Von der Todesfabrik zum Lebensquell

Von Ralf Leonhard · · 2000/09

Die Landlosen vernetzen sich. Die erste weltweite Konferenz der Landlosenbewegungen, die Ende Juli in Honduras stattfand, zeigte, daß Globalisierung und internationale Solidarität kein Widerspruch sind.

Als in der Nacht zum 15. Mai 60 mit ungeduldigen Campesinos beladene Lastwagen auf dem Gelände einer ehemaligen Militärbasis an der honduranischen Atlantikküste einrollten, saß Itelvina Masioli im fernen Brasilien nervös am Telefon. Erst nach dem Frühstück erreichte sie die Vollzugsmeldung. Die größte Landbesetzungsaktion in der Geschichte von Honduras war generalstabsmäßig geplant worden und lief streng nach Drehbuch ab. Über Nacht errichteten an die 3000 landlose Bäuerinnen und Bauern provisorische Unterkünfte und nahmen 250 Hektar Brachland in Besitz. Pistoleros benachbarter Viehzüchter, die die Invasion verhindern wollten, schossen wild in die Luft, mußten aber bald der gewaltigen Übermacht der Besetzer weichen.

„Das sieht aus wie in unseren Siedlungen.“ Antoninho Matta, ein Vertreter des brasilianischen Movimento sem Terra, zeigte sich beeindruckt von der Besetzung. Nur zwei Monate nach der nächtlichen Inbesitznahme war auf dem einstigen Militärareal ein richtiges Dorf entstanden, mit Straßen, kleinen Geschäften und Gemüsebeeten. Die Ähnlichkeit mit brasilianischen Landbesetzungen ist kein Zufall, denn das MST und andere Mitglieder der weltumspannenden Bauernorganisation La Vía Campesina waren an der Planung des Vorhabens beteiligt.

Nicht nur Brasilianer, Bauern aus ganz Lateinamerika, spanische Winzerinnen, selbst Bauernführer aus den Philippinen, Indien und Thailand vermittelten den honduranischen Landbesetzern durch ihren Solidaritätsbesuch den Eindruck, die ganze Welt stehe hinter ihnen. Die erste internationale Konferenz der Landlosenbewegungen, die Ende Juli in der Atlantikmetropole San Pedro Sula auf Einladung von La Vía Campesina tagte, hatte sich für einen Tag auf das sechs mühsame Autostunden entfernte Gelände des ehemaligen Regionalen Militärtrainingszentrums (CREM) begeben.

Über die mit Palmwedeln geschmückte Zufahrtsstraße wurden die Gäste zum improvisierten Hauptplatz geleitet. Dort traten die Schulkinder zum Absingen der Nationalhymne an und die Campesino-Band spielte auf: „Wir brauchen eine Agrarreform….“

Das in den 80-er Jahren nahe dem Atlantikhafen Trujillo errichtete CREM, war ein Symbol der Unterdrückung. US-Militärberater trainierten dort neben honduranischen Soldaten auch nicaraguanische Konterrevolutionäre, die gegen die sandinistische Revolution losgelassen wurden, und Soldaten aus El Salvador für den Kampf gegen die Befreiungsbewegung Farabundo Martí (FMLN).

Nach dem Ende des Kalten Krieges und der friedlichen Beilegung der Konflikte in den Nachbarländern mußten auch die honduranischen Militärs den Rückzug in die Kasernen antreten. Das 5724 Hektar große Gelände des CREM wurde dem Agrarreforminstitut (INA) übergeben. Doch der zuständige Minister wurde nicht aktiv. 1991 drängten Viehzüchter, Unternehmer und pensionierte Offiziere den Bürgermeister von Trujillo, ihnen das Land zum Schleuderpreis zu verkaufen. Erst Jahre später bemerkte der neue Direktor des Agrarreforminstituts in seinen Unterlagen die Existenz des riesigen Areals in einer Gegend, wo die ausländischen Bananenkonzerne wegen der anhaltenden Absatzkrise Tausende Plantagenarbeiter entlassen hatten.

Ein Heer von Landlosen wartete ungeduldig auf eine neue Existenzgrundlage. INA-Direktor Aníbal Delgado Fiallos machte die Bauernverbände auf die Entdeckung aufmerksam und die engagierten Priester der Sozialpastorale halfen mit, die verstreuten LandarbeiterInnen zu einer disziplinierten Organisation, der Bewegung der Bauern des Aguán-Tals, zusammenzuschweißen.

In Honduras genießt der Auftrag zur Agrarreform Verfassungsrang. Allerdings weist die Praxis dieselben Schwächen auf, die auch andernorts zum Scheitern von Landreformen geführt haben: In den 60-er Jahren von einem reformistischen Militärdiktator erlassen, diente sie in erster Linie dazu, linke Bauernbewegungen zu schwächen. Verteilt wurde vorwiegend Staatsland statt der Latifundien von Großgrundbesitzern und US-amerikanischen Bananenkonzernen. Und Kredite wie Beratung wurden den neuen Kooperativen nie in ausreichendem Maß zuteil.

Ein 1992 erlassenes Agrarmodernisierungsgesetz, das die neoliberalen Prinzipien in die Landwirtschaft einführte, bedeutete den Tod vieler Genossenschaften. Unter dem Druck des Marktes wurde bis dahin unteilbares und unveräußerliches Land parzelliert und verkauft.

Das Agrarreforminstitut hat kein Budget für Entschädingungszahlungen, um Großgrundbesitz enteignen zu können, und der Landwirtschaftsminister tanzt nach der Pfeife der Weltbank. Die hält nichts von Agrarreform. Der einzige Weg, zu Land zu kommen, führt für die landlosen Bäuerinnen und Bauern also über Besetzungsaktionen wie jene vom 15. Mai.

Ein Teil des Areals der ehemaligen San-Pedro-Sula-Landwirtschafts-und-Viehzuchtgesellschaft (CAGSSA) wurde vor sechs Jahren besetzt. Das Land ist eindeutig als Agrarreformland identifiziert, da es die zulässige Höchstgrenze für Privatgrund überschreitet und außerdem jahrelang brach lag. Doch die BesetzerInnen, die den Boden bewirtschaften, warten bis heute vergeblich auf die Anerkennung ihrer Ansprüche. Denn der Landwirtschaftsminister stellte dem Eigentümer nachträglich eine Ausnahmegenehmigung aus. Obwohl sie auf nachweislich falschen Angaben beruht, ist sie bis heute nicht aufgehoben worden. Dieser Fall ist nicht die Ausnahme sondern die Regel. Die Bauernführer, die ermordet wurden oder wegen Landkonflikten im Gefängnis sitzen, sind Legion. Denn die Großgrundbesitzer haben bessere Beziehungen zur Regierung, können notfalls die Richter bestechen und scheuen oft auch vor bewaffneter Gewalt nicht zurück. So auch im Konflikt um die CAGSSA: Antonio Cruz, der zufällig in der Hängematte des Genossenschaftsvorsitzenden schlief, wurde im August 1998 von unbekannten Tätern erschossen.

„Die Ideologie, die das Land als beliebige Ware betrachtet, weisen wir zurück.“, heißt es in der Abschlußresolution der Landlosen-Konferenz von San Pedro Sula: „Mit Sorge beobachten wir, daß die vorherrschende neoliberale Agrarpolitik die Landreform mehr und mehr durch einen Landmarkt ersetzen will.“

In Brasilien, so berichteten die Delegierten der Landlosenbewegung MST, hätte das von der Weltbank gesponserte Programm, das den Landtransfer den Kräften des Marktes überläßt, die ungleiche Verteilung eher noch verschärft.

Für Peter Rosset, der am FoodFirst Institute in San Francisco Nahrungs- und Landprobleme von der wissenschaftlichen Seite her analysiert, macht der weltweite Trend zur großen Einheit wirtschaftlich keinen Sinn: „Großproduzenten nutzen gewöhnlich nur einen kleinen Teil ihres Landes und den nutzen sie ineffizient. Kleinbauern hingegen wirtschaften intensiv: Sie kombinieren mehrere Kulturen und erzielen dabei viel höhere Erträge pro Hektar als die Großfarmer. Das ist eine universelle Regel, die wir in allen Ländern, aus denen es Daten gibt, bestätigt haben. Sie gilt in der Dritten wie auch in der ersten Welt. Kleinbauern produzieren zwischen 200 und 1000 Prozent mehr pro Einheit als Großproduzenten.“

Diese Erkenntnis hat sich auch schon bei vielen Bürgermeistern in Brasilien durchgesetzt. Itelvina Masioli vom MST weiß von Kommunalpolitikern, die sich über Landbesetzungen freuen: „Kleine und mittlere Gemeinden bekommen von der Regierung immer weniger Geld. Wenn eine Siedlung entsteht, dann wird der Markt belebt. Frische Lebensmittel kommen in die Stadt, die neuen Siedler kaufen Schuhe, Kleidung, Medikamente. Das schafft Arbeitsplätze. Ein Großgrundbesitzer hingegen investiert nichts vor Ort. Es gibt mehrere Gemeinden, die existieren nur mehr dank der Landlosenbewegung.“

Delegationen des MST werden nicht nur in ganz Lateinamerikas um Rat gefragt. Selbst auf den Philippinen waren sie schon eingeladen. „Auch wir haben von Erfahrungen anderer viel gelernt“, meint Itelvina Masioli bescheiden zur Rolle ihrer Bewegung als Vorbild für Landlose weltweit.

In Honduras ist noch viel aufzuholen. Lokalpolitiker, wie der Bürgermeister von Trujillo, paktieren lieber mit den Großgrundbesitzern und in den Städten zeigt kaum jemand Interesse für die Anliegen der Landlosen. Doch die internationale Solidarität, die von der Landlosenkonferenz ausging, und das Medienecho auf den Besuch im CREM haben bewirkt, daß die honduranische Regierung sich um eine Lösung des Konflikts bemüht und das illegal verkaufte Land an die Bauern übergeben will.

Gerade von dieser Siedlung geht hohe Symbolkraft aus, wie Itelvina Masioli erkannt hat: „Aus einer Fabrik des Todes, die dieses Zentrum gewesen ist, ist eine Quelle des Lebens und der Hoffnung geworden.“

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