Tänzerinnen wider Willen

Von Gabriele Müller · · 1999/03

Beim brisanten Thema Frauenhandel wird oft der Entsscheidungsspielraum der Betroffenen übersehen. In Schwierigkeiten bringt sie weniger die organisierte Kriminalität, als ihre prekäre rechtliche Situation im Zielland.

Nackte Zahlen gibt es keine, nur Vermutungen. Der Handel mit unfreiwilligen Prostituierten wirft jährlich rund sieben Milliarden Dollar ab, berichtete die Berliner „tageszeitung“: mehr als das internationale Drogengeschäft.

Und: Von 1.045 in Österreich bekanntgewordenen Fällen sind 1.045 Frauen. Die gerichtliche Kriminalstatistik des Innenministerium weiß von 316 Fällen (im Jahr 1994), die angezeigt wurden. In nur 49 davon wurden die Täter wegen Menschenhandels nach § 217 verurteilt.

Von einem „Sicherheitsproblem neuer Qualität“, spricht Albin Dearing, Leiter der Rechtsabteilung des Innenministeriums. Gemeint ist die organisierte Kriminalität, durch die Frauen aus Osteuropa und Ländern der Dritten Welt „unter Vorspiegelung falscher Tatsachen“ rekrutiert und ins westliche Europa gebracht werden. Entstanden seien diese Organisationen „nicht auf dem Reißbrett, sondern durch allmähliche Vernetzung von Menschenhändlern, Schlepperbanden und Zuhälterringen“.

Der „Mythos Mafia“ täuscht jedoch oft über die Lebenswirklichkeit der Frauen hinweg, die sich zur Migration entschlossen haben, um etwa ihrer Familie daheim ein Auskommen zu sichern. „Die kriminelle Energie im Handeln der Migrationshelfer,“ berichtet auch die Stuttgarter Beratungsstelle Fraueninfomationsstelle, „wird überschätzt“. Nur knapp über 20 Prozent der Klientinnen des Zentrums hatten eine organisierte Vermittlung mit Profitinteresse für ihre Ausreise benutzt.

„Frauenhandel“ in der neueren Zeit wurde in Europa erstmals Anfang der achtziger Jahre öffentlich thematisiert. In der Schweiz war es die entwicklungspolitische Organisation „Erklärung von Bern“, die sich der Arbeitsbedingungen von Cabaret-Tänzerinnen aus Afrika, Asien und Lateinamerika annahm. Die Gruppe verklagte den Arbeitgeber von philippinischen Tänzerinnen, der Bundesrat reagierte prompt mit der Verschärfung der Einreisebestimmungen. Der „künstlerische Gehalt“ der beabsichtigten Darbietung mußte nun schriftlich nachgewiesen werden.

Die Frauen hatten es nun schwerer und die Barbesitzer ein zusätzliches Geschäft. Der teure „Tanzkurs mit Diplom“ konnte jedoch – immerhin – nachträglich abgearbeitet werden.

Migrantinnen selbst begannen, gegen die intensive Öffentlichkeitsarbeit wohlmeinender Gruppierungen zu rebellieren. Mitleidsstories über Frauen, die als Kellnerin angeworben und als Prostituierte beschäftigt wurden, trugen das Ihre zu vorschnellen Urteilen bei.

Erst Mitte der neunziger Jahre konnten sich die Nicht-Regierungsorganisationen zu einer neuen Definition einigen. „Um Frauenhandel handelt es sich dann“, so der Konsens, „wenn eine Migrantin hohe Summen für die Vermittlung bezahlt hat, mit falschen Versprechungen betrogen wurde, und sich im neuen Land in einer Zwangslage befindet, in einer Art Leibeigenschaft gehalten und gegen ihren Willen zu bestimmten Arbeiten gezwungen wird.“

„Das Entsetzen über die respektlose Behandlung“, heißt es in der Untersuchung des Frankfurter Instituts für Frauenforschung („Der Traum vom besseren Leben“), „verdrängt die Wahrnehmung der strukturellen Zwänge, denen wir alle ausgesetzt sind und die Handlungsstrategien der Einzelnen“. Empörung also auf der einen, Kriminalisierung der Frauen auf der anderen Seite.

Geholfen wird damit jenen, die „in Sachen Frauen“ handeln. Für jede abgeschobene Prostituierte, so weiß auch das österreichische Innenministerium, „kommt eine andere nach“.

Seit Anfang der neunziger Jahre ist die Arbeitsmigration ein „multilaterales Phänomen“ geworden. Die Internationale Arbeitsorganisation ILO schätzt, daß etwa eineinhalb Millionen Asiatinnen im Ausland arbeiten. In der Dominikanischen Republik leben ganze Städte und Dörfer von den Geldüberweisungen der Migrantinnen. So sind etwa 4.000 der knapp 15.000 BewohnerInnen der Stadt Vicente Nobles in Europa tätig.

Seit 1989 hat sich die Dynamik der Migrationsströme unerwartet verändert: Einige ehemalige Ostblockländer sind inzwischen sowohl „Sende- als auch Zielland“ der Frauenodysee geworden. Während einkommenslose Einwohnerinnen in den Westen ziehen, reisen Frauen aus den ärmeren Nachbarstaaten oder Ländern der Dritten Welt ein.

Die Internationale Organisation für Migration, IOM, schätzt, daß jährlich an die zwei Millionen Frauen in die Sexindustrie migrieren, sei es im eigenen, sei es in einem anderen Land.

Schon 1994 war etwa den thailändischen Behörden aufgefallen, daß sich die Zahl der eingereisten Russinen verdoppelt hatte. Wie viele von ihnen im Sexbusiness arbeiten, ist nicht belegt.

Die Organisation Lateinamerikanischer Exilierter Frauen in Österreich, LEFÖ, wurde erstmals Anfang der neunziger Jahre mit dem „Phänomen Frauenhandel“ konfrontiert. Nach heutiger Auffassung fallen darunter nicht allein Sexarbeiterinnen, sondern auch Personen, die etwa von Botschaften angeworben und über die „Legitimationskarte“ unterbezahlte Hausarbeit leisten.

„Das Problem“, meint Anna Kowalska von LEFÖ, sei weniger die Mafia, als die „rechtlich abgesicherte“ Hilflosigkeit der Frauen. Entschließt sich eine zur Anzeige wegen Menschenhandels oder anderer gegen sie begangene Verbrechen, droht ihr die Abschiebung.

Die Risikobereitschaft der Frauen, gegen Händler oder gewalttägige Ehemänner auszusagen, ist gering, weiß auch die Juristin der Frauenberatungsstelle LEFÖ, Sara Rodriguez. Zwar gebe es seit heuer eine rechtliche Verbesserung, etwa die Möglichkeit eines befristeten Aufenthaltes aus humanitären Gründen: Nur was kommt danach?

Ein Grundproblem aller Migrantinnen, betont Anna Kowalska, ist die Abhängigkeit von Ehemann und Arbeitgebern. Viele Frauen verzichten, trotz Gewalt, auf Scheidung. Besonders wenn sie fürchten müssen, das Sorgerecht für ihre Kinder zu verlieren.

Seit Inkrafttreten des neuen Fremdenrechtes 1993 betreute LEFÖ viele Frauen, die zwar eine Arbeitserlaubnis hatten, aber dennoch ihre Stelle verloren. Der „Befreiungsschein“ wurde nicht verlängert, wenn sie nicht die erforderlichen 52 Wochen Arbeit innerhalb der vergangenen 14 Monate nachweisen konnten.

Auch bei Scheidungen vor Ablauf von fünf Jahren Ehe – und das ist zumeist der Fall, wenn sie über Agenturen oder Vermittler angeworben wurden – sind Frauen rechtlos, wenn sie kein gemeldetes Dienstverhältnis nachweisen können.

Offizielle Daten, wie viele Frauen abgeschoben wurden, sei es wegen „Geheimprostitution“ oder „illegalen Aufenthaltes“, liegen nicht vor.

Nur selten gelingt es einer Frau, aus der Schubhaft Kontakt mit Betreuungsorganisationen wie LEFÖ Kontakt aufzunehmen. Bekannt wird der „Fall“ meist erst, wenn die Kriminalpolizei bei Razzien in Aktion tritt.

Frauen, die bei Razzien in Geheimbordellen festgenommen werden, sind meist in sehr schlechtem körperlichen und psychischem Zustand.

Die 31jährige Dominikanerin C., die als Tänzerin gearbeitet hatte, war in einem Bordell in Ybbs beschäftigt. Sie war als Kellnerin angeworben und über die Schweiz in die Steiermark gebracht worden. Dort erst verstand sie, daß sie „in der Prostitution“ zu arbeiten hatte. Ein burgenländischer Barbesitzer mit Spanischkenntnissen, so berichtet LEFÖ, bot sich an, „sie da herauszuholen“.

C. wurde schwanger, der Mann gewalttätig. Den Flug in die Heimat, den sie gebucht hatte, stornierte er heimlich und kassierte gleich das Geld des Tickets.

Das „Anschaffen“ ist in Österreich offiziell nur jenen gestattet, die sich als Prostituierte registrieren lassen und eine Kontrollkarte besitzen. In Wien sind rund 650 Gunstgewerblerinnen registriert. Die Dunkelziffer wird auf mindestens 10.000 geschätzt.

Die Bedingungen zur Anmeldung sind je nach Bundesland unterschiedlich. „Für Migrantinnen ist es fast unmöglich“, informiert LEFÖ in der Broschüre „Mach‘ dir selbst ein Bild“, „sich anzumelden“. Zu diesem Zweck würden sie eine Niederlassungsbewilligung für selbständige Erwerbstätigkeit brauchen. Diese aber wird an ausländische Prostituierte nicht erteilt. Ausnahme: eine Ehe mit einem Österreicher.

Seit der Haager Ministerdeklaration (April 1997) gibt es auf EU-Ebene verstärkte Bemühungen zum Schutz der Frauen vor sexueller Ausbeutung. Ein Schritt in Richtung Entkriminalisierung der Frauen – und damit zu ihrem Schutz – ist auch jener Paragraph des Femdengesetzes, der einen befristeten Aufenthalt in Ausnahmefällen gewährt. „Frauen können dann bei eventuellen Strafverfahren gegen die Täter aussagen,“ meint Sara Rodriguez, „und sogar Schadenersatzforderungen geltend machen“.

Die bisherige Erfahrung mit dem Gesetz hat jedoch wenig Erfreuliches gebracht. Die Frauen, die oft kein Deutsch sprechen, und erst nach der Einreise merken, was gespielt wird, wissen kaum um ihre Rechte Bescheid.

Seit kurzem betreibt LEFÖ die Interventionsstelle für Betroffene des Frauenhandels, IBF. Mit acht Plätzen in Wiener Notwohnungen hilft sie Frauen, denen es gelingt, aus ihrer Zwangssituation zu entfliehen. Die Betreuerinnen, sie sprechen Bosnisch, Kroatisch, Polnisch, Russisch, Ungarisch, Spanisch, Serbisch und Französisch, stehen in Kontakt zum Präventionsbeirat des Innenministeriums. Ziel des IBF ist es, die Sicherheit der Frauen zu gewährleisten.
Interessenskonflikt dabei: „Die Behörden wollen vorrangig eine Bestrafung der Täter“. Viele Frauenorganisationen drängen daher auf Anerkennung der Prostitution als Arbeit. Die Abhängigkeit und Notlage jener, die darin tätig sind, würde sich dadurch erheblich verbessern.

Die Autorin ist Übersetzerin und freiberufliche Journalistin. Sie lebt in Wien.

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