„Wir werden nicht die Scharia einführen“

Von Jan Marot · · 2010/05

Mostafa Bakkach will Spanien „mit den Werten des Islam erneuern“. Er ist Parteichef der ersten muslimischen Partei in Europa, die national Ambitionen zeigt.

"Wir haben zwei paar Augen, kennen Orient wie Okzident und wir drehen den Spieß um“, sagt der gebürtige Marokkaner Mostafa Bakkach. Vor dem EU-Marokko-Gipfel Anfang März präsentierte der 45-jährige Journalist, Arabistik-Professor und Poet im südspanischen Granada die Partei PRUNE (Partido Renacimiento y Unión de España), „Partei Renaissance und Einheit Spaniens“.

Seit 23. Juli 2009 vom Innenministerium anerkannt, ist sie die erste an islamischen Werten orientierte Fraktion, die sich in ganz Spanien kommunal und national zur Wahl stellen will. Für Europa, wo es in Holland eine deklarierte Anti-Islam-Partei gibt, ist PRUNE ein Unikat. Man fände Inspiration im Islam, sagt Bakkach, wie die Christdemokraten Deutschlands oder Spaniens Volkspartei im Christentum. Das bedeute nicht, dass man die Scharia einführen wolle.

Man könne an „Gott, an Allah oder wen auch immer glauben“, zeigt er sich über Konfessionsgrenzen tolerant. Ziel sei es, in Harmonie, Frieden und Kooperation zusammenzuleben. Seit 18 Jahren lebt er in Spanien, seit 15 in Granada. 2001 erhielt Bakkach die Staatsbürgerschaft.

In Personalunion Parteigründer, -präsident und -pressechef engagierte er sich stets für ImmigrantInnen. Bakkach will aus Fehltritten der Integrationspolitik seiner PolitrivalInnen profitieren. Minderheiten, die für andere oft nur als Mittel zum Stimmengewinn interessant waren, sind seine Zielgruppe.

Eine Dependance hat PRUNE neben Granada noch im nordspanischen Oviedo. In Kürze folgen die Mittelmeerstädte Valencia und Murcia sowie die Kanareninseln und die Afrika-Exklaven Ceuta und Melilla. In Madrid und Barcelona legte man sich fest, 2011 mit einer Christin an der Spitze anzutreten.

Finanziert werden erste Schritte aus eigener Tasche. Eine in der spanischen Zeitung ABC vermutete „Verbindung zu Marokkos Königshaus“ streitet Bakkach ab. Wenn er kritisiere, fürchte er weder Rabat, Madrid noch Washington. Siebenhundert bis tausend Mitglieder zählt Bakkachs Neo-Partei aktuell.

In einer Dekade werde es tausende ImmigrantInnen mehr geben und viele neue StaatsbürgerInnen, rechnet Bakkach vor, dann werde man „richtig Erfolg haben“. Um 2040 könnte PRUNE „zur zweiten oder zumindest dritten Kraft im Staat avancieren“, gibt der Parteichef sich optimistisch. Ein PRUNE-Ministerpräsident wäre dann denkbar.

In Spaniens Politik sind MuslimInnen spärlich vertreten. Bei EU-Wahlen im Juni 2009 trat erstmals Mohammed Azahaf aus Tanger als Muslim für die Sozialisten auf dem Listenplatz 31 an. In der Afrika-Exklave Melilla, wo viele BürgerInnen berberischer Abstammung leben, formierte sich 1995 die Coalición por Melilla um Mustafa Aberchán. Er schaffte es als erster Muslim in der als „Autonome Region“ geltenden 70.000-EinwohnerInnen-Stadt zum Provinzpräsidenten bis 2000.

In Melilla ist auch Amin Azmani als Sozialist im Stadtrat vertreten. Er sieht PRUNE skeptisch: „Es ist ein Fehler, in der Politik einer Religion zu folgen.“ Vielmehr müsse man an sozialen Überzeugungen festhalten, auch wenn diese im Widerspruch zum Glauben stehen. So befürwortet Azmani die Ehe für Homosexuelle.

In Spanien leben geschätzte 1,5 Millionen MuslimInnen, zumeist in den 1990ern zugewanderte ErntehelferInnen und ihre Nachkommen sowie in steigender Tendenz zum Islam Konvertierte. 110.000 aus Marokko gebürtige EinwandererInnen sind spanische StaatsbürgerInnen. Rund 700.000 MarokkanerInnen wird mangels bilateralem Abkommen (anders als etwa EcuadorianerInnen) weder in Spanien 2011 das kommunale Wahlrecht zuteil, noch dürfen sie bei Wahlen in Marokko aus dem Ausland abstimmen.

„Wer nicht wählt, ist so, als würde er politisch nicht existieren“, kritisierte der Soziologe Mokhtar Mohatar Marzok vom Zentrum für Andalusienforschung bei der Präsentation seiner Studie über emigrierte MarokkanerInnen im euroarabischen Institut Granadas. Sie ergab, dass zwölf von 100 ihren „Status als illegal“ einstufen. Etwa 80 Prozent gehen einer „Tätigkeit niedriger Qualifikation“ nach. Davon arbeiten wiederum 36 Prozent in der Landwirtschaft. Die Hälfte sendet regelmäßig Geld an ihre Familien in der Heimat.

Mit PRUNE schielt Bakkach auch auf EU-Ebene: „Wir wollen einen Parteienblock in den EU-Staaten gründen.“ Der Islam wachse. Er glaubt, dass in 50 Jahren Europa mehrheitlich muslimisch sein wird. EuropäerInnen müssten den Islam gut studieren. „Nicht, um ihn zu bekämpfen, sondern um mit ihm zusammenzuleben“, sagt Bakkach. Der Feind sei nicht der Islam, sondern die Ignoranz.

Entwicklungen wie etwa das Schweizer Minarett-Votum sieht er als rassistisch und Verstoß gegen die Menschenrechte. Bakkach, der in der Kopftuchfrage eine den „Frauen frei stehende Entscheidung, es zu tragen“ sieht, mokiert sich, warum niemand „ein Verbot für Nonnentracht“ debattiere.

Xenophobie als Wahlpropaganda wie die der österreichischen FPÖ oder Frankreichs Front National lässt ihn augenscheinlich kalt: „Wir lassen uns auf diese Angstmacherei-Spielchen nicht ein.

Jan Marot ist freier Journalist deutschsprachiger Tageszeitungen und Magazine für Spanien und den Maghreb. Er lebt in Granada (Spanien).

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