Unbezahlbar und unmoralisch

Von Robert Poth · · 2001/02

In Sachen Schuldenerlass mühen sich die reichen Länder von einer Halbherzigkeit zur nächsten. Hoffnungsträger für den nächsten Schritt: der G-8-Gipfel in Genua.

Schuldenkrisen folgen einem Muster, meint der Ökonom Charles Kindleberger: Einer Periode des „Wahnsinns“, in der Kredite fahrlässig vergeben werden, folgen Panik und Krise. Auf nationaler Ebene sorgen zumeist Konkurs- und Ausgleichsverfahren für einen Abbau eines unbezahlbaren Schuldenüberhangs. Ähnliche Rechtsinstrumente für Schulden souveräner Staaten existieren zwar nicht. Trotzdem endete die Schuldenkrise in den dreißiger Jahren im wesentlichen damit, dass die Schuldnerländer – insbesondere Lateinamerika – die Zahlungen einstellten.
Anders läuft es seit den achtziger Jahren: Dem Norden ist es gelungen, negative Auswirkungen auf die eigene Wirtschaft weitgehend abzuwenden. Stattdessen werden die Schuldnerländer wirtschaftlich stranguliert. Als Hauptinstrument dient der Internationale Währungsfonds IWF, der wie ein „Zerberus“ den Zugang zu den internationalen Kapitalmärkten kontrolliert. Das Resultat: Der „Kater“ nach dem Wahnsinn will einfach nicht aufhören, und die Krise wird zum Normalzustand.

So ist es gelungen, die Tatsache, dass etwa Lateinamerika und die Karibik jährlich rund 35 Prozent ihrer Exporteinnahmen als Schuldendienst an den Norden abführen, als „normal“ erscheinen zu lassen. Und dass eine ähnliche Strategie für die ärmsten Länder auf einen endlosen Alptraum hinausläuft, begann eine breitere Öffentlichkeit erst in den letzten Jahren zur Kenntnis zu nehmen.
Das Verdienst dafür kommt sicher in großem Maß der weltweiten Kampagne zu, die von der Schuldenerlass-Koalition Jubilee 2000, ungezählten AktivistInnen und nationalen Initiativen seit 1996 geführt wurde. Ihr Ziel: Streichung aller Schulden der ärmsten Länder in einem fairen und transparenten Verfahren. Denn diese Schuldenlast ist nicht nur unbezahlbar, sondern auch „unmoralisch“, so der nigerianische Präsident Olusegun Obasanjo: „Die Leute, die diese Darlehen gewährt haben, wussten, dass das Geld nicht vernünftig verwendet wurde. Vielleicht haben sie sogar selbst einen Schnitt dabei gemacht. Aber die gewöhnlichen Menschen in Nigeria müssen diese Darlehen zurückzahlen. Das ist die ganze Ungerechtigkeit.“

Offiziell ging die Kampagne im Dezember zu Ende. Jubilee 2000 bilanziert ihre Erfolge so: eine gewisse echte Schuldenstreichung, eine bisher unerreichte breite Unterstützung, eine Transformation der öffentlichen Meinung, eine neue Nord-SüdSolidarität, ein Beitrag zum „Empowerment“ von Stimmen aus dem Süden, und die mit 24 Millionen Unterschriften größte Petition der Geschichte. Aber in der Sache selbst sind die Ergebnisse völlig unbefriedigend (siehe Kasten). Wie Ann Pettifor, Galionsfigur von Jubilee, es formuliert: „Es ist ein Skandal, dass am Ende des Millenniumsjahres die Reichen reicher sind denn je, aber sogar Länder, die von den Maßnahmen der Gläubiger profitiert haben, zwei Milliarden US-Dollar reservieren müssen um die Kassen der Reichen zu füllen.“
Daher wird auch weitergemacht. Eine kleinere Organisation in London, „Drop the Debt“, wird eine Kampagne bis zum nächsten Gipfel der Gruppe der Acht (G-7 inklusive Russland) in Genua im Juli organisieren. Der italienische Ministerpräsident Giuliano Amato kündigte bereits an, dass dabei der Schuldenerlass für die ärmsten Länder und die Bekämpfung der Armut zentrale Themen sein werden. Außerdem wurde eine Nachfolgeorganisation namens Jubilee Plus gegründet, die den Fortschritt bei der Entschuldung beobachten und den Website von Jubilee 2000 weiterführen wird. Die Forderungen: Rascherer Schuldenerlass für die ärmsten Länder; 100-prozentige Abschreibung von Forderungen von Weltbank und IWF; Schuldenerlass auch für schwerverschuldete Länder wie Nigeria, Haiti, Peru oder Bangladesch; und die Schaffung eines unabhängigen, internationalen Verfahrens für einen gerechten Ausgleich von Gläubiger- und Schuldnerinteressen.

Zweifellos geht es letztlich darum, dem Auftreten von Schuldenkrisen möglichst vorzubeugen. Ein Mittel dazu wären Maßnahmen gegen die strukturelle Benachteiligung der meisten Entwicklungsländer im Weltwirtschaftssystem, wie sie – innerhalb der Logik des freien Welthandels – auch von IWF-Chef Horst Köhler und Weltbankpräsident James Wolfensohn gefordert werden. Aber auch hier geben die reichen Länder ähnliche „Lippenbekenntnisse“ wie in der Frage der Entschuldung ab, von denen der südafrikanische Erzbischof Njongokulu Ndungane die Nase voll hat, wie er in einem Kommentar Anfang Jänner festhielt. Die „einzige Methode“, die Gläubigernationen aufzurütteln, sei die „Einstellung des Schuldendienstes durch die Schuldnerländer“. Das scheint so falsch nicht zu sein.

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