„Ursuppe an Leid und Ungerechtigkeit“

Von Christine Tragler · ·

Warum Frauen und deren Bedürfnisse beim Thema Abtreibung unsichtbar gemacht werden, erklärt die Autorin und Aktivistin Sarah Diehl.

Abtreibung ist bei rechten Parteien ein beliebtes Thema. Wieso?

Abtreibung bietet sich an, um damit Frauen wieder zurück in ihre Rollen zu schicken, die da heißen: geschlechtliche Arbeitsteilung und unbezahlte Familienarbeit. An dem Frauenbild, dass Frauen eher für die Bedürfnisse anderer da sein sollen, als für ihre eigenen, wird festgehalten. Zudem ist es ein leichtes Spiel für Rechte, sich als Lebensretter und Bewahrer von traditionellen Familienwerten zu inszenieren – die Arbeit, diese Werte herzustellen, müssen aber die Mütter und nicht die Politiker und Politikerinnen tragen.

Donald Trump trat vor kurzem als erster US-Präsident bei einer Kundgebung von AbtreibungsgegnerInnen auf. Einst forderte er, das Thema den Frauen zu überlassen. Warum der Meinungswandel?

Konservative wollen über religiöse Vorstellungen Machtpolitik betreiben. Die emotionale Erpressbarkeit wird immer wieder über evangelikale Rhetorik hergestellt. Religion und Politik sind hier so verzahnt, dass es als Druckmittel eingesetzt wird, um an der Macht zu bleiben. Indessen werden die Frauen dahinter und deren Bedürfnisse unsichtbar gemacht. Mit einem Diskurs zu Schuld und Scham kann man sie sehr gut in Schach halten. 

Woher kommt dieser Schuld- und Schamdiskurs?

Das geht zurück bis an die Wurzeln des Patriarchats. Männer wollen die Sexualität und Gebärfähigkeit der Frauen kontrollieren. Durch den Katholizismus wurde die Stärke der Frau, die Gebärfähigkeit, zu einer Schwäche umgedeutet. Dass Frauen keine Kontrolle über ihre Gebärfähigkeit haben, über ihre Sexualität und ihren Körper, das ist die Ursuppe an Leid und Ungerechtigkeit in dieser Welt.

Weltweit sind unsichere und illegale Abtreibungen eine häufige Todesursache für schwangere Frauen. Wer Leben retten will, sollte vielmehr Abtreibungen legalisieren, oder?

Ja, deshalb ist es wichtig, dass hier ein Rhetorikwechsel stattfindet. Dass Abtreibung eine sehr verantwortungsvolle Entscheidung von Frauen für ihre Familie ist, für die Kinder, die sie schon hat. In Deutschland ist es so, dass über 60 Prozent aller Frauen, die Abtreibungen machen, Mütter sind. Es ist verrückt, Frauen zu verbieten, existenzielle Entscheidungen über ihre Körper und ihre Zukunft selbst zu treffen. Wer, wenn nicht die betroffenen Frauen, wissen über ihre Kapazitäten Bescheid und können die Konsequenzen einer Mutterschaft einschätzen.

Inwiefern hat die Abtreibungspille die Situation verändert?

Mit der Abtreibungspille kann Tausenden das Leben gerettet werden. Die Weltgesundheitsorganisation WHO vermutet, dass der Rückgang an Todesopfer an der Abtreibungspille liegt. Frauen erhalten dadurch wieder Gestaltungsspielräume. Denn: Wo sie nicht legal möglich ist, kann die Pille mit der Post verschickt, geschmuggelt oder unter der Hand in Apotheken vergeben werden. Nur: Viele Frauen wissen nicht über die Möglichkeit der Abtreibungspille Bescheid, auch in Deutschland. Das sehen wir beim Projekt Ciocia Basia, bei dem wir ungewollt Schwangere aus Polen unterstützen und sichere und straffreie Schwangerschaftsabbrüche in Berlin organisieren. Mittlerweile bekommen wir auch Anrufe von Frauen in Deutschland, die nicht wissen, wohin sie sich sonst wenden sollen.

Erleben wir bei diesem Thema einen weltweiten Backlash?

Es gibt viele Bewegungen rückwärts, denken wir etwa an den Ausbau der sogenannten Märsche für das Leben. Aber: Es gibt auch einzelne progressive Schritte. So haben zum Beispiel Nord-Mazedonien und Island ihre Abtreibungsgesetzgebung bis zur 20. Woche weiter legalisiert. In Kanada, wo Abtreibung seit 1988 komplett legalisiert ist, können die Frauen mit Hilfe der Telemedizin selber die Dinge in die Hand nehmen. Und in Frankreich ist es nunmehr illegal, dass AbtreibungsgegnerInnen vor Kliniken demonstrieren. Sie dürfen auch keine falschen Informationen ins Internet stellen. Das wird vom Innenministerium kontrolliert. Daran sollten sich andere Länder ein Beispiel nehmen.

Ich glaube, dass Veränderung immer von unten kommt. Und: Die Frauen sind selbstsicherer geworden. Argentinien ist ein schönes Beispiel dafür, wo Frauen lauthals ihre Rechte einfordern. Das lateinamerikanische Land wird da auch eine Vorbildfunktion am Kontinent haben. Ich versuche das Utopische zu sehen.

Wie würde die Utopie dazu aussehen?

Dass Gebärfähigkeit nicht mehr mit Ängsten, Kontrolle und Zwang verbunden ist, sondern mit Schönheit und Stärke. Alle Informationen und Methoden sollen für alle kostenlos sein. Die Menschen, die betroffen sind, sollen selbst bestimmen können, wo und wie sie eine Geburt oder eine Abtreibung haben wollen. Diese Selbstbestimmung würde immens viel verändern, wie Männer und Frauen und Kinder miteinander umgehen würden.

Interview: Christine Tragler

Sarah Diehl lebt als Autorin und Aktivistin in Berlin. Sie arbeitet seit 15 Jahren zum Thema Reproduktive Rechte im internationalen Kontext und hat u.a. den Dokumentarfilm „Abortion Democracy: Poland/South Africa“ gedreht sowie das Buch „Die Uhr, die nicht tickt“ geschrieben.

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