Vernetztes Schenken

Von Rudi Lindorfer · · 2009/12

Beim Schenken sollte man nicht nur an die zu Beschenkenden denken, sondern auch daran, wie die Geschenke produziert wurden. Schließlich hängt alles eng zusammen, meint der Buchhändler unseres Vertrauens.

Eine frohe Botschaft: Es werden immer mehr fair gehandelte Produkte gekauft. Laut einer Meinungsumfrage der Universität Gießen ist 90 Prozent der VerbraucherInnen Umweltschutz wichtig, 75% erwarten, dass sich Unternehmen gegenüber MitarbeiterInnen verantwortlich zeigen und 85% sprechen sich für fair gehandelte Kleidung aus. Doch immer noch fallen im weltweiten Handel insgesamt Waren aus den genannten Segmenten kaum ins Gewicht. Gerade jetzt in der Vorweihnachtszeit fließt das Geld – und nach wie vor fließt es Konzernen zu, die ihre Waren zu unmenschlichen Bedingungen produzieren lassen und an die Umwelt höchstens in Werbebroschüren denken.

Das Denken beim Schenken sollte sich deshalb nicht nur auf die Wünsche der zu Beschenkenden konzentrieren, sondern auch auf die Herkunft der Geschenke. Eine Hilfe ist „Fair einkaufen – aber wie?“ von Martina Hahn und Frank Herrmann. Der Leitfaden ist für EinsteigerInnen ebenso von Nutzen wie für jene, die eh schon alles zum Thema wissen, aber bestärkt werden wollen. Die nach Sachgebieten geordneten Kapitel sind informativ und gut recherchiert.

Wie eng alles auf dieser Welt zusammenhängt, wie verknüpft sie schon lange ist, beweist der prachtvolle Folio-Band „Nichts als die Welt“, herausgegeben und mit Begleittexten versehen von Georg Brunold. Literatur aus 2500 Jahren in Form der Reportage: „Depeschen aus der Hölle von Vietnam“ (1968, Michael Herr), „Die Kaiserkrönung von Haile Selassie“ (1930, Evelyn Waugh), „Der Totengräber von Hallstatt“ (1988, Christoph Ransmayr) oder „Die Pest in London“ (1665, Daniel Defoe), der Bericht von Thukydides „Perikles spricht zu den Athenern“ (um 429 v. Chr.), Karl Kraus‘ „Reklamefahrten zur Hölle“ (1921), Egon Erwin Kischs „Bei Ford in Detroit“ (1928). Diese Reportagen namentlich zu erwähnen, heißt eigentlich, den restlichen 146 Texten Unrecht zu tun, was Inhalt und Stil betrifft und was sie an Wissen vermitteln.

Eine der großartigsten Reportagen überhaupt findet sich im vierten Teil von Roberto Bolaños Roman „2666“ (s. a. die Rezension in Südwind 11/2009 von Werner Hörtner). Auf nahezu 340 Seiten zeichnete er da Morde an Frauen in Ciudad Juárez, Nordmexiko, von Jänner 1993 bis Dezember 1997, auf: sachlich, auf höchstem literarischen Niveau und so eindringlich, dass einem das Grauen aufsteigt. „2666“ wird im Literatur-Himmel zwischen den großen Welterklärungsversuchen wie „Don Quichote“ und der „Göttlichen Komödie“ seinen Platz finden.

Martina Hahn/Frank Herrmann:
Fair einkaufen – aber wie?
Brandes & Apsel, Frankfurt a. M. 2009, 248 Seiten; € 20,50

Daniel Alarcón: Lost City Radio
Übersetzt von Friederike Meltendorf. Wagenbach, Berlin 2008, 315 Seiten, € 23,60

Georg Brunold (Hg.):
Nichts als die Welt
Galiani, Berlin 2009, 683 Seiten mit SW-Fotos, € 87,40

Roberto Bolaño: 2666
Übersetzt von Christian Hansen.
Hanser, München 2009, 1096 Seiten, € 30,80

Reine Fiktion ist Daniel Alarcóns Roman „Lost City Radio“, aber die Umstände sind so wahr, wie in Literatur Realität einfließt und in Augenzeugenberichte ein genialer Schuss Fiktion. In einem unbenannten, vom Bürgerkrieg verwüsteten südamerikanischen Staat gibt die Radiosprecherin Norma den Menschen Hoffnung. Die alten Sprachen sind verboten, die Ortsnamen durch Nummern ersetzt und Vergessen ist Staatsraison. Norma aber moderiert sehr subtil eine Sendung, in der die ZuhörerInnen nach ihren verschwundenen Angehörigen und FreundInnen suchen können.

Der Roman (Autor und Übersetzerin wurden mit dem Internationalen Literaturpreis 2009 des „Haus für Kulturen“ in Berlin ausgezeichnet) macht deutlich, wie das Politische das Private auslöscht und wie sehr Angst und die „Banalität des Bösen“ (Hannah Arendt) das alltägliche Leben bestimmen, gerade dann, wenn wir den Blick auf die Wirklichkeit verweigern. Sowohl in „2666“ wie in „Lost City Radio“ ist der Mittelpunkt der modernen Welt „ein finsteres Herz“ und ein Großteil der Reportagen in „Nichts als die Welt“ scheint dies zu bestätigen. Karl Kraus schrieb: „…dieser Menschheit ist (…) nichts geblieben als die hüllenlose Wahrheit ihres Zustands …“ Darauf wollen die AutorInnen aufmerksam machen und darauf, dass Wunder nicht ohne unser Zutun passieren – gerade die möglichen nicht. Ich wünsche Ihnen viel Genuss-Zeit im Sinne von Daniel Pennac: „Man kann Bücher verschlingen. Ein dickes Buch ist ein Brocken. Und doch kriegt man immer mehr Hunger.“

Der Autor ist Buchhändler bei Südwind-Buchwelt in Wien.

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