Vom Steigflug zum Gleitflug

Von Ernst Dorfner · · 2003/10

Unser Geldsystem hat zwar zur raschen Entwicklung unserer Wirtschaft beigetragen. Heute aber führt es zu schweren sozialen und ökologischen Problemen und stellt die Finanzierbarkeit des Sozialstaats in Frage. Wir brauchen eine Reform dieses Geldsystems weg vom Wachstumszwang, argumentiert Ernst Dorfner.

Es ist angebracht, eine der maßgebenden Ursachen für das Entstehen der gegenwärtigen sozialen und ökologischen Probleme im Geld zu suchen. Geld ist ja das vielleicht wesentlichste Element, das unsere hocharbeitsteilige Wirtschaft so geschaffen hat. Deshalb die Fragen: Was ist denn Geld überhaupt? Wie entsteht es?
Unsere Wirtschaft hat privates Eigentum und damit Rechtsstaatlichkeit zur Voraussetzung. Alles ist hier in irgendjemandes Eigentum, der reguläre Zugriff von Anderen darauf nur durch Rechtsverträge – und nicht durch physische Gewalt – möglich. Verschuldung hat sich als einer der möglichen Wege durchgesetzt. Sie ermöglicht den rechtmäßigen Zugriff auf fremdes Eigentum und ist nun unumgänglich für diese Weise der Produktion.
Geld ist das Medium dieser Verschuldung. Es ist das Bankensystem als Intermediär, das die direkte Verschuldung zwischen Unternehmen auflöst und an dessen Stelle den „Kredit der Bank“ setzt. Der Kredit macht am Anfang den Zugriff des Unternehmers A auf Lohnarbeit und Konsum sowie auf Vorlieferungen mittels einer Forderung gegen die Bank – also Geld – möglich. Während nun die Lieferanten, die Unternehmen C, D, damit ihre Schulden tilgen, bleibt der Kredit an A hängen, bis nach erfolgter Produktion und Verkauf des Erzeugten gegen Geld dieser seinerseits seinen Kredit samt Zinsen in Geld zurückzahlen kann, also in jenem Medium, in dem er gewährt wurde.

Wir haben also eine Kreditwirtschaft, in der so Schulden und Geld entstehen und vergehen. Das System ist ein dynamisches. Es sind die über Investitionen laufenden fortwährenden Ver- und Entschuldungsvorgänge im Zeithorizont, die aus unbewegtem Geld ein bewegtes machen. In diesem Spiel ist der Zins ein Kostenfaktor. Wenn nun aber alles Geld aus verzinslichen Krediten hervorgeht (siehe Kasten), dann sollte klar sein, dass Zinsen so wie die Gewinne nur aus einem Wachstum der Verschuldung heraus finanziert werden können.
Dieses Wachstum der Schulden der Unternehmen bedeutet andererseits auch ein Wachstum der Vermögen der KreditgeberInnen und EigentümerInnen des Unternehmens. Aber eben nicht in konkretem Geld, sondern „nur“ in Verpflichtungen, in Schulden des gegenüber.
Die Geldmenge wird dabei maßgeblich durch die zukünftigen Erwartungen der Unternehmen – also wie viel sie heute in die Produkte von morgen hineinstecken – gesteuert, nicht aber durch das gegenwärtige Angebot an Gütern und Leistungen bei einem konstantem Preisniveau. Und: Das System arbeitet nur dann zufrieden stellend, wenn die Geldnachfrage von Periode zu Periode genügend wächst, damit die große Mehrheit der Waren und Leistungen zu Preisen verkauft werden kann, die über ihren direkten Herstellkosten liegen, um so auch Zinsen und Gewinne realisieren zu können.
Was aber tun, wenn dieses Wachstum zurückgeht oder gar aufhört? Wenn die heutigen Geldaufwendungen der gesamten Wirtschaft geringer ausfallen als die gestern, und damit die gesamten Einkommen heute gleichfalls niedriger sind als die Kosten der gestern erzeugten Produkte? Dann können diese ja nicht einmal mehr kostendeckend verkauft werden, weil ein Teil der Nachfrage fehlt. Die Wirtschaft kommt also ins Trudeln. Dann versucht jedes Unternehmen im Wettbewerb um so heftiger, bei sich selbst möglichst zu sparen, in der Erwartung, dass andere das nicht so tun werden oder können, wobei alle hoffen, dass die nachfragewirksame Geldmenge und das Preisniveau wesentlich weniger sinken als die eigenen Kosten.

Dieses Geldsystem, das zwar von Menschen geschaffen, aber nicht geplant wurde, hat maßgeblichen Anteil an der Entwicklung unserer hocharbeitsteiligen Wirtschaft. Es brachte in ihrer Startphase den notwendigen Schub hervor. Dort war ein Wachstum des Produktionsausstoßes zur Bedürfnisbefriedigung notwendig. Heute jedoch ist Wachstum ein notwendiges Übel, um das Funktionieren der Wirtschaft und die Finanzierung des Sozialstaates mit Mühe aufrecht zu erhalten. Aus ökologischen Gründen sollte das System nun aber vom Steigflug in die Phase eines Gleitfluges übergehen. Es müsste einen anderen Weg geben, den Absatz aller Produkte und Dienstleistungen bei konstantem Preisniveau zu ermöglichen, wenn die Erwartungen der Investoren das nicht mehr sicherstellen.
Bisher bestand die Antwort im so genannten „Deficit Spending“ des Staates, der durch erhöhte Ausgaben die fehlende Nachfrage ersetzt. Doch der Staat ist in die Finanzierungsfalle geraten, wie derzeit unschwer zu erkennen ist. Er kann sich, abgesehen vom Verkauf des „Familiensilbers“, in diesem Geldsystem nur auf zwei Arten finanzieren: Indem er selbst auch Kredite aufnimmt, sich also verschuldet (was sich nun wegen der hohen Schulden und Zinslasten verbietet), oder durch das Einheben von Steuern in Geld. Damit aber wird die Verschuldung nicht beseitigt, sondern „nur“ auf die Unternehmen übertragen. Für diese bringt das eine Vergrößerung der Schulden, die samt Zinsen wiederverdient werden müssen, und gleichermaßen eine Vergrößerung des Risikos, dieses Ziel zu verfehlen.

Aber so wird der Staatshaushalt total abhängig von der Verschuldungsbereitschaft der Unternehmen. Der Einfluss, den die steuerlichen Maßnahmen auf die unternehmerischen Entscheidungen haben, zwingt zu einer pragmatischen Sicht – auch dann, wenn man die Position der Unternehmen und deren EigentümerInnen ideologisch nicht unterstützt. Bei diesen geht ja nicht so sehr um das Können, sondern das Wollen. Denn unter welchem Titel die Steuern und Abgaben auch erhoben werden, vorfinanzieren müssen sie die Unternehmen. Dies gilt neben anderen Steuern auch für die Lohnsteuer und die Mehrwertsteuer. Es gilt aber nicht nur für dieses „durchfließende“ Geld. Die vorhandenen Gewinne und Vermögen bestehen in der Regel nicht in liquiden Ansprüchen, auf die „einfach“ zugegriffen werden kann. Sie müssen durch Verkauf oder verzinsliche Kredite erst zu Geld gemacht werden. Da aber Kredite buchhalterisch den Gewinn kürzen und zugleich die Verschuldung des Unternehmens erhöhen, hat das wieder Einfluss auf das gesamte Verschulden-Wollen.
Ohne Möglichkeit der Kreditaufnahme durch den Staat – und ihre negativen Folgen – gibt es daher derzeit beim Übergang in eine nicht mehr weiter wachsende Wirtschaft keine komplementäre Finanzierung des Staates. Die Politik ist zu schierer Machtlosigkeit verurteilt, alles politische Tun ist Spiegelfechterei.
Ein Ausweg wäre, wenn der Staat eine ausreichende Geldmenge zur Verfügung hätte, um zusätzliche Nachfrage hervorzubringen. Eine Nachfrage, die der Mehrheit der Unternehmen zumindest jene Einnahmen ermöglicht, mit denen sie ihre in der Vergangenheit eingegangenen Schulden tilgen können. Ein Zugriff auf Geld, ohne dass sich der Staat dabei immer mehr verschulden muss. Ein solcher Ausweg wäre die Einführung eines von der Notenbank kontrollierten „Outside-Money“. (Siehe Artikel S. 36).

DI Ernst Dorfner, ehemaliger Voestler, lebt in Linz und befasst sich seit 30 Jahren mit Fragen von Geld, Wirtschaft und Gesellschaft.

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