Treffpunkt Wolfbar und Paradiesstrand

Von Thomas Schmidinger · · 2007/09

In Beirut wagen Schwule und Lesben den Schritt hinaus. Neben offen deklarierten Szenetreffs arbeitet hier auch die erste offiziell anerkannte Menschenrechtsorganisation für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender-Personen in der arabischen Welt.

In einer dunklen Bar sitzen einige Männer zusammen und trinken Bier. Im Hintergrund läuft gerade Nancy Ajram mit ihrem gut tanzbaren libanesischen Pop. Auf dem Bildschirm sind jedoch nicht ihre Videos zu sehen, in denen die Künstlerin ihre sexy Hüftschwünge zeigt, sondern einige Wölfe, die durch eine Winterlandschaft streunen. Die Wolfbar in der Rue Makhoul im Westbeiruter Stadtteil Hamra ist eine ungewöhnliche Bar. Allerdings nicht, weil sie in Beirut liegt und gutes Bier zu Tanzmusik anbietet – davon gibt es in der Stadt jede Menge. Eine offen schwule Bar ist jedoch erst seit einigen Jahren möglich. Nirgends in der arabischen Welt gibt es so offen deklarierte Gay-Lokale wie hier in Beirut. Dabei ist die Wolfbar bei weitem nicht der einzige Treffpunkt für die libanesische Schwulen- und teilweise auch Lesbenszene. Auch das ACID in Sin el-fil – die älteste LGBT-Bar (kurz für lesbisch, schwul, bisexuell und transgender) des Libanon – das X-OM oder einige Cafés in Hamra und Downtown Beirut sind beliebte Treffpunkte für Schwule und Lesben. Dass die öffentlichen Lokale jedoch vor allem von Schwulen und weniger von Lesben besucht werden, ist kein auf den Libanon beschränktes Phänomen. Lesben sind eben auch Frauen, und je patriarchaler eine Gesellschaft, desto stärker wird auch die LGBT-Szene in der Praxis von Männern dominiert.
So sind auch die bekannten Gesichter der ersten und einzigen legal arbeitenden LGBT-Rechtsorganisation der gesamten arabischen Welt Männer. Georges Azzi ist der nationale Koordinator von Helem, die arabische Abkürzung steht für „Libanesischer Schutz für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender-Personen“. Im Büro der seit 2004 offiziell registrierten Organisation erzählt er von den Schwierigkeiten, eine solche Vereinigung im Libanon registrieren zu lassen. Eigentlich hatte sich seine Gruppe schon 2000 zusammengefunden. Bis die Regierung auch eine Registrierung als Nichtregierungsorganisation (NGO) ermöglichte, dauerte es vier Jahre. Die im Libanon notwendige Registrierungsnummer hat Helem bis heute nicht erhalten. „Unnatürlicher Geschlechtsverkehr“ steht schließlich immer noch unter Strafe. „Die größten Schwierigkeiten gibt es hier aber nicht so sehr mit dem Staat“, berichtet der junge Mann, „sondern mit der Gesellschaft.“ So sind es oft die Familien von Lesben und Schwulen, die die größten Probleme bereiten. Bei Drohungen durch Angehörige oder andere, die sich die „Wahrung von Sitte und Anstand“ zum Ziel gemacht haben, wäre es aber leider auch fast unmöglich, staatlichen Schutz zu beanspruchen. „Wenn irgendwer hier aufgrund von Homophobie bedroht wird, kann er nicht einfach zur Polizei gehen oder sich beschweren. Je nachdem in welchem Viertel von Beirut das vorkommt, kann es leicht sein, dass er dann selbst von der Polizei misshandelt wird“, berichtet Azzi.

Auch Helem selbst bekommt immer wieder Drohungen von Politikern, einzelnen Polizisten oder auch aus anderen arabischen Ländern, die eine offen arbeitende arabische LGBT-Organisation als Affront wahrnehmen. Einige arabische Staaten haben sogar die Website der Organisation blockiert. In Dubai oder Saudi-Arabien erhält man unter www.helem.net nur eine Fehlermeldung. Trotzdem bekommt Helem auch aus anderen arabischen Staaten immer wieder positive Rückmeldungen von dortigen Lesben und Schwulen, die es jedoch nicht wagen, unter den wesentlich autoritäreren Voraussetzungen in Ägypten oder gar in den Golfstaaten ähnliche Zusammenschlüsse zu gründen.
Hier in Libanon sei bis jetzt aber noch nie etwas ernsthaft Gefährdendes geschehen, erklärt George Azzi im Garten des Helem-Büros. Ob diese Drohungen von islamistischen Gruppen wie der Hizb Allah stammen? „Bis jetzt haben wir mit der Hizb Allah keine Probleme gehabt“, verneint Azzi, „das liegt aber auch sicher daran, dass wir in deren Gebiet noch nicht gearbeitet haben. Wir haben bisher nur in Beirut gearbeitet, und solange wir nicht in den südlibanesischen Hizb Allah-Gebieten oder den Hizb Allah-Stadtvierteln von Beirut tätig werden, kommen wir denen eigentlich nicht in die Quere.“ Angriffe gegen Helem kämen hingegen manchmal von politischen Parteien und Gruppen, die vordergründig so tun, als seien sie liberal und weltoffen. „Was die Rechte von Schwulen und Lesben betrifft, ist manch Liberaler dann plötzlich nicht mehr so liberal“, weiß der Helem-Sprecher aus Erfahrung. Homophobie gäbe es hier quer durch alle gesellschaftlichen Schichten und religiösen Gruppen, erläutert er. So ist Helem im konfessionell zerrissenen Libanon eine jener NGOs, in der sich SchiitInnen, SunnitInnen, IsmaelitInnen, AlawitInnen, DrusInnen und Angehörige der verschiedenen christlichen Konfessionen treffen. Homophobie, also irrationale Angst vor Homosexualität, verbunden mit Hass und Vorurteilen gegenüber Homosexuellen, gibt es schließlich in allen diesen Religionsgemeinschaften.

Handelte es sich bei den Gründern von Helem noch ausschließlich um Schwule, so sind in den letzten Jahren auch immer mehr Frauen dazu gestoßen. „Seit wir eine eigene Lesbengruppe haben, sind sogar wesentlich mehr Lesben als Schwule bei uns Mitglied“, erzählt George Azzi. Allerdings würden sich die Frauen noch nicht an die Öffentlichkeit wagen.
Zwar stört es niemanden, wenn zwei Frauen miteinander Händchen haltend spazieren gehen. Aber dass weibliche Homosexualität oft als weniger bedrohlich wahrgenommen wird, weil man sie nicht so ernst nimmt, sieht George Azzi nicht unbedingt als Vorteil: „Selbstverständlich ist es für Männer schwieriger, in der Öffentlichkeit Körperkontakt zu zeigen. Aber ich kann wenigstens so lange ausgehen wie ich will oder alleine leben. Für unsere Frauen ist das schon fast unmöglich.“ Als Frauen haben Lesben mit all jenen Problemen zu kämpfen, die auch heterosexuelle Frauen plagen. Im Wesentlichen geht es dabei immer um Unabhängigkeit. Als Frau ohne den Schutz und die Kontrolle männlicher Familienmitglieder selbständig leben zu können und über ein eigenes Einkommen zu verfügen, ist auch in der liberalsten aller arabischen Städte alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Immerhin können die Frauen und Mädchen von „Souhaq“, der Frauengruppe von Helem, genau darum kämpfen. Schließlich sind auch in Europa Frauenrechte nicht vom Himmel gefallen, sondern waren Resultat langer politischer und gesellschaftlicher Kämpfe.
Die mittlerweile auf 70 Mitglieder angewachsene Frauengruppe trifft sich nicht nur regelmäßig, sondern hat bereits eine eigene Broschüre herausgebracht. Darin wird der Wunsch geäußert, dass die junge Generation der libanesischen Lesben „ihrer Verwirrung und ihrem Ärger über die Unfairness“ Ausdruck verschafft. Und schließlich wünscht sich eine der Autorinnen mit dem Pseudonym Chantal, „dass mehr Menschen realisieren, dass unser Kampf hier nicht nur ein LBTQ-Thema [Kurz für lesbian, bisexual, transgender, queer] ist, sondern direkt mit der Frage der Frauenrechte verbunden ist“.
In diesen Fragen finden die Organisation Helem und ihre Lesbengruppe immer wieder BündnispartnerInnen in anderen NGOs, die keine Berührungsängste mit Lesben und Schwulen mehr haben. „Wir haben auch immer wieder Awareness-Programme mit anderen NGOs durchgeführt, damit wenigstens Frauengruppen und andere NGOs auch außerhalb von Beirut zumindest irgendwie auf unsere Themen sensibilisiert werden“, erzählt George Azzi.

Für offen als Schwule oder Lesben lebende LibanesInnen ist es trotzdem oft die bessere Alternative, nach Beirut zu ziehen. In der Wolfbar lerne ich Tarafa und Omar kennen. Tarafa kommt aus Tripoli, lebt aber seit einigen Jahren in Beirut. Sein Freund Omar lebt im Sommer die meiste Zeit in Paris und überwintert nur in Libanon. Im Augenblick ist er einige Tage bei Tarafa zu Besuch. In Tripoli, erzählen die beiden, gäbe es nur ein altes Hammam in der Nähe des Goldsuqs, das als Schwulentreffpunkt und Cruising Area für den Kontakt mit potenziellen Sexpartnern dient. Bars, wie hier in Beirut, oder gar lesbischwule NGOs wären dort unmöglich.
Die beiden schwärmen deshalb für das Nachtleben in Beirut und für den Paradise Beach in Jbeil. Dort, im alten Byblos, unter den Phöniziern Hauptumschlagplatz für Papyrus, hat sich einer der wenigen Schwulentreffpunkte außerhalb Beiruts entwickelt. In der ehemals mondänen Urlaubsstadt am Mittelmeer, deren Namen wir heute noch in Begriffen wie Bibliothek oder Bibliographie wieder finden, sind zur Zeit kaum internationale Gäste anzutreffen. Der Paradise Beach etwas außerhalb des Stadtzentrums ist somit ganz der libanesischen LGBT-Community überlassen.

Thomas Schmidinger ist Lehrbeauftrager am Institut für Politikwissenschaft in Wien und Obmann der im Irak tätigen Hilfsorganisation Wadi.

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