Ware Droge im globalen Handel

Von Redaktion · · 2016/07

Das Geschäft mit Drogen boomt weltweit. Anbau, Produktion und Vertrieb haben sich in den letzten Jahrzehnten regional verschoben. Wer dabei gewinnt, wer verliert, und welche Wege die Ware Droge nimmt, beleuchtet Robert Lessmann.

Das deutsche Wort „Droge“ leitet sich wahrscheinlich vom Trocknen von Heilpflanzen ab. An rituelle oder medizinische Verwendungen gebunden, erzielten Drogen oder ihre pflanzlichen Grundstoffe stets relativ hohe Preise. Drogenkonsum als Massenphänomen taucht aber erst mit der Steigerung des Wohlstands durch die Industrialisierung und die Globalisierung im Zuge des Kolonialismus auf. Damit stellte sich auch die Frage nach einer Einhegung oder Domestizierung dieses Konsums neu. Entsprechende Bemühungen waren seither auch von Macht- und Interessenpolitik geleitet. Bekanntestes historisches Beispiel sind die Opium-Kriege Mitte des 19. Jahrhunderts, in denen sich britische Freihandelsinteressen gegen den chinesischen Versuch einer Kontrolle beziehungsweise eines Verbots von Opiumeinfuhren durchsetzten. Bis heute ist das Geschäft mit der Droge heiß umkämpft.

Verbot und Kontrolle. Das erste internationale Abkommen zur Drogenkontrolle, die Haager Konvention von 1912, war regulierend und sah noch kein Verbot von Anbau und Konsum vor. Bis zum heute gültigen internationalen Rechtsrahmen, den drei UNO-Drogenkonventionen von 1961, 1971 und 1988, setzte sich sukzessive eine prohibitionistische Linie durch. Die Bestimmungen wurden immer umfassender und Verbote immer weitreichender. Parallel dazu wurde auch das Problem immer größer. Waren es zur Zeit der Haager Konvention sieben, so sind es zu ihrem hundertsten Geburtstag (2012) 234 „kontrollierte Substanzen“ – immerhin 2,75-mal mehr als 1961 bei der Verabschiedung der UN Single Convention on Narcotic Drugs. Die Konvention spricht nicht von illegalen Drogen, weil manche von ihnen ja legitime und wichtige Verwendungen haben, wie Opiate in der Schmerztherapie. Ziel der Konvention ist es, die Verwendung der „kontrollierten Substanzen“ auf medizinische und wissenschaftliche Zwecke zu begrenzen.

Um der East India Company den lukrativen Drogenhandel zu sichern, schickte Queen Victoria 1840 ihre überlegene Kriegsflotte. Bereits wenige Jahre später gab es drei Mio. OpiumraucherInnen in Chinas Küstenstädten. Anfang des 20. Jhdts. waren es zehn Prozent der chinesischen Bevölkerung.

Der Preis der Drogen. Aus unterschiedlichsten gesellschaftspolitischen Gründen ist es in den 1970er und 1980er Jahren – insbesondere in den westlichen Industrienationen, allen voran in den USA – zu einem rasanten Anstieg der Nachfrage nach Cannabis, Heroin und Kokain, aber auch LSD gekommen. Dieser schlug sich in einem ebenso starken Anwachsen der Anbauflächen der pflanzlichen Ausgangsprodukte dieser Stoffe und in der Herausbildung illegaler Verarbeitungs- und Vermarktungsketten nieder. Die Preise nahmen in Folge der Verbotspolitik mehr und mehr den Charakter von Risikoprämien an. Drogen sind meist leicht, relativ unverderblich und lagerfähig. Herstellungs- und Transportkosten sind verglichen mit den Endverkaufspreisen sehr niedrig. So bekommen beispielsweise Kokabauernfamilien in den Anden nur ein bis zwei Prozent des Straßenverkaufspreises des Endproduktes Kokain: eine klassische Nord-Süd-Handelsbeziehung.

Die Vereinten Nationen schätzen die Zahl der KonsumentInnen „kontrollierte Substanzen“ heute auf 246 Millionen weltweit. Tendenz steigend. Jährlich sterben daran etwa 200.000 Menschen. Die meisten gesundheitlichen Komplikationen und Opfer sind in Verbindung mit Heroinkonsum zu beklagen, vor allem durch Überdosen. Aber auch gesundheitliche Langzeitfolgen aufgrund des hohen Suchtpotenzials oder durch Infektionen wie HIV oder Hepatitis fordern Menschenleben. Fast ein Drittel der HIV-Neuinfektionen (außerhalb Subsahara-Afrikas) betreffen heute Personen, die sich Drogen per Spritze verabreichen.

Cannabis. Mit geschätzten 181,8 Millionen KonsumentInnen hat Cannabis den größten Markt. In Europa wurde er traditionell vor allem aus Nordafrika, insbesondere Marokko geliefert, in Nordamerika aus Mexiko und Kolumbien. Mit der angebotsorientierten Drogenkontrolle wurde dort unter Präsident Richard Nixon Anfang der 1970er Jahre eine Besprühungskampagne mit Pflanzengift aus der Luft gestartet. Nordamerikanische KonsumentInnen fragten nun verstärkt „homegrown“ nach, weil „Gras“ aus Lateinamerika kontaminiert sein könnte. Die USA wurden auf diese Weise selbst zum wahrscheinlich größten, aber dezentralisierten Produzentenland – und findige ZüchterInnen entwickelten auch gleich noch eine potentere Sorte: „sinsemilla“ – ohne Samen.

In Europa gab es einen ähnlichen Prozess der Importsubstitution auch ohne Giftsprühkampagne. Auch hier haben der Rotlichtanbau im Schlafzimmerschrank oder das Gewächshaus am Land den Import von „Kif“ aus Marokko oder den „Schwarzen Afghanen“ verdrängt – wenn auch nicht ganz.

Ein fluchtartig verlassenes Kokainlabor im bolivianischen Amazonasgebiet. Der Autor war gemeinsam mit Spezialkräften und dem Vizeminister für Drogenbekämpfung, Felipe Cáceres, am Schauplatz.© Robert Lessmann

Kokain. Kokain wird aus den Blättern des Kokastrauchs gewonnen. Der könnte im Grunde überall wachsen, wo auch Kaffee gedeiht, kommt aber nahezu ausschließlich aus den Andenländern, Bolivien, Kolumbien und Peru. Daran haben auch vier Jahrzehnte des militarisierten „War on Drugs“ unter der Führung Washingtons nichts geändert. Der Kokaanbau konnte zwar flächenmäßig um ein Drittel vermindert werden. Durch den Einsatz potenterer Sorten und effizienterer Verarbeitungsmethoden blieb das Kokainangebot aber in etwa gleich.

Trotz eines Rückgangs um 40 Prozent ist Nordamerika mit einem Volumen von 37 Mrd. US-Dollar (Endverkaufswert) der größte Markt, gefolgt von Europa mit 33 Mrd. Dollar. Der Kokainhandel setzt heute mehr als doppelt so viel Geld um wie der für Heroin (72 : 33 Mrd. US-Dollar) und ist ungleich besser organisiert. Durchschnittliche Kokainbeschlagnahmungen sind zehn- bis zwanzigmal größer als jene von Heroin.

Mit der Erschließung des europäischen Marktes und stärkeren Kontrollen an den klassischen Einfallstoren in Spanien und im Hafen von Rotterdam, bildete sich Mitte des letzten Jahrzehnts entlang des 10. Breitengrades („highway no. 10“ im Jargon der Fahndung) eine neue Transportroute von Südamerika über Westafrika nach Europa heraus. Einige der ärmsten Länder waren so mit einem der lukrativsten illegalen Geschäfte konfrontiert. Der Preis für eine Tonne Kokain in Europa übersteigt das Sicherheitsbudget (Polizei und Militär) der meisten dieser Länder. Auf einer sogenannten Ostroute wird es heute auch durch die Sahara und anschließend über die Balkanroute nach Europa transportiert.

Nach UNO-Angaben stehen seit dem Sturz des libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi zum Schutz dieser Wüstenkonvois zehn bis 20.000 hochpotente Schusswaffen einschließlich des Söldnerpersonals zu ihrer Bedienung zur Verfügung. Auf derselben Route verläuft auch der Menschenschmuggel.

Heroin. Der Anbau von Schlafmohn bildet den Ausgangspunkt für die Produktion von Heroin. Größte Produzenten sind Afghanistan mit 6.400 Tonnen und Myanmar mit 670 Tonnen pro Jahr. Kolumbien und Mexiko versorgen mit knapp 200 Tonnen Rohopium den nordamerikanischen Markt. Von Afghanistan aus geht Heroin im Wert von 13 Mrd. Dollar über die Nordroute nach Russland und Osteuropa. Der größere Teil, 20 Mrd. Dollar, nimmt über Pakistan, den Iran, die Türkei und die Balkanroute den Weg nach West- und Zentraleuropa.

Der Anbau von Schlafmohn war bis zur sowjetischen Invasion 1979 in Afghanistan praktisch unbekannt. Die wichtigsten Anbaugebiete liegen im Süden und Westen des Landes in Gebieten, die von bewaffneten Aufständischen kontrolliert werden. Die jährlichen Einnahmen werden auf zwei Mrd. Dollar geschätzt, das entspricht etwa 20 Prozent des legalen afghanischen Bruttoinlandsprodukts. Die Transitländer Pakistan und Iran gehören zu den Ländern mit den weltweit höchsten Konsumraten von Opium und Heroin, wobei im Iran fünf und in Pakistan sechs Prozent der Weltheroinproduktion konsumiert werden sollen.

Kriminalität gewinnt. Drogen und ihre illegalen Märkte sind ein sehr komplexes Phänomen. Die handelnden Personen sind divers. Bäuerliche ProduzentInnen in den Ländern des Südens bekommen nur einen kleinen Anteil vom Kuchen. StraßenverkäuferInnen im Kleinhandel verdienen oft weniger als den Mindestlohn. Andererseits sind an den Schaltzentralen des illegalen Geschäfts enorme Kapitalmengen manchmal in wenigen Händen konzentriert, wodurch Drogenunternehmungen mitunter in der Lage sind, Rechtsstaat und Demokratie zu bedrohen. Bekanntestes Beispiel dafür war Kolumbien und ist heute Mexiko.

Drogen haben aufgrund ihres Charakters als Genussmittel, Luxusgut und Suchtstoff eine relativ geringe Preiselastizität. Ein harter Kern von DauerkonsumentInnen stellt einen stabilen Absatz sicher; in vielen Fällen mehr als 50 Prozent des Gesamtkonsums. So decken in den USA ein Viertel der KokainkonsumentInnen zwei Drittel der Nachfrage ab. Drogen bilden nach Ansicht der UNO das Rückgrat des Internationalen Organisierten Verbrechens. Längst sind illegale Unternehmen nicht nur transnational aktiv. Sie haben auch ihre Geschäftsfelder diversifiziert: verschiedene Drogen, illegales Glücksspiel, Waffenhandel, Mädchenhandel etc. Die Geister, die man durch die Prohibition heraufbeschworen hat, wird man durch ihre Abschaffung nicht automatisch wieder los. Drogengeschäfte dienen zur Finanzierung bewaffneter Aufständischer, von Sendero Luminoso in Peru über die kolumbianische Guerilla bis hin zu den Taliban (beim IS gibt es einstweilen nur die Vermutung), und neuer Kriege.

Geldwäsche. Die Studie des UNDOC zur Geldwäsche aus kriminellen Aktivitäten, aus der die Daten für die Tabelle (S.11) stammen, schätzt deren Gesamtvolumen auf 1.200 bis 1.600 Mrd. Dollar pro Jahr, davon entfallen 322 auf die Ware Droge. Entdeckt und beschlagnahmt würden davon wahrscheinlich nur maximal ein Prozent, was nach Ansicht der AutorInnen weniger an fehlenden legalen Instrumenten liegt als an Defiziten bei ihrer konsequenten Anwendung.

Geldwäschebekämpfung findet überwiegend im Sinne der Finanzmarktaufsicht statt und nicht als Instrument zum Aufspüren und Zerschlagen krimineller Organisationen. Steuervermeidung und -hinterziehung sind in die oben erwähnte Gesamtsumme nicht mit eingerechnet. Nach Schätzung der AutorInnen dürfte sie mindestens noch einmal in derselben Größenordnung liegen.

Der Linzer Ökonom Friedrich Schneider schätzt, dass Steuerbetrug und/oder grenzüberschreitender illegaler Kapitalverkehr sehr oft zwei Drittel aller illegalen Finanztransaktionen ausmachen. Könnte es also sein, dass man das wohl wirksamste Instrument zur Bekämpfung von Drogenhandel und organisierter Kriminalität nicht benutzt, aus Rücksicht auf andere AkteurInnen?

Robert Lessmann ist promovierter Soziologe und Politologe, Lateinamerika- und Drogenexperte. Er arbeitet als freier Journalist und Autor in Wien. Kürzlich erschien sein neues Buch „Der Drogenkrieg in den Anden“, Springer Verlag, Wiesbaden, 2015.

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