuhe, Kleidung, Post, die Bank und der Pfarrer; wenn das fehlt, ziehen die Leute fort, in den Ort nächsthöherer Ordnung.“

Auch Freizeitangebote zählen laut Kofler zur täglichen Versorgung, „aber die Vereine können nur leben, wenn die Strukturen in Ordnung sind. Der Hofer oder Billa können noch so billig sein, sie sponsern die Vereine nicht.“

Ein weiteres Problem bei der Werbung für den ortsinternen Einkauf: „Die, die heute in Linz, Salzburg oder Bad Ischl einkaufen, denken sich, ‚Ich kauf doch nicht teuer bei dem im Ort, damit der sich ein zweites Haus leisten kann‘.“ Kofler kann den KonsumentInnen den Besuch der großen Einkaufstempel nicht verübeln: „Nicht hinzugehen bedeutet eine gehörige Portion Selbstbeherrschung.“ Schließlich kämen auf jeden Aufruf zur Nahversorgung zehn Kilogramm Werbematerial der Großen.

Zwei besonders schwarze Flecken auf der regionalwirtschaftlichen Landkarte Koflers sind die beiden Linz-nahen Einkaufszentren Plus-City in Pasching und UNO-City in Leonding. „Der Paschinger Bürgermeister setzt sich gedankenlos über das Land Oberösterreich hinweg“, wettert er gegen den kommunalsteuergierigen Gemeindehäuptling. „In den beiden Shopping-Cities sind 40 Restaurants eröffnet worden, gleichzeitig erleiden die Gastronomiebetriebe in der Linzer Innenstadt Umsatzeinbußen.“

Einerseits mache man großartige Altstadterhaltungsmaßnahmen und andererseits billige man die Entstehung von Kaufkraftabsaugern auf der grünen Wiese, ärgert sich Kofler. Eine „Verkehrserregerabgabe“ für die mit riesigen Kundenparkplätzen Ströme von Privatautos anziehenden Einkaufszentren würde da schon Erleichterung bringen.

Ein weiteres Umsetzungsproblem liegt laut Kofler in der Kluft zwischen Wissen und Handeln: „Wenn die Leute die Idee der Nahversorgung einmal verstanden haben, sagen sie ‚Ja, super‘, aber sie kaufen nach wie vor, wo sie wollen.“ Deshalb setzt Kofler neben der Bewußtseinsbildung auf eine zweite Strategie: „Beziehungsmanagement im kleinen.“ Die Nahversorger sollten den Vorteil der persönlichen Kundenbekanntschaft nutzen, „denn wenn man der Verkäuferin vertraut, ist der Preis nicht mehr entscheidend“, ist Kofler überzeugt und klagt gleichzeitig, daß dem Kunden diesbezüglich zu wenig geboten werde.

Das erste Etappenziel der ARGE „Lebensqualität durch Nähe“ ist, die Negativspirale von Geschäftesterben, Auspendeln und Kaufkraftabfluß zum Stillstand zu bringen. Bis zum Jahr 2001 will man dann die 38% Auswärtskonsum auf 28% vermindern und damit 40 bis 50 neue Arbeitsplätze schaffen.

Das neue Ortsentwicklungskonzept trägt bereits der Idee geschlossener Wirtschaftskreisläufe Rechnung. Und obwohl die Nachhaltigkeit eine langwierige Sache ist, sind schon kleine Erfolge zu verbuchen. Zum Beispiel wurden die Bäckerei Maislinger und das Kaufhaus im Zentrum sofort nachbesetzt, nachdem die Vorgänger aufgegeben hatten.

Neo-Kaufmann Manfred König, für den die Nahversorgungsinitiative ein „Hoffnungsschimmer“ ist, zeigt sich gutinformiert über seine prekäre Lage: „64% der 7.500 selbständigen österreichischen Lebensmittel-Einzelhändler wirtschaften auf einer Fläche von weniger als 350 Quadratmetern – und soviel wäre nötig, um rentabel zu sein.“ Sein eigenes Kaufhaus mißt gerade 170 Quadratmeter, steht somit auf der roten Liste. Wie er das dennoch schaffe? „Mit 115 Wochenstunden.“

Ein paar Meter weiter, an der Salzkammergut-Bundesstraße, hat die SPAR AG eine 500-Quadratmeter-Filiale eröffnet. Das bringt Kaufmann König ganz in Bedrängnis. Nahversorgungsförderer Kofler sieht das anders: „An der Bundesstraße kommen täglich 8.000 bis 22.000 Autos vorbei. Die sind ein beträchtliches Kaufkraftpotential. Und mit dem Offenhalten am Samstag bis 17 Uhr haben sie sogar KundInnen aus Nachbargemeinden dazugewinnen können. Wir verbuchen einen Kaufkraftzufluß.“

Was im Jubel untergeht: Der SPAR-Markt am Ortsrand von Goisern und direkt an der Bundesstraße wiederholt im kleinen, was Kofler an den Großmärkten in Pasching und Leonding kritisiert: Er saugt den Ortskern aus. Und: Durch das lange Offenhalten wird noch zusätzlich Kaufkraft aus den Nachbargemeinden abgesogen. Für Kofler dennoch kein Problem: „Der Wettbewerb muß sein.“

Mit Verkaufspsychologie (worunter auch längere Ladenöffnungszeiten zu fallen scheinen) läßt sich in Koflers Welt alles lösen. Daß der eigentliche Kaufkraftabsauger oder -verschieber die Schnellstraße ist, findet Kofler nicht. Auch den Ausbau der schon existierenden Bahnstrecke zu Lasten der Straße hält er für unrentabel und tourismusfeindlich.

Daß in der salzburgischen Gemeinde Werfenweng am autofreien Tourismus gebastelt wird, beeindruckt ihn ebensowenig, obwohl er sich „als Banker, aber ganzheitlich denkender Mensch“ deklariert. Das Auto wegzudenken ist offenbar noch zu visionär, vermutlich genügt für das ökologische Selbstbewußtsein, daß man gemeinsam mit den Nachbargemeinden Hallstatt, Obertraun und Gosau zu einem der elf Weltnaturerben der UNO ernannt wurde.

Auch in der örtlichen Landwirtschaft sieht Kofler keinen Handlungsbedarf: „Bei uns ist sowieso alles bio.“ Lieber verweist er auf die Erfolge mit den Lehrlingen: „In den vergangenen beiden Jahren sind sämtliche Lehrlinge der Region am letzten Schultag in Betrieben untergekommen.“

Wie geht es weiter? Mit Seminaren, zum Beispiel zur Verbesserung der Verkaufspsychologie. Koflers Lieblingssatz: „Man kauft Dinge, die man braucht, bei Menschen, die man mag.“ Noch gebe es so gut wie alles in Bad Goisern. Eine in 4000 Stück aufgelegte Nahversorger-Fibel bezeugt: Fünf Tischler und sieben Blasmusikkapellen sind noch ansässig. Und wenn die Goiserner das örtliche Angebot stärker annähmen, könnten sogar Nahversorgungslücken geschlossen werden. Welche Löcher gibt es derzeit? „Herrenmoden“, antwortet die Verkäuferin im Uhrengeschäft wie aus der Pistole geschossen. Frau Neugebauer mit den vollen Taschen fällt spontan nichts ein: „Im Moment bin ich überfragt.“ Sohn Moritz, neun, hilft aus. Ihm fehlt „ein Schlumpfgeschäft.“

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