Sisyphus im Minenfeld

Von Redaktion · · 2008/07

Jan Kölbel war 1997 in einem Minenräum-Projekt in Bosnien tätig und entschärfte dort 300 Minen und 2.000 Blindgänger. Heute organisiert er Projekte in der zivilen Kampfmittelbeseitigung in Russland. Mit dem Entminungsfachmann sprach Meike Kloiber.

Südwind: Ihr Arbeitsplatz liegt an wechselnden Orten, zwischen rotweißem Flatterband und Totenkopfschildern. Wie gehen Sie bei der Minenräumung vor?
Kölbel:
Wenn ich die Minen suche, liegt vor mir ein gut einen Meter langer Stock, der das Suchfeld markiert. Links und rechts sind zwei weiße Bänder für die Seitenmarkierungen geknotet. Ich muss immer genau wissen, wo ich mich im Minenfeld bewegen kann. Der Kollege bleibt im Hintergrund, um im Notfall helfen zu können. Jede halbe Stunde wird gewechselt. Ein Krankenwagen steht bereit. Viele der Antipersonenminen haben heute einen sehr geringen Metallanteil, weshalb sie mit Detektoren nicht mehr aufzuspüren sind. Die Methode bleibt dieselbe: Mit einer unterarmlangen Suchnadel stechen wir, kniend oder auf dem Bauch liegend, Quadratzentimeter für Quadratzentimeter in den Boden. Treffen wir auf etwas Hartes, legen wir den Gegenstand vorsichtig frei und schauen nach, ob es eine Mine oder doch nur ein Stein ist.

Und so geht es mühsam über zugewucherte Felder, durch Gebüsch, Ruinen, Schutt und Müll? Angesichts von Milliarden Minen und Blindgängern, die weltweit auf ihre Opfer lauern, wirkt das wie Sisyphusarbeit.
Alle 20 Minuten stirbt nach UN-Angaben irgendwo auf der Welt ein Mensch durch eine Mine. Sie kennen sicherlich die Bilder: Krankenhaussäle mit Menschen, die oft noch Jahre nach dem Ende eines Krieges zu Kriegsopfern werden – die weißen Verbände um die Stummel der amputierten Gliedmaßen. Fast immer trifft es Zivilisten. Mehr als ein Viertel von ihnen sind Kinder.
Die Kosten der Räumung sind immens hoch: 1.500 US-Dollar pro Mine – das ist ungefähr das Hundertfache der Produktionskosten, natürlich abhängig vom Typ.

Haben Sie da nicht oft schlimme oder gefährliche Erlebnisse?
Eine Begegnung mit einem neun Jahre alten Jungen damals in Bosnien hat mich besonders getroffen. Ich bin ganz ehrlich, angefangen habe ich den Job wegen des Geldes. Der Junge hatte beim Spielen durch eine explodierte Gewehrgranate ein Auge, beide Beine und eine Hand verloren. Vom Alter her hätte es mein Sohn sein können. Dieses Schicksal hat mich motiviert, trotz der Risiken die Arbeit immer noch fortzusetzen.

Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen tötete eine Splittermine Ihren Freund und Kollegen Mato Juric. Kriecht da nicht Angst auch in den kühlsten Profi?
Angst ist das falsche Wort – ich empfinde einen tiefen Respekt; diesen Respekt darf man nie verlieren. Nie darf man überheblich werden. Aber man darf sich auch nichts vormachen. Bei Splitterspringminen gehen die Splitter auf die kurze Distanz auch durch die Weste – außerdem ist der Schutz wirklich nur auf Lebenserhaltung ausgerichtet.

Überlebenswichtig ist wohl auch die genaue Kenntnis der Waffen. Herr Kölbel, Sie führen eine Datei über Hunderte von Kampfmitteln und vermitteln Ihr Wissen, verknüpft mit der Erfahrung im Arbeitsalltag, heute auch als Gastdozent an der Sprengschule in Dresden. Sie müssen also gut Bescheid wissen über die perfiden Konstruktionen der Militärs.
Wer behauptet, alle Munitionstypen zu kennen, ist unglaubwürdig. Besonders in Häusern stoßen wir immer wieder auf Sprengfallen. Das sind Minen, die gezielt gegen Entminer und Heimkehrer gelegt wurden. Zum Beispiel unter dem Kühlschrank oder unter einer Kellerklappe. Sobald man sie öffnet oder bewegt, kommt es zur Sprengung. Einige der Minen sehen aus wie Thunfischdosen. Minen haben mehrere Zünder und explodieren auf Druck, Zug, Vibration, auf Temperaturunterschiede, werden von haarfeinen Stolperdrähten ausgelöst oder ferngesteuert. Es gibt Antifahrzeugminen, die angeblich zwischen einem Panzer und einem Schulbus unterscheiden können – Gott sei Dank noch nicht so viele, denn die lassen sich nicht entschärfen.

Jan Kölbel arbeitet für die in Bonn angesiedelte humanitäre Organisation „Help – Hilfe zur Selbsthilfe“, die auch die Fotos für diesen Bericht zur Verfügung gestellt hat (www.help-ev.de).

Meike Kloiber ist Ingenieurin und Journalistin und lebt in Hannover. Sie arbeitet sozialkritisch zu den Schwerpunkten Entwicklungspolitik und Reisen.

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