Über Europas Dummheit, Faulheit und Ignoranz im Umgang mit dem afrikanischen Kontinent schreibt Dipo Faloyin in seinem Buch „Afrika ist kein Land“.
Sie wollen über Afrika schreiben? Dann sparen Sie nicht mit Klischees, empfiehlt der kenianische Journalist Binyavanga Wainaini: Sie sollten immer das Wort „Afrika“ oder „Dunkelheit“ oder „Safari“ im Titel führen. Im Untertitel können Wörter wie „Massai“, „Zulu“, „Sambesi“ oder „Stamm“ stehen. Und vergessen Sie nicht, bei der Bebilderung wahlweise Fotos von hervorstehenden Rippen, nackten Brüsten oder galoppierenden Antilopen zu verwenden.
Was Wainaini in seiner satirischen Gebrauchsanweisung „Wie man über Afrika schreibt“ 2006 formulierte, trifft auch heute noch die gängigen Klischees, die 54 verschiedenen Ländern auferlegt wurden, findet Buchautor Dipo Faloyin. Noch immer ist die europäische Wahrnehmung von Afrika recht eindimensional. „Armut oder Safari, und dazwischen nichts“, so fasst Faloyin den herabsetzenden Blick Europas auf den afrikanischen Kontinent zusammen. In seinem jetzt erschienenen Buch „Afrika ist kein Land“ zeichnet er das Porträt eines modernen und vielgestaltigen Kontinents, der sich gegen verletzende Zuschreibungen wehrt.
Mit Verve gegen Klischees
Geboren wurde Faloyin in den USA, aufgewachsen ist er in der nigerianischen Metropole Lagos, heute lebt er als Journalist in London. Mit viel Verve zerlegt er in acht Kapiteln jahrhundertelange Wahrnehmungsverzerrungen – und erzählt andere Geschichten, zunächst persönliche: vom Lebensgefühl in der Megacity Lagos und von den äußerst beliebten Jollof-Reisgerichten in seinem Großfamiliengefüge.
Dann liefert er Zahlen, Daten und Fakten und erinnert an die Berliner Konferenz von 1884, auf der die Kolonialmächte den afrikanischen Kontinent unter sich aufteilten – die Grenzen zogen sie mit dem Lineal. Faloyin beklagt die Heuchelei des globalen Nordens, die bis heute anhält: Er beleuchtet die Kehrseite der Charity-Industrie, demontiert das Bild des „weißen Retters“ und kritisiert die nordamerikanischen und europäischen Museen, die immer wieder Ausreden finden, um geraubte Artefakte nicht nach Afrika zurückzugeben.
Positiv, divers, kompliziert
Was Falyoin aber vor allem will: den Blick für die Unterschiede zwischen einzelnen afrikanischen Ländern schärfen. „Ich will Menschen vermitteln, dass es 54 Länder mit sehr unterschiedlicher Geschichte sind, die jeweils wegen ganz bestimmter Umstände da stehen, wo sie heute stehen. Und dass sie deswegen nicht wie ein Land behandelt werden sollten, mit einem vorbestimmten Schicksal, arm zu sein“, sagt er in einem Interview gegenüber dem Hörfunkprogramm Deutschlandfunk.
Und so erfährt man im Buch vieles über soziale Bewegungen in den unterschiedlichen Ländern, etwa die Feminist Coalition, ein Kollektiv junger Frauen in Nigeria, oder die #ShutItDown-Bewegung in Namibia, die gegen sexuelle Gewalt auf die Straße ging. Auch über politisch-hoffnungsvolle Interventionen von Millennial-Aktivist:innen wie Bobi Wine in Uganda oder den Aufstieg von Präsidentin Samia Suluhu Hassan in Tansania schreibt er. Und er widmet sich dem zunehmenden Einfluss popkultureller Phänomene, etwa der zweitgrößten Filmindustrie der Welt, Nollywood, oder dem weltweit gefeierten und doch lokal verankerten Genre Afrobeats.
Genauer hinschauen
Vielleicht ist nicht alles neu und unbekannt, worüber Faloyin berichtet. In jedem Fall schafft die Lektüre ein Bewusstsein für denkfaule Simplifizierungen, motiviert dazu, genauer hinzuschauen und zeichnet ein vielschichtiges Bild – informativ, polemisch und unterhaltsam. „Bevor die Welt abbrennt“, schreibt Faloyin, „ist es zwingend erforderlich, dass wir unsere eigenen Geschichten erzählen, in Gänze und persönlich, auf eine Weise, die wir beherrschen.“
Dipo Faloyin: Afrika ist kein Land. Aus dem Englischen von Jessica Agoku, Suhrkamp Verlag, 400 Seiten, 21,50 Euro
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