
Seit mehr als zehn Jahren pendelt die Journalistin Kathrin Zeiske zwischen Bonn und Ciudad Juárez. In den vergangenen Monaten tourte sie durch Österreich und Deutschland – im Ring als Lucha Libre-Star.
In Mexiko ist die Deutsche Kathrin Zeiske mittlerweile berühmt – als „Miss Kath“. Lange Zeit verschwieg sie diese Seite von sich. „Ich zweifelte, ob das mit meiner Rolle als Journalistin vereinbar ist“, erzählt sie. Lucha Libre, die mexikanische Variante des Wrestlings, ist in Mexiko so populär wie bei uns Fußball. Es ist ein grelles Spektakel mit Masken und Kostümen, waghalsigen Manövern und Getöse. Ganze Familien finden in den Arenen Ablenkung vom harten Alltag.
Früher habe sie gedacht, nur durch journalistische Arbeit etwas bewegen zu können. „Davon bin ich abgekommen, weil ich sehe, wie viel Kultur für die Menschen bewirken kann“, sagt Zeiske und fügt hinzu: „Im Ring zu stehen und Familien einen schönen Abend zu machen, gibt mir mittlerweile persönlich mehr, als nur über die traurigen Zustände des Weltmarkts zu informieren.“
Und was sagen die Mitarbeiter:innen der deutschen Botschaft, die Zeiske regelmäßig als Expertin konsultieren? „Dass sie das toll finden.“
Show und Tradition. Was als Hobby begann, ist nun Lebensmittelpunkt für die 1,80 Meter große Kämpferin, die viele Monate im Jahr in Ciudad Juárez, einer der gefährlichsten Städte der Welt, an der Grenze zu den Vereinigten Staaten lebt. Im Sommer zeigte sie bei der Wrestling-Tournee Rings of Europe ihr Können im Showkampf im niederösterreichischen Baden. Ihre akrobatischen Stunts und Sprünge wirken in der Arena leicht und tänzerisch. Im Hintergrund stecken jedoch hartes Training und Disziplin. „Vor allem, weil Lucha Libre ein Full-Contact-Sport ist und als Freikampf sehr vielfältig ist“, erklärt sie. Die Basis bildet das Olympische Ringen, gemischt mit Techniken wie Haltegriffen und Judowürfen sowie Elementen aus dem Jiu-Jitsu.
Zum Körperlichen kommt das Show-business: „Da muss man sich auch gegen Intrigen und Neid durchsetzen.“ Zum Lucha Libre gehören ausgefallene Kostüme, Schminke und Masken. „Diese Tradition geht bis auf die Azteken zurück, die Masken oder Kriegsbemalungen nutzten, um ihre Feinde zu erschrecken“, so Zeiske. Im Ring geht es auch um das Spiel mit Identitäten, um Gut und Böse und um Charakterzüge, die im echten Leben nicht ausgelebt werden können. Während Zeiske als Journalistin ruhig und bedacht wirkt, lebt sie als Miss Kath das genaue Gegenteil aus: „Es macht Spaß, auch einmal die dunkleren Seiten rauszulassen!“
Gegen Machismo. Selbstermächtigung ist dabei ein zentrales Thema, insbesondere in einem Land, in dem extremer Machismo herrscht. Frauen können zwar genauso Muskeln, Schnelligkeit und Technik trainieren, müssen aber zusätzlich immer noch gegen Rollenzuschreibungen ankämpfen. „Für Frauen ist es in der Szene doppelt schwierig“, sagt Zeiske. Denn: „Bei den Kollegen sitzt meist die Frau mit den Kindern im Publikum oder passt zu Hause auf.“ Frauen hingegen seien oft mit kleinen Kindern im Umkleidebereich, weil sie niemanden haben, der diese übernimmt. Dafür haben die Kämpferinnen eine starke Vorbildwirkung. In Mexiko ist es ein völliger Gegenentwurf, dass Frauen in den Mittelpunkt rücken, laut und aggressiv sind und in knappen Kostümen im Scheinwerferlicht stehen. „Viele arbeiten unter der Woche, etwa in einer der Maquilas (Exportfabriken mit niedrigen Löhnen, Anm. d. Red.), und die meisten von uns können eigentlich nicht davon leben“, erzählt Zeiske. Dennoch: „Am Wochenende werfen wir uns in Schale, stehen im Ring und gehen vor Publikum aufs Ganze. Das ist ein abwechslungsreiches Doppelleben.“ Eindrucksvoll zeigt dies auch der Dokumentarfilm „Luchadoras“, der 2021 erschienen ist und an dem Zeiske vermittelnd und unterstützend mitgewirkt hat. Er erzählt die Geschichte von drei Protagonistinnen, die im Ring wie auch außerhalb kämpfen: ums Überleben und um ein besseres Leben für ihre Kinder.
Erstmals Frauenministerin. In Mexiko sei gerade viel im Umbruch, so die Journalistin. Ob nun die Zeit der Frauen anbricht, werde sich zeigen. Am Internationalen Frauentag 2025 waren allein in Mexiko-Stadt rund 200.000 Menschen auf der Straße, um zu protestieren. „Natürlich besonders gegen Femizide – da ist Mexiko weiterhin führend, auch wenn es ein weltweites Problem geworden ist.“
Dass die erste Präsidentin Mexikos, Claudia Sheinbaum Pardo, erstmals ein Frauenministerium ins Leben gerufen hat, sei trotz aller Schwierigkeiten ein hoffnungsvoller Ausblick. Nach ihrer Wahl sagte Sheinbaum, sie sei nicht alleine bis hierhergekommen, sondern durch die Vorarbeit vieler Generationen. „Dass sie ihren Erfolg in der Kontinuität feministischer Kämpfe sieht, berührt“, sagt Zeiske.
Die 34-jährige Frauenministerin Citlalli Hernández sei dann tatsächlich durch das Land getourt, um die Zivilgesellschaft zu fragen: Was für Probleme gibt es? Was braucht ihr? „Das wurde als Hausaufgabe mitgenommen“, sagt Zeiske und fügt hinzu: „Die Frage ist, was sich daraus ergeben wird.“
Küsse im Ring. Auch in Sachen LGBTQIA+ und Geschlechtervielfalt bewegt sich in Mexiko etwas. Lucha Libre ist derzeit die einzige Sportart weltweit, die ein drittes Geschlecht anerkennt. Die Kategorie „Exótico“ ermöglicht Transgender-Personen die Teilnahme. Es kämpfen Transfrauen und Transvestiten. Zeiske: „Faszinierend ist, dass das in Mexiko auf einer ganz anderen Schiene unterwegs ist als in den USA, wo unter Trump auf sämtlichen Ebenen Menschenrechte gekippt werden.“
Noch dazu wurde die mexikanische Wrestling-Liga AAA erst vor kurzem von der US-amerikanischen World Wrestling Entertainment (WWE) gekauft. „Damit treten mexikanische Exótico-Superstars wie Pimpinela auf einmal in den USA auf, knutschen dort bekannte Wrestler ab, und es wird gejubelt und applaudiert.“ Laut Zeiske ist das ein Gegenpol zur aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung und zu Trumps Politik: „Ich glaube, das war WWE vorher gar nicht so klar, dass das so einen Impact haben wird.“
Es bleibt also spannend. Und während Miss Kath kämpft, schreibt Kathrin Zeiske weiter. 2022 erschien ihr erstes Buch „Ciudad Juárez – Alltag in der gefährlichsten Stadt der Welt“. Ihr zweites Buch, eine Graphic Novel, ist fast fertig. Es wird um Miss Kath gehen, um Ciudad Juárez als Wiege des Lucha Libre und um die Frauen in diesem Bereich, verrät sie vorab.
Nina Kreuzinger ist Journalistin und Fotografin in Wien.
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