Vorreiter für die Massen

Von Annette Groth · · 2001/02

Wie nachhaltig ist Ökotourismus wirklich? Anlässlich des Internationalen Jahres des Ökotourismus bricht eine neue Debatte über Sinn und Unsinn dieser anderen Art zu reisen aus. Ein kritischer Beitrag dazu von Annette Groth

Das Jahr 2002 wurde von der UNO-Vollversammlung zum „Internationalen Jahr des Ökotourismus“ erklärt, und bereits in der Vorbereitungsphase zeichnet sich ein Streit zwischen der Welttourismusorganisation (WTO), dem UNO-Umweltprogramm (UNEP) und einer Koalition von Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) ab. Insbesondere NGOs aus der Dritten Welt befürchten, dass ihre Länder mit Ökotourismus-Projekten überschwemmt werden, von denen in erster Linie internationale Reiseveranstalter und einige große NGOs profitieren.
Um ihrer Kritik Nachdruck zu verleihen, hat die NGO-Koalition kürzlich einen Brief an den UNEP-Tourismus-Beauftragten und an den Verantwortlichen bei der WTO gerichtet: Darin wird eine grundsätzliche Neubewertung des Ökotourismus-Modells und eine faire Beteiligung von Organisationen aus der Dritten Welt gefordert, bevor weitere Vorbereitungen für das Ökotourismus-Jahr getroffen werden.

Die UnterzeichnerInnen befürchten, dass das Ökotourismus-Jahr für eine große Werbekampagne und die Dritte Welt für „zerstörerische Ökotourismus-Experimente“ missbraucht wird, die mehr Schaden anrichten als Nutzen bringen.
Da der Ökotourismus als eine der lukrativsten Nischen in der Tourismusindustrie gilt, ist die Gefahr groß, dass multinationale Tourismuskonzerne das Jahr 2002 dazu benutzen, ihre eigenen Konzeptionen durchzusetzen und ihren Marktanteil zu erhöhen, während Entwicklungsinitiativen der lokalen Bevölkerung in den Reiseländern zunehmend an den Rand gedrängt werden.

In dem Dokument wird darauf hingewiesen, dass viele der weit verbreiteten Auffassungen über die positiven Auswirkungen des Ökotourismus nicht stichhaltig sind. Ein gängiges Argument der ÖkotourismusBefürworterInnen ist eine wirksame Armutsbekämpfung durch Schaffung von Arbeitsplätzen und höhere Einkommen für die lokale Bevölkerung.
Diese Hypothese ist so nicht aufrechtzuerhalten. Eine von der deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) veröffentlichte Studie aus dem Jahre 1997, die in einem Ökotourismusprojekt in dem malaysischen Nationalpark Taman Negara durchgeführt wurde, stellt zum Beispiel fest, dass der Ökotourismus sich nicht groß vom konventionellen Tourismus unterscheidet. Laut dieser Untersuchung bleibt nur ein sehr geringer Teil des Tourismuseinkommens in dem Ökoprojekt. Zwei Drittel der Ausgaben von ÖkotouristInnen aus den USA und Europa werden für ausländische Fluglinien und Reiseveranstalter aufgewendet, während ein Großteil des verbliebenen Drittels in den großen Touristenzentren vor oder nach dem Besuch im Ökoprojekt ausgegeben wird. Dieses Beispiel dürfte auch für andere Ökotourismusprojekte zutreffen.

Dass sich auch der Ökotourismus nachteilig auf die sozio-ökonomischen Strukturen eines Dritte-Welt-Landes auswirkt, wird ebenfalls angemahnt. Traditionelle Nahrungsmittelproduktion, die Kommunen eine nachhaltige und eigenständige Entwicklung ermöglicht, wird oft durch touristische Aktivitäten (Dienstleistungen in Restaurants und Hotelbetrieben, kulturelle Darbietungen und Freizeitangebote für Touristen) nachhaltig gestört. Wie tiefgreifend sich die Anwesenheit von TouristInnen auf die Sozial- und Beschäftigungsstruktur eines Dorfes auswirken kann, drückt ein Häuptling eines kleinen Stammes in Brasilien aus, der sich beklagte, er habe keine Zeit mehr zum Fischen, weil er und seine Leute ständig vor TouristInnen tanzen müssten.

Auch vor der Gefahr eines Überangebots touristischer Infrastruktur warnen die Verfasser des Schreibens an UNEP und WTO. So stellen sie die Frage, was passieren würde, wenn im Jahr 2002 alle UNO-Mitgliedsländer Ökotourismusprojekte in ländlichen Gebieten forcierten.

Wer übernimmt die Verantwortung, wenn beträchtliche Investitionen in den Ausbau des Ökotourismus gelenkt werden, die auf Fehlkalkulationen beruhen und die lokale Geschäftsleute und ganze Kommunen in den Wnanziellen Ruin treiben? Und wie würde es in den Ländern aussehen, wenn im Jahr 2002 alle Reisenden dazu ermuntert würden, Ökotouristen zu werden?
Es dürfte jedem einleuchten, dass „Tourismus nicht wesentlich nachhaltiger würde, wenn alle TouristInnen ihre Ghettos verlassen und mit der lokalen Bevölkerung in Kontakt treten würden“, wie kürzlich in einem Artikel der Zeitschrift „Entwicklung und Zusammenarbeit“ zu lesen war. Die Auswirkungen eines solchen Reiseverhaltens Tausender von TouristInnen auf ländliche Gebiete und ihre Bevölkerung, auf Flora und Fauna sowie auf geschützte Naturreservate und Denkmäler könnten katastrophal sein.

Als besonders alarmierendes Beispiel zitiert der NGO-Brief die Entwicklungsstrategie für die sechs Länder der MekongRegion (Burma, Kambodscha, Laos, Thailand, Vietnam und Yunnan in China), die verdeutlicht, wie Entwicklung und Werbung für den Ökotourismus als Vehikel für den Ausbau des Massentourismus dienen.

Unter der Leitung der Asiatischen Entwicklungsbank (ADB) werden dort momentan massive Infrastrukturmaßnahmen (Straßenbau, der Bau von Flug- und Schiffshäfen sowie einer Vielzahl von Staudämmen) in Angriff genommen, um eine Mega-Tourismus- und Wirtschaftsregion aus dem Boden zu stampfen.
Der ehrgeizige Mekong-Entwicklungsplan sieht die Umsiedlung von 60 Millionen Menschen vor, die – wie verlautet – zum Teil durch Beschäftigung in ÖkotourismusProjekten „entschädigt“ werden sollen. Bei der letzten ADB-Jahresversammlung im Mai protestierten Tausende Thais und internationale UmweltaktivistInnen gegen diese umweltzerstörenden Mammutprojekte. Ob mit Erfolg, bleibt abzuwarten.

Ferner lässt der Mekong-Plan lapidar verlauten, dass der derzeitige Schwerpunkt der Ökotourismus-Förderung auf „alle Bereiche des Tourismusmarktes“ ausgeweitet wird, sobald die dafür notwendige Infrastruktur bereitgestellt ist. Das heißt, dass unter dem Deckmantel des Ökotourismus der Ausbau des Massentourismus vorangetrieben wird, ohne dessen soziale und umweltschädliche Folgen zu berücksichtigen.
In Thailand hat die wachsende Zahl der Ökotouristen bereits zu einem Wildwuchs an Unterkünften und Infrastrukturmaßnahmen in ländlichen Gebieten geführt. Die thailändische Zeitung „The Nation“ recherchierte, dass mit Krediten der Weltbank und Japans im Namen des Ökotourismus große Entwicklungsprojekte in Nationalparks vorangetrieben werden, die mit Abholzungen der wenigen, übrig gebliebenen Waldbestände einhergehen.

Auf einer Tourismusmesse, die 1998 in London stattfand, warnte die Weltzollorganisation davor, dass der Diebstahl und Schmuggel von Flora und Fauna ungeahnte Ausmaße angenommen hat. Der Ökotourismus hat dazu geführt, dass immer mehr Reisende seltene Pflanzen und Exemplare bedrohter Tiere mitgehen lassen, was Stichproben bei einigen Reisenden auf den großen internationalen Flughäfen belegen.
Als noch gefährlicher eingestuft werden AgentInnen von Biotechnologiekonzernen, die sich als Biopiraten betätigen. Oftmals als TouristInnen getarnt, eignen sie sich illegal Samen, Kräuter und sonstige genetisch wertvolle Ressourcen an, die sich dann gegebenenfalls Firmen der Pharma- und Lebensmittelindustrie patentieren lassen.

Der Brief an UNEP schliesst mit der Feststellung, dass die negativen Auswirkungen des Ökotourismus so schwerwiegend sind, dass sie in keinem Verhältnis zu den oft zitierten „guten Beispielen“ stehen, die in der Regel Mikro-Projekte sind.

Man kann gespannt sein, wie sich die Debatte um das Jahr 2002 weiterentwickelt, und ob die Forderungen der NGO-Koalition Gehör bei den internationalen Organisationen Wnden. Es ist auch zu hoffen, dass der internationale Tourismus als eine der wesentlichen Entwicklungsstrategien für die Dritte Welt in Zukunft etwas mehr kritische Aufmerksamkeit erfährt.

Annette Groth ist freie Journalistin und ehemalige Direktorin der „Ecumenical Coalition on Third World Tourism“, eines internationalen Netzwerks Tourismus-kritischer NGOs mit Sitz in Barbados.

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