Wohl gemeint ist halb verloren

Von Herbert Langthaler · · 2000/03

Kurz vor acht Uhr morgens, ein Gymnasium in einem der „besseren“ Wohnbezirke der Wiener Peripherie: Während eine Gruppe Jugendlicher noch angestrengt an ihren Zigaretten pafft, parkt sich vor dem Schulgebäude ein grüner Kleinbus mit der Aufschrift „Miteinander Leben“ ein. Das Team der asylkoordination wird einen Vormittag zum Thema „Fremde in Österreich“ gestalten. Der Deutschprofessor der 7a hat langwierige Terminverhandlungen mit den Kollegen und wenig erbauliche Vorbereitungsstunden mit den SchülerInnen hinter sich. „Sie werden sehen, mit einigen ist es ganz schön schwierig“, warnt er auf dem Weg vom Konferenzzimmer zur Klasse. Die für die ReferentInnen ungewohnt frühe Stunde macht den SchülerInnen weniger Probleme, sie sind schon in intensive Gespräche vertieft, bei denen sie sich vom auftauchenden Lehrer nur ungern unterbrechen lassen.

„Wir haben heute Experten da, die mit euch zum Thema Flüchtlinge arbeiten werden.“ Ein kräftiger Junge, dessen T-Shirt eine Schreckgestalt ziert, welcher unter heftigem Blutgespritze die Augen aus den Höhlen treten, stößt seinen Sitznachbarn und macht eine halblaute Bemerkung. „Bitte Lanser, könntest du dein Gequatsche unterlassen“, weist ihn der Lehrer zurecht.

Wenig später, die Aufgaben für das Rollenspiel „Rechtsweg Asyl“ sind verteilt, versucht der vermeintliche Störenfried, inzwischen in der Rolle eines afghanischen Flüchtlings, mit großem Eifer eine betont teilnahmslos dreinblickende „Beamtin“ von seinen Fluchtgründen zu überzeugen.

„Mit dem Einsatz von Rollenspielen haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht“, erzählt Anny Knapp von der asylkoordination. „Die Situation, in der sich Flüchtlinge befinden, wenn sie in Österreich um Asyl ansuchen, kann auf diese Weise viel besser vermittelt werden als mit Vorträgen. Man kann die Schüler dazu bringen, ihre bisherigen Meinungen über Flüchtlinge zu überdenken.“

Eine Kombination von Wissensvermittlung durch verschiedene Medien, spielpädagogischen Ansätzen, interkulturellen Begegnungen und dem Versuch, die Entstehung von Vorurteilen und Stereotypen mittels diskursanalytischen Ansätzen transparent zu machen, gehören zum Rüstzeug jeder antirassistischen Arbeit mit SchülerInnen und Jugendlichen.

„Uns ist klar geworden, dass das ‚Austreiben von falschem Bewusstsein‘, wie es oft von wohlmeinenden Lehrern versucht wird, völlig kontraproduktiv ist“, erzählt Christian Ehetreiber, Geschäftsführer der ARGE Jugend gegen Gewalt und Rassismus. Jugendliche würden sich so, bedingt durch das Machtgefälle zwischen Lehrer und Schüler, höchstens äußerlich anpassen und sozial gewünschtes Verhalten zeigen, ohne demokratische Haltungen und Einsichten zu entwickeln. Dagegen stellt Ehetreiber gleichberechtigte Reflexionsarbeit an den Verstrickungen in rassistische Diskurse.

Die hierarchischen Verhältnisse in der Schule bleiben aber oft ein schwer zu überwindendes Hindernis und gefährden den Erfolg von antirassistischen Projekten.

Bei dem Projekt „Schule ohne Rassismus“ ist die gleichberechtigte Einbeziehung der Jugendlichen ein grundlegendes Merkmal. Das Konzept stammt aus Belgien und hat sich im vergangenen Jahrzehnt über ganz Europa verbreitet. Es ist ein Projekt in dem die Jugendlichen von der Idee bis zur Präsentation federführend in das Projektmanagement eingebunden sind. In Österreich läuft diese Form der fächer- und klassenübergreifenden antirassistischen Arbeit an Schulen seit dem Schuljahr 1998/99. Begonnen hat damit die ARGE Jugend gegen Gewalt und Rassismus in Graz. In Wien und im Burgenland läuft das Projekt unter der Koordination der asylkoordination heuer an.

Rassismus wird dabei ein ganzes Schuljahr lang zu einem Thema, mit dem sich alle am Schulleben Beteiligten auseinander setzen sollen. Sei es im normalen Unterricht, in größeren Projekten, in vertiefenden Seminaren für SchülerInnen, LehrerInnen oder Eltern oder auch durch Aktivitäten, die über die Grenzen des Schulalltags hinausgehen. Die Jugendlichen bestimmen dabei weitgehend, wie das Thema angegangen werden soll. Es werden Unterrichtsmaterialien und Projektmodule zur Auswahl bereitgestellt. Die Palette reicht dabei von Vorträgen, über Medienworkshops und Rollenspiele bis zu Besuchen afrikanischer Jugendlicher an Schulen oder Exkursionen zu Flüchtlingsheimen.

Gerade die längerfristige Perspektive des Projekts ermöglicht es, nicht nur Extremformen rassistischer Gewalt in den Mittelpunkt zu stellen, sondern die alltäglichen Formen von Ausgrenzung, die Verstricktheit jedes Mitglieds unserer Gesellschaft in eine Geschichte von Kolonialismus, Rassismus, Nationalsozialismus und europäischem Überlegenheitsdünkel sichtbar zu machen.

Es scheint nicht unbedingt notwendig, stets unter dem Motto „Antirassismus“ zu segeln. Jugendliche befinden sich in einer Phase der Identitätsfindung, in der oft mangelndes Selbstwertgefühl und die Erfahrung von Ohnmacht durch die Abwertung des vermeintlich Anderen kompensiert wird. Es geht bei antirassistischer Pädagogik also auch um die Stabilisierung von Identität, auch darum, den Jugendlichen Mittel an die Hand zu geben, ihren Lebensraum für sich und ihre Bedürfnisse so zu gestalten, dass ein Rückgriff auf „Gewissheiten“ einer Ideologie der Ungleichheit und Ausgrenzung nicht mehr notwendig ist.

Zum Abschluss eines Schuljahres im Projekt „Schule ohne Rassismus“ steht eine öffentliche Präsentation der erarbeiteten Ergebnisse und die Verleihung einer Urkunde.

Das andere antirassistisches Schulprojekt der asylkoordination Österreich, der Infobus „Miteinander Leben“, läuft inzwischen im achten Jahr. In der Anfangsphase war ein umgebauter Postautobus, mit dem das Team in ganz Österreich unterwegs war, Kern des Projekts. Mit unterschiedlichen methodischen Bausteinen wurden sowohl Unterrichtsstunden oder Projekttage an Schulen bestritten, als auch Präsenz im öffentlichen Raum geschaffen. Im Bus befand sich eine Bibliothek, Ausstellungen, Zeitschriften, Flugblätter und Broschüren.

Inzwischen sind die öffentlichen Förderungen für das Projekt auf ein Drittel der ursprünglichen Summe gesunken. Der Bus ist zu einem Kleinbus geschrumpft und dient heute nur mehr dem Transport von Materialien zum jeweiligen Einsatzort.

Trotz widriger Bedingungen wurden auch 1999 von der asylkoordination im Rahmen des Projekts über 80 Einsätze an Schulen, Universitäten, im Rahmen der Erwachsenenbildung, bei kulturellen Veranstaltungen und Festen bestritten.

Seine praktischen Erfahrungen im Infobus-Projekt hat Markus Himmelbauer in seine Dissertation „Antirassistische Pädagogik“ einfließen lassen. „Antirassistischer Pädagogik geht es nicht um eine oberflächliche Symptombekämpfung, sondern sie beschäftigt sich mit Ursachen und Wurzeln des Rassismus“, schreibt Himmelbauer. „Ziel pädagogischer Bemühungen ist es ja nicht, individuelles Verhalten zu unterdrücken oder zu verbessern, sondern Einblick in Ausgrenzungsmechanismen zu erhalten und diese zu verändern.“ Eine solche, inzwischen in der theoretischen Diskussion weitgehend geteilte Vorgabe bringt antirassistische Pädagogik natürlich in Konflikt mit staatlicher Politik, ist doch die staatliche Ausgrenzungspraxis gegen MigrantInnen und Flüchtlinge der wichtigste Kristallisationspunkt, um den ein „fremdenfeindliches Meinungsklima“ erzeugt wird.

Nicht nur, dass der durch Rassismus geprägte politische Zeitgeist die materiellen Grundlagen für Projekte immer brüchiger werden lässt, ist es im derzeitigen Schulsystem auch schwierig, Bedingungen zu schaffen, unter denen angstfrei über das Thema gesprochen werden kann. Eine weitere Hürde stellen die Probleme im Schulalltag dar, die für antirassistischen Projektunterricht notwendige räumliche, zeitliche und inhaltliche Flexibilität zu schaffen.

Die Schule steht als gesellschaftliche Institution unter dem enormen Druck, soziale Probleme durch Pädagogisierung auffangen zu sollen. „Letztendlich kann die Schule nicht für gesellschaftliche Integration sorgen“, gibt Anny Knapp zu bedenken, „wenn Gesetze und politische Rhetorik andauernd Ausgrenzung und Ressentiments schüren.“

Die theoretischen Grundlagen antirassistischer Pädagogik, den Stand der Rassismusforschung und der historischen Entwicklung verschiedener Rassismen auch den LehrerInnen zu vermitteln ist darüber hinaus eine grundlegende Voraussetzung für antirassistische Arbeit an Schulen.

Vertrauen, Sicherheit, Offenheit, Respekt den SchülerInnen gegenüber ist ebenso wichtig. Es bedarf oft großer Zurückhaltung, um in Diskussionen nicht einfach mit Daten und anderen „Wahrheiten“, den SchülerInnen vorzuführen, dass sie falsch liegen, sondern den tatsächlichen Hintergrund für rassistische Äußerungen zu ergründen. Denn identitätsstützende Abwehrhaltungen sind durch rationales Argumentieren oft nicht zu erschüttern.

Um diese aufzuweichen, muss man dem Stellenwert, den rassistische Konstruktionen für das Selbstbild der Jugendlichen darstellen, auf die Spur zu kommen. In einem Projektmodul von „Schule ohne Rassismus“ werden die Jugendlichen daher angeregt, ihr eigenes Lebensumfeld, Kontakte mit „Ausländern“ (bzw. „Inländern“) mittels Fotos oder Video aufzuarbeiten. Ein Vergleich der verschiedenen Erzählungen und Bilder der Alltagsrealität macht klar, wie sehr es auf den Kontext und den jeweiligen Standpunkt ankommt. Zentral ist es auch hier, dass die BegleiterInnen dieses Prozesses nicht selbst in die Schemata von „gut/böse“ verfallen. Antirassistische Arbeit muss, wie der britische Pädagoge Phil Cohen es ausdrückt, auf der „Anerkennung der widersprüchlichen und in sich gebrochenen Aspekte gesellschaftlicher Identität“ beruhen.

Stellt sich abschließend die Frage ob antirassistische Arbeit an Schulen überhaupt Sinn macht. „Ob unsere Arbeit langfristig etwas bewirkt, weiß ich nicht“, gesteht Anny Knapp. „Es ist die Frage, was hängen bleibt, wenn nach einem Projekt die Normalität des Schulalltages wieder einsetzt.“ Ein wichtiger Aspekt der Schulprojekte ist die Vernetzung engagierter Vereine mit den LehrerInnen und SchülerInnen. Manchmal entstehen aus einem Unterrichtsprojekt sogar Gruppen, die sich auch außerhalb der Schule engagieren, zum Beispiel Flüchtlinge betreuen, oder ihre Erfahrungen an andere Jugendliche weitergeben.

Punktuell ist es also möglich Jugendliche zu konkretem Handeln zu motivieren oder zumindest eine Immunisierung gegen rassistische Propaganda zu erreichen. Wenn sich allerdings herrschende Politik und Gesetze nicht ändern, bleiben antirassistische Schulprojekte der sprichwörtliche Tropfen auf dem heißem Stein.

Herbert Langthaler ist Journalist und seit Jahren im Bereich Menschenrechte und Flüchtlinge engagiert.

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