„Wir verurteilen keine Kindersoldaten“

Von Redaktion · · 2009/07

Der Sondergerichtshof für Sierra Leone klagt die mutmaßlichen Hauptverantwortlichen des Bürgerkriegs der 1990er Jahre an. Die Arbeit der österreichischen Richterin Renate Winter, Präsidentin des Gerichtshofs, ist hart. Trotzdem findet sie Zeit, ehemaligen Kindersoldatinnen den Start in ein neues Leben zu ermöglichen, erzählte sie Südwind-Redakteurin Michaela Krimmer.

Südwind: Was ist die Aufgabe des Sondergerichtshofes für Sierra Leone?
Renate Winter:
Wir klagen die Führungspersonen des Bürgerkriegs an, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben. Er ist ein internationaler Ad-hoc-Gerichtshof, der außerhalb der Gerichtsbarkeit des Landes steht. Zur Zeit haben wir vier Verfahren: drei innerhalb Sierra Leones und das vierte gegen den ehemaligen Präsidenten von Liberia, Charles Taylor. Er ist angeklagt, den Bürgerkrieg im Nachbarland Sierra Leone durch den Handel mit sogenannten Blutdiamanten mitfianziert und unterstützt zu haben. Dieses Verfahren wird aus Sicherheitsgründen in Den Haag geführt, da es Drohungen gab, dass seine Anhänger wieder aktiv werden könnten.

Wie ist die Bereitschaft der Bevölkerung, gegen die Täter auszusagen?
Die Bevölkerung will sprechen. Vielen wurden Arme, Beine, Ohren oder Lippen abgeschnitten. Wenn Ihnen das passiert wäre und Sie hätten die Möglichkeit, den Täter hinter Gitter zu bringen, würden Sie dann nicht aussagen wollen?

Wir haben aber auch viel Informationsarbeit geleistet. Ich glaube, es gibt kein Dorf in Sierra Leone, in dem das Team des Sondergerichtshofes nicht war. Überall erklären wir unsere Arbeit und die Prinzipien der Menschenrechte. Eine Herausforderung in einem Land, in dem viele Menschen nicht lesen und schreiben können. Broschüren mit Bildern, Theaterstücke und Lieder helfen uns dabei.

Haben die Zeuginnen und Zeugen keine Angst vor Rache, sollten sie aussagen?
Ich bin stolz, dass der Sondergerichtshof in Sierra Leone das bisher beste Zeugenschutzprogramm eines Ad-hoc-Gerichtshofs entwickelt hat. Die ZeugInnen müssen sich nicht vor Gericht zeigen, ihre Stimme wird elektronisch verzerrt und wenn nötig, ziehen sie in ein anderes afrikanisches oder außerafrikanisches Land um. Ohne ein effektives Zeugenschutzprogramm wäre die Angst vor Vergeltungsschlägen zu groß, um auszusagen.

Sierra Leones Bürgerkrieg ist berüchtigt für die hohe Anzahl an Kindersoldatinnen und -soldaten. Wie geht man mit ihnen um?
Wir haben als einziger internationaler Gerichtshof das Mandat, Jugendliche zwischen 15 und 18, Burschen und Mädchen, als Straftäter zu behandeln. Wir haben uns jedoch entschlossen, das nicht zu tun. Wir verurteilen keine Kindersoldaten. Wenn ein Kind gezwungen wird, seinen Vater zu erschießen, mit Drogen gefügig gemacht wird und dann in einem Krieg kämpft: Wer ist da der Täter und wer das Opfer? Die Rebellenführer haben den Kindern eingeredet, sie seien unverwundbar. Der Glaube an Hexerei, Wundersalben und Rituale spielen dabei eine große Rolle. Ein Kindersoldat ist mit Sicherheit nicht derjenige, der die größte Verantwortung trägt. Selbst wenn er noch so grauenhafte Verbrechen begangen hat.

Helfen Ihnen Ihre Erfahrungen als ehemalige Richterin am Wiener Jugendgericht?
Ja, sehr. Ich bin die einzige Richterin, die professionelle Erfahrungen mit Jugendlichen hat. Man muss Jugendliche verstehen: ihre Körpersprache, ihre Art und was und wie sie denken. Wenn ein Jugendlicher lacht, ist das vielleicht nicht, weil er mich verhöhnen will, sondern weil er verlegen ist. Zeit ist überhaupt der wichtigste Faktor – nicht nur bei Jugendlichen, sondern bei allen Opfern.

Sie haben eine Initiative für ehemalige Kindersoldatinnen gegründet. Warum?
Im Bürgerkrieg von Sierra Leone wurden Massen an Frauen vergewaltigt oder als Kindersoldatinnen rekrutiert. Ein solches Mädchen wird von der Familie nicht mehr zurückgenommen. Sie ist vergewaltigt worden, war vielleicht sogar mit einem Rebellen verheiratet, eine sogenannte „Bushwife“, oder hat Kinder von ihm. Das einzige was ihr übrig bleibt, ist Prostitution.

Es ist besonders wichtig, Frauen zu zeigen, dass sie nicht schuld an ihrer Vergewaltigung sind. Vergewaltigung ist eine Straftat und kein Vergehen der Frau. Ich habe mit meinen beiden Sekretärinnen – eine ist aus Sierra Leone, die andere aus Schottland – eine Inititiative ins Leben gerufen. Ehemalige Kindersoldatinnen und Opfer des Krieges lernen dort traditionelle Kleider mit der Nähmaschine zu nähen. Die verkaufen sie dann auf dem Markt. Nach dem Kurs bekommen sie ein Zeugnis, ein Startkapital und können hoffentlich ein neues Leben beginnen.

Wie gehen Sie mit der psychischen Belastung um?
Das ist ein schwieriges Thema. Wie soll man all diese Gräueltaten verkraften? Doch es muss sein. Psychologische Betreuung ist nicht möglich. Wie ein Arzt darf auch eine Richterin nicht über ihre Fälle reden – und das ist auch gut so. Denn das, was ich weiß, sollte nicht in die falschen Hände geraten. Als Richterin muss man objektiv bleiben, obwohl das manchmal unmöglich erscheint.

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