Westsahara: Der lange Kampf um Selbstbestimmung

Von Gundi Dick · ·
Siedlung in Westsahara
Foto: Screenshot aus "FEBRUARY 27th", ein Film von Marie-Therese Jakoubek.

„Westsahara. Afrikas letzte Kolonie“ heißt ein aktueller Sammelband zu einem Jahrzehnte andauernden Konflikt, der auf internationaler Ebene wenig Beachtung findet.

Seit 1975 wird ein großer Teil des Gebiets der Westsahara durch Marokko besetzt, dieser Umstand wird in der internationalen Politik kaum diskutiert, ebenso wenig werden ernsthafte Lösungen gesucht. Die meiste Zeit schweigen sich die Medien darüber aus. Aber: Mitte März gab es Breaking News aus Madrid: Spaniens Regierung vollzieht offenbar eine Kehrtwende im Westsahara-Konflikt und, so die deutsche Taz, unterstützt jetzt Marokkos Linie.

Das Staatsgebiet der Westsahara wird laut der UNO als „Hoheitsgebiet ohne Selbstregierung“ bezeichnet. Bis 1975 war die Westsahara spanische Kolonie, der Dekolonisierungsprozess blieb unvollendet, denn Spanien gab das Gebiet völkerrechtswidrig an Marokko und Mauretanien ab.

Es folgte Krieg zwischen der sahrauischen Befreiungsbewegung Frente Polisario auf der einen und Marokko und Mauretanien auf der anderen Seite. Die militärischen Auseinandersetzungen endeten 1991. Der Frente Polisario, der von der UNO anerkannten Vertretung der Sahrauis, wurde ein Referendum versprochen, auf das die sahrauische Bevölkerung bis heute wartet. Dabei sollte die Sahrauis  ihre Stimme für eine staatliche Eigenständigkeit der Westsahara oder für die Zugehörigkeit zum Königreich Marokko abgeben. 

Profunde Einblicke

Das im vergangenen Jahr veröffentlichte deutschsprachige Überblickswerk „Westsahara: Afrikas letzte Kolonie“, herausgegeben von Judit Tavakoli, Manfred O. Hinz, Werner Ruf und Leonie Gaiser, enthält sechzehn Beiträge von Wissenschafter*innen, Politiker*innen und Aktivist*innen aus unterschiedlichen Ländern und inhaltlichen Fachrichtungen. Die internationalen Autor*innen sind ausgewiesene Kenner*innen der Lage und liefern ein breites Spektrum an Analysen und Informationen.

Der Konflikt wird aus der Sicht des Rechts auf internationaler und EU-Ebene beleuchtet. Ein Kapitel widmet sich den Rahmenbedingungen in von Marokko besetzten Gebieten. Auch die Situation jener Menschen, die seit 1975 in Flüchtlingslagern im Südwesten Algeriens leben – die  Hälfte der sahrauischen Bevölkerung – wird in den Blick genommen. Als abschließendes Kapitel werden die Interventionen solidarischer politischer Akteur*innen auf europäischer Ebene vorgestellt.

Das Buch beginnt mit einem Beitrag von Sidi Omar, dem Vertreter der Frente Polisario bei der UNO, mit der Darstellung der sahrauischen Position in den Friedensverhandlungen. Omar, selbst Mitverhandler, kritisiert darin die UNO – und hier vor allem den Sicherheitsrat –, die nicht imstande sei, die installierte UNO-Mission MINURSO arbeiten zu lassen.

Die Hauptaufgabe der unparteiischen Institution, die Umsetzung des Referendums, stehe seit 30 Jahren aus, die Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen finde sich just nicht auf der Arbeitsagenda.

Zusammengefasst: Die international gültige UNO-Resolution, das Recht auf Selbstbestimmung, bleibe nur auf dem Papier.

Kriminalistische Akribie

Beim Lesen des Buches wird klar: Politisch betrachtet befinden sich die Konfliktparteien in einer Pattstellung. Deshalb werden auch die Plünderung der Ressourcen der Westsahara und das Geflecht der internationalen Wirtschaftsbeziehungen in den Blick genommen. Denn gemäß dem Kriegsvölkerrecht ist es verboten, aus einem besetzten Gebiet ökonomischen Nutzen zu ziehen, wenn der Souverän (hier die Frente Polisario) des besetzten Gebietes der Ausbeutung nicht zustimmt und wenn die Bevölkerung keinen Nutzen daraus ziehen kann. Beides trifft in der Westsahara zu.

Die international agierende NGO Western Sahara Resource Watch (WSRW) beschreibt in einem Beitrag, wie sie in kriminalistischer Akribie Transporte von Phosphat, Fischgütern, Sand oder Gemüse über Land, Wasser und Luft aufdeckt. WSRW recherchiert zu internationalen Unternehmen, wie etwa Siemens, das dort erneuerbare Energie gewinnen will. Durch „blaming and shaming“ sollen die internationalen Unternehmen unter Druck gesetzt und zum Rückzug gezwungen werden.

Denn, so argumentiert WSRW, die Unternehmen verletzen nicht nur internationales Recht und agieren gegen explizite Urteile des Europäischen Gerichtshofes von 2016 und 2018 (und nunmehr auch 2021!), sondern sie stabilisieren mit ihren Geschäften die Besatzung und Ausbeutung des Gebietes.

Das Buch beschreibt einen schier aussichtslosen Kampf und zeigt doch den ungebrochenen Willen der Sahrauis zur Selbstbestimmung.

Buchcover: Westsahara - Afrikas letzte Kolonie
Buchcover: Westsahara – Afrikas letzte Kolonie

Judit Tavakoli, Manfred O. Hinz, Werner Ruf und Leonie Gaiser (Hrsg.): Westsahara: Afrikas letzte Kolonie, Regiospectra Verlag, Berlin 2021, 374 Seiten, ca. 27,90 €

Gundi Dick reiste mehrmals in die sahrauischen Flüchtlingslager. Sie ist entwicklungs- und frauenpolitisch aktiv und engagiert sich in der Solidaritätsbewegung für die Westsahara. Im Jahr 2014 veröffentlichte sie ihre Studie zu Handlungsmöglichkeiten sahrauischer Frauen: „Eine Hand allein kann nicht klatschen. Westsahara – mit Frauen im Gespräch“ (Wien, Löcker Verlag).

Zum Weiterlesen im Südwind-Magazin: Westsahara: Der doppelte Kampf der Sahauris, Jänner 2021

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