Störungsfront auf Durchzug

Von Robert Poth · · 2009/06

Indiens exportorientierter IT-Sektor ist derzeit etwas angeschlagen. Doch nach einem krisenbedingten Zwischenstopp sollte der Erfolgslauf weitergehen, glaubt die Branche.

Mit dem Ausbruch der weltweiten Finanzkrise war klar: Unbeschadet wird der indische IT-Sektor, nationaler Stolz und Erfolgsstory in Sachen Globalisierung, nicht davon kommen. Die nationalen Eigenbau-Unternehmen wie TCS (Tata Consultancy Services), Infosys und Wipro, erzielen den Großteil ihres Umsatzes im Export, und davon im Schnitt 41% im Finanzsektor (Banken, Finanzdienstleistungen, Versicherungen), gefolgt von Telekommunikation (20%) und Industrie (17%). Kunden gehen durch Konkurse und Fusionen verloren, der Rest muss oder will sparen, verschiebt Entscheidungen und verhandelt härter. Bereits 2008, berichtete TCS, waren die realisierten Preise um 4,9% gesunken.

Kaum waren die Börsenwerte der Branche auf einen Tiefstand gerasselt, erschütterte Anfang Jänner zudem ein Börsenskandal à la Enron Indiens IT-Branche: B. Ramalinga Raju, Chef des Softwareunternehmens Satyam mit renommierten Kunden wie Cisco und Nestlé, gab jahrelange Bilanzfälschungen in einer Gesamthöhe von rund 1,5 Mrd. US-Dollar zu. Mit den Details befassen sich derzeit Gerichte in Indien und den USA; das Unternehmen selbst bleibt jedenfalls bestehen – unter Kontrolle von Tech Mahindra, einer Tochter von British Telecom und dem indischen Nutzfahrzeughersteller Mahindra & Mahindra, mit 25.000 MitarbeiterInnen etwa halb so groß wie Satyam mit 48.000, die Nr. 4 der Branche.

Wie stark sich die weltweite Rezession tatsächlich auswirken wird, bleibt weiter unklar. Mit den Umsatzzuwächsen von 30% pro Jahr, im letzten Jahrzehnt in der Regel (siehe Kasten), ist es vorläufig vorbei. Infosys erwartet für das Geschäftsjahr 2009 ein Umsatzminus von 3-3,5%, bestenfalls eine Stagnation – es wäre der erste Umsatzrückgang in der Geschichte des Unternehmens. TCS und Wipro verzichteten bisher überhaupt auf Umsatzprognosen; die Angaben zu den erwarteten Preissenkungen schwanken zwischen 4 und 6,5%.

Weltweit wird der Kuchen 2009 jedenfalls schrumpfen. Laut dem IT-Marktforschungs- und Beratungsunternehmen Gartner dürften die gesamten IT-Ausgaben (Hardware, Software, IT-Dienstleistungen und Telekom) um fast 4% sinken, ein stärkerer Rückgang als nach dem Platzen der Dot.com-Blase 2001. Die Ausgaben für IT-Dienstleistungen, die im Vorjahr noch um 7,6% auf rund 810 Mrd. Dollar stiegen, sollten laut Gartner um 1,7% auf 796 Mrd. Dollar fallen. In einem Marktsegment, BPO (Business Process Outsourcing) könnte die Krise indischen Anbietern jedoch Marktanteilsgewinne bescheren, glaubt Gartner: Die Rezession wird Kosteneinsparungen erzwingen und damit die Auslagerung von Geschäftsprozessen begünstigen.
Erfolgsstory IT-Branche 1998-2008/9
  • Exporte: Jährliches Wachstum 33% – von 2 Mrd. US-Dollar auf 47 Mrd. Dollar (Schätzung); Anteil an den Gesamtausfuhren stieg von weniger als 4% auf beinahe 16% (kumulierte Ausfuhren finanzieren 65% der Nettoölimporte Indiens im gleichen Zeitraum)
  • Inlandsmarkt: Jährliches Wachstum 26%; Prognose 2009: 22 Mrd. Dollar (+ 20%);
  • Beschäftigung: 2,3 Millionen, 30% davon Frauen; indirekt geschaffene Arbeitsplätze: 8 Millionen;
  • Nettowertschöpfung des Sektors 2008/9: 3,5-4,1% des Bruttoinlandsprodukts.
  • Indische „Global Players“, darunter Tata Consultany Services, Infosys und Wipro, mit weltweiter Präsenz; expandieren auch durch Übernahmen (Ende 2008 übernahm TCS die „Back Office“-Tochter der US-Bank Citigroup um rund 500 Mio. Dollar sowie HCL Tech eine Mehrheit an der britischen, auf die Unternehmenssoftware SAP spezialisierten Beratungsfirma Axon um 660 Mio. Dollar).

    Schwächen/Trends
  • Der inländische Markt wird von ausländischen Anbietern wie IBM, HP/EDS, Cognizant und Accenture dominiert, Marktführer mit einem Anteil von mehr als 13% ist IBM (Ende 2007 bereits mehr als 70.000 Beschäftigte in Indien);
  • starke Abhängigkeit vom US-Markt (60%), doch starkes Wachstum in Europa 2004-2008: Großbritannien 41,4% p.a.; Kontinentaleuropa 51,4% p.a.
  • mangelnde Qualität der tertiären Bildung, hohe Trainingskosten; hohe jährliche Mitarbeiterfluktuation (bis über 30%), Lohnsteigerungen bis 20% jährlich (beides zuletzt jedoch nachfragebedingt halbiert)
  • relativ geringer Anteil hochwertiger Dienstleistungen, wenig firmeneigene/geschützte Software.

  • Zwar will Infosys weiterhin die bereits eingeplanten 25.000 neuen MitarbeiterInnen rekrutieren, Personalkürzungen sind nicht vorgesehen. Trotzdem dürften die Krisenfolgen vor allem von den jungen HochschulabsolventInnen getragen werden, die bisher von der Branche zu Hunderttausenden regelrecht aufgesaugt wurden. TCS etwa hat die Netto-Rekrutierung im letzten Quartal fast gestoppt und will die Auslastung erhöhen; die geplanten 20.000 neuen Trainees werden als „Puffer“ dienen – Einstellung je nach Bedarf.
    Wann es wieder aufwärts geht, weiß niemand – wahrscheinlich mit dem Jahreswechsel 2009/2010, so der aktuelle Konsens. Aber in Indien herrscht Zuversicht: Zumindest die größeren indischen Firmen haben kaum Schulden und verfügen über hohe liquide Mittel. In Kombination mit den gesunken Unternehmenswerten eröffnet ihnen das auch die Chance, kleinere Firmen relativ billig aufzukaufen, ihre Marktposition abzusichern und neue Marktnischen zu besetzen.

    Für die weitere Zukunft sind die Aussichten jedenfalls günstig. Chancen sieht die indische Branchenorganisation NASSCOM (National Association of Software and Services Companies) vor allem im Outsourcing von IT-Leistungen bzw. Geschäftsprozessen (ITO/BPO), ein Markt mit einem aktuellen Volumen von 80-100 Mrd. Dollar. Das weltweite Marktpotenzial wird aber auf das Fünffache geschätzt, und bis 2020 könnte das potenzielle Volumen 1.500 – 1.600 Mrd. Dollar erreichen, so die aktuelle Studie „Perspective 2020“.

    Doch welchen Teil davon werden sich Anbieter in Indien sichern? Das Analyseunternehmen IDC etwa sieht China als Outsourcing-Destination bereits 2011 an erster Stelle. Als Outsourcing-Standorte für Nordamerika dürften aber auch Brasilien, Chile und Mexiko bzw. für Westeuropa Bulgarien und Rumänien an Bedeutung gewinnen. NASSCOM fordert daher konzertierte Anstrengungen aller Stakeholder, um die indische Führungsposition zu behaupten. Die Regierung etwa sollte die Qualität der tertiären Bildung erhöhen, eine flächendeckende IT-Infrastruktur ausbauen und das Wachstum des nationalen IT-Markts durch staatliche Nachfrage fördern.
    Wenn alles weiterginge wie bisher, würde der indische Marktanteil bis 2020 um 10% sinken, der Exportwert bloß auf 175 Mrd. Dollar zunehmen (plus 11-12% im Jahresschnitt) und der Inlandsmarkt von derzeit rund 20 auf 50 Mrd. Dollar wachsen (plus 7-8% pro Jahr) – für NASSCOM eine Art Misserfolg. Die Ambitionen der Branche hat die Krise offenbar nicht beschädigt.

    www.nasscom.in

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