Überraschung an der Urne

Von Brigitte Voykowitsch · · 2009/07

Gegen Extremismus jeder Form und gegen Polarisierung religiöser Gruppen – das war die Hauptaussage des Wahlergebnisses in Indien. Die Linke erhielt einen Denkzettel wegen ihres Paktierens mit dem Big Business.

Ein klarer Sieg für die Kongresspartei, eine Niederlage für die hindu-nationalistische Indische Volkspartei (BJP) und für die Linke: Dieses Wahlergebnis hatte niemand in Indien erwartet, kein Analyst und auch keine politische Gruppierung. In der Deutung des Resultats sind sich die ExpertInnen jedoch weitgehend einig: Es war ein Votum für Stabilität, Inklusion und Säkularismus und – zumindest auf nationaler Ebene – eine unmissverständliche Absage an jede Form des Extremismus, sei er nun ideologisch, religiös, klassen- oder kastenbedingt.

206 von 543 Sitzen hat die Kongresspartei erhalten, gemeinsam mit ihren Koalitionspartnern in der United Progressive Alliance (UPA) kommt sie auf 262 Sitze und kann dazu noch auf die Unterstützung einiger kleinerer Parteien zählen. Die BJP schaffte dagegen lediglich 116 Mandate, die Linke – das heißt die Kommunisten (CPI) und Marxisten (CPI-M) – kam gar nur auf 24 Sitze.

Ausschlaggebend für den Erfolg der Kongresspartei waren die sozialpolitischen Maßnahmen während ihrer Amtszeit von 2004 bis 2009, insbesondere der Schuldenerlass für die Bauernschaft und das Nationale Projekt zur Arbeitsbeschaffung im ländlichen Raum (NREGS), das armen Familien 100 Tage Lohnarbeit pro Jahr zusichert. Dazu kam, dass die muslimische Bevölkerung der Kongresspartei diesmal wieder verstärkt ihre Stimme gab. Die Regionalparteien, denen sie sich zugewandt hatte, erwiesen sich als äußerst unzulängliche Verfechter ihrer Interessen.

Illusionen über die Kongresspartei hegt niemand. Bei der Umsetzung von NREGS gibt es große Mängel, wobei jede Bundesregierung hier auf die Kooperation der Länder angewiesen ist. Statt 100 Arbeitstagen wurden im Landesschnitt nur 17 geschaffen. Die schlechteste Bilanz weisen ausgerechnet Kerala und Westbengalen auf, die zwei von der Linken regierten Bundesländer. Deren zunehmend gegen die Armen gerichtete und dem Neoliberalismus verpflichtete Politik gab den Ausschlag für ihre Wahlniederlage. Singur und Nandigram, wo es zu gewalttätigen Konflikten um Landenteignungen zugunsten von Industrieprojekten kam, sind nicht vergessen, im Gegenteil: Die zwei Orte in Westbengalen sind zum Symbol geworden für die Allianz der Linken mit dem Big Business und deren Bereitschaft, staatliche Gewalt gegen widerständische Bauern und Landlose einzusetzen.

Die Schlappe der Linken stellt somit keine Absage an linke Politik dar, sondern vielmehr eine Forderung nach verantwortungsvoller Sozialpolitik. Der Zugang zu Land, Wasser- und Stromversorgung, Arbeitsplätze und Bildung – das sind die Anliegen, die die Menschen bewegen. Das Risiko, mangels Einkommen Hunger und Not zu erleiden, ist für die Durchschnittsbevölkerung immer noch weitaus höher als die Gefahr, Opfer eines Terroranschlags zu werden. Das ist auch der Grund, warum die BJP mit ihrem Fokus auf nationale Sicherheitsinteressen nicht punkten konnte. Landesweit gesehen, lehnten die WählerInnen die auf die Polarisierung der Religionsgruppen gerichtete Politik der BJP ab.

Friede zwischen den Religionsgruppen ist auch eine wichtige Voraussetzung für wirtschaftliche Stabilität, und die kann – bei allen Fehlern und Mängeln – noch immer die Kongresspartei am besten garantieren, lautet das Urteil der WählerInnen. Der alte und neue Premierminister Manmohan Singh versprach in seiner Antrittsrede Bemühungen um eine Belebung der Wirtschaft, deren Wachstum im Vorjahr von neun auf 6 bis 7 Prozent gesunken war. Infolge der weltweiten Krise gingen auch in Indien Millionen Arbeitsplätze verloren, betroffen waren vor allem exportorientierte Sektoren wie Textilien, Leder oder Juwelen, aber auch die IT-Branche.

Dem Premier muss es nun gelingen, die Interessen der Armen und der Landlosen ebenso zu vertreten wie jene der aufstrebenden Mittelklassen. Das sachliche und zurückhaltende Wesen des Premierministers kommt in Indien gut an. Auch nach dem Wahlerfolg blieb Manmohan Singh nüchtern. Nicht wenige AnalystInnen warnen die Partei daher vor Überheblichkeit und auch davor, für die Zukunft wieder auf die Fortsetzung der Nehru-Gandhi-Dynastie anstatt auf Leistung zu setzen.

Manmohan Singh ist 76 Jahre alt. Mit seinen 39 Jahren erscheint Rahul Gandhi als der ideale künftige Parteichef. Bereits sein Urgroßvater (Jawaharlal Nehru), seine Großmutter (Indira Gandhi) und sein Vater (Rajiv Gandhi) waren Premierminister gewesen und haben zusammen fast 40 Jahre lang Indien regiert. Rahul Gandhi galt lange als politisch desinteressiert, erst vor fünf Jahren kandidierte er erstmals für das Bundesparlament. Langsam aber gewinnt er an Profil, und seit kurzem ist er Generalsekretär der Kongresspartei. Mit seiner Jugend und seinem Charme soll er eine neue Generation von WählerInnen für die Kongresspartei gewinnen.

Brigitte Voykowitsch ist freie Radio- und Printjournalistin mit Schwerpunkt Südasien.

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