Vor der Zerreißprobe

Von Nicola Glass · · 2007/02

Der Militärputsch vom 19. September 2006 entmachtete den populistischen thailändischen Premier Thaksin Shinawatra. Die neue, von der Junta eingesetzte Interims-Regierung steht seitdem unter massivem Druck. Sie soll nicht nur mit der Ära Thaksin aufräumen, sondern auch die nationale Versöhnung wiederherstellen. Doch das scheint derzeit unmöglich.

Das neue Jahr 2007 beginnt mit einer Katastrophe: Wie ein Lauffeuer macht in der Silvesternacht die Runde, dass in mehreren Stadtteilen Bangkoks Bomben detoniert sind: In der Nähe des Einkaufszentrums „Central World Plaza“, wo die zentralen Neujahrsfeierlichkeiten sofort abgesagt werden, am „Victory Monument“, einem der belebtesten Kreisverkehre, und an der „Thanon Sukhumvit“, Touristenmeile und eine der wichtigsten Verkehrsadern der Metropole. Bei den Attentaten sterben drei Menschen. Mehr als 40 werden verletzt, darunter auch neun Ausländer.
Ernst und bleich erscheint Premierminister Surayud Chulanont im Fernsehen, neben ihm Bangkoks Gouverneur Apirak Kosayodhin. Dieser bittet die rund fünftausend Menschen, die sich bereits am „Central World Plaza“ versammelt haben, „nach Hause zu gehen“. Wer hinter den Bombenanschlägen steckt, bleibt vorerst unklar. Übergangs-Premier Surayud vermutet Agitatoren dahinter, die „politisch an Macht verloren haben“ und alles täten, um der neuen Regierung zu schaden. Beweisen kann er das nicht. Deshalb vermeidet er auch, den im September 2006 durch das Militär gestürzten Premier Thaksin Shinawatra und dessen politische Verbündete als Urheber der Bombenserie zu benennen. Thaksin indes bestreitet jeden Zusammenhang mit den Attentaten.

Mangels Bekennerschreibens bleiben die Mutmaßungen über die Bombenleger geteilt. Der Politologe Giles Ungpakorn von der Bangkoker Chulalongkorn-Universität sieht drei mögliche Urheber: Thaksins Anhänger, die Junta selbst oder muslimische Separatisten. Letztere seien die wahrscheinlichste Erklärung. Sein Kollege Thitinan Pongsudhirak hingegen vermutet die Hintermänner eher unter den Gegnern der Interimsregierung. Die Bomben sollten die Militärführung bloßstellen und die Regierung diskreditieren. Seit längerem schon kursieren zudem in Teilen des Landes Flugblätter, die sich hämisch über die neuen Machthaber äußern. Wer genau dahinter steckt, ist ebenfalls ungeklärt. Fest steht nur: Die politische Stabilität ist nachhaltig gefährdet.
An dem Populisten Thaksin schieden sich seit Jahren die Geister. BeobachterInnen attestieren dem Land eine bisher nie da gewesene Spaltung. Der gesellschaftliche Riss zieht sich bis in die Familien hinein: „Meine Schwägerin und ihr Mann vermeiden beim abendlichen Zusammensein politische Diskussionen über Thaksin“, sagt ein Bewohner Bangkoks, denn „die führen unweigerlich zum Streit“. Ihre AnhängerInnen haben Thaksin und seine Partei „Thais lieben Thais“ vor allem im bevölkerungsreichen Norden und Nordosten. Die Bangkoker Mittel- und Oberschicht sowie die BewohnerInnen der Südprovinzen, traditionelle Hochburgen der oppositionellen „Demokratischen Partei“, verfolgten den politischen Aufstieg Thaksins hingegen mit wachsendem Unbehagen. Der Ex-Regierungschef, der Kampagnen wie den „Krieg gegen die Drogen“ initiierte, war im Umgang mit KritikerInnen nicht zimperlich: Wer sich zur Wehr setzte, wurde mit Verleumdungsklagen überzogen.

Zum Super-GAU für die Thaksin-Regierung entwickelte sich jedoch der bis heute anhaltende blutige Konflikt in den überwiegend von Muslimen bewohnten thailändischen Südprovinzen Yala, Pattani und Narahtiwat. Der tiefe Süden, in den 1970er und 1980er Jahren immer wieder Schauplatz separatistischer Auseinandersetzungen, galt anschließend als relativ befriedet. Doch der Konflikt flammte erneut auf, nachdem Rebellen im Jänner 2004 ein Armeecamp in Narathiwat überfielen und Thaksin zuerst das Kriegsrecht und später ein Notstandsgesetz über die Region verhängte. Letzteres ist auch jetzt noch unter der Interimsregierung in Kraft.
Die moderaten Muslime des Südens fühlten sich als Sündenböcke für Bangkoks verfehlte Politik. Bestimmte Distrikte ließ Thaksin als „rote Zonen“ brandmarken, um das harte Vorgehen gegen vermeintliche Separatisten zu legitimieren. Internationale Schlagzeilen machten vor allem die Massaker an der Krue Se Moschee in Pattani im April 2004 sowie in dem Grenzstädtchen Tak Bai in Narathiwat im Oktober 2004. Insgesamt starben damals mehr als 200 Menschen. Von den daran beteiligten Sicherheitskräften wurde bis heute niemand strafrechtlich belangt.
Im Februar 2005 wurde Thaksin mit überwältigender Mehrheit als Premier bestätigt – ein Novum in Thailands turbulenter politischer Geschichte. Gleichzeitig aber wurden die Stimmen seiner Kritiker immer lauter, die ihm die Vermengung politischer und geschäftlicher Interessen vorwarfen. Die Massenproteste vom Frühjahr 2006 entzündeten sich vor allem daran, dass Thaksins Familie den von ihr kontrollierten Anteil des Telekommunikationskonzerns „Shin Corp“ an die „Temasek-Holding“ in Singapur verkaufte. Dies war nur möglich, weil Thaksin kurz zuvor ein entsprechendes Gesetz geändert hatte. Daraufhin warfen ihm die Kritiker „den Ausverkauf Thailands“ vor. Für den Deal von umgerechnet 1,6 Milliarden Euro zahlte der Clan des Ex-Premiers zudem keine Steuern.

Korruption und Machtmissbrauch im „System Thaksin“ dienten den Putschisten als Legitimation für ihren Militärcoup, den sie vom allseits hoch verehrten König Bhumipol Adulyadej absegnen ließen. Der Umsturz verlief gewaltlos, kein einziger Schuss fiel. Frauen brachten den Soldaten rote und gelbe Rosen, Essen und Trinken. Die in Bangkok stationierten Panzer gerieten zur Touristenattraktion, lächelnde Soldaten ließen sich mit Kindern fotografieren. In jenen feucht-heißen Septembertagen atmeten die Menschen spürbar auf: Laut Umfragen hatten 80 bis 90 Prozent der Thais den „smiling coup“ begrüßt.
„Wir verstehen, dass die Menschen froh über diesen friedlichen Ausgang sind“, sagt Supinya Klangnarong. Dennoch startete die bereits als Kritikerin der Thaksin-Regierung bekannte Medienrechtlerin gemeinsam mit anderen AktivistInnen Protestaktionen gegen die Junta. Denn mit ihrem Staatsstreich hatten die Militärs auch die 1997 reformierte Verfassung außer Kraft gesetzt. Darin waren Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit ausdrücklich festgeschrieben. „Wir bedauern, dass wir diese großartige Verfassung nicht mehr haben, es war die demokratischste, die Thailand jemals hatte“, resümiert Supinya. Der Politikexperte Surat Horachaikul hingegen begründete damals seine Zustimmung für den Putsch so: „Nicht der Coup hat die Verfassung entzwei gerissen, das hatte Thaksin schon zuvor erledigt.“
Mehr als vier Monate nach dem Putsch ist der Glorienschein des aus Militärs bestehenden „Rates für Nationale Sicherheit“ unter Putschistenführer General Sonthi Boonyaratkalin und seiner Interimsregierung verschwunden. Die Bevölkerung fängt an zu murren. Die Aufarbeitung der Thaksin-Ära ist widersprüchlich. So gab es bislang keine öffentliche Anklage gegen Thaksin wegen mutmaßlicher Korruption. Untersuchungen gegen ihn und seine Familie liefen zu langsam an. Nach den Anschlägen der Silvesternacht entzogen Thailands neue Machthaber dem im chinesischen Exil lebenden Ex-Premier aber schließlich seinen Diplomaten-Pass. Thaksin habe im Ausland gegen die Übergangsregierung konspiriert, hieß es. Gleichzeitig wurde eine neue Medienzensur verhängt. Der „Rat für Nationale Sicherheit“ wies die thailändischen Radio- und Fernsehstationen kürzlich an, keine Nachrichten mehr über Thaksin und seine AnhängerInnen zu publizieren – ansonsten drohten verschärfte Konsequenzen.

Derzeit sieht es nicht so aus, als ob das Land bald zur Demokratie zurückkehren wollte. Schon unter Thaskin waren demokratischen Rechte ausgehebelt worden. Jetzt bedient sich die Junta offenbar derselben Mittel: Auf einer Sitzung beschloss das Kabinett, eine so genannte „Sondereinheit“ von Truppen zu finanzieren. Deren Aufgabe soll es sein, potenzielle Unruhestifter und Dissidenten im Norden und Nordosten zu beobachten – also dort, wo Thaksin immer noch die meisten AnhängerInnen hat. Vor diesem Hintergrund glauben immer weniger Menschen, dass die von Junta und Regierung für Oktober versprochenen Neuwahlen tatsächlich stattfinden werden. Thaksins Erbe droht Thailand zu zerreißen.

Die Autorin ist Rundfunkjournalistin und Korrespondentin der taz für Südostasien.

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