Zwischen zwei Welten

Von Gabriele Schaumberger · · 2006/09

Über 200.000 Flüchtlinge aus Burma leben in Lagern in Thailand. Darunter die Karenni, die einem Genozid in ihrer Heimat entkommen konnten. In Thailand laufen sie Gefahr, ihre Kultur zu verlieren oder als Touristenattraktion ausgebeutet zu werden.

Mee Rah sitzt vor dem Haus und flicht neue Blätterschindeln. Auf der Feuerstelle gart ein Bananenstrunk, den das Schwein bekommen wird. Me Lu, die Nachbarin, hat schon die Fäden für einen neuen Sarong in den Stammesfarben gespannt. Im Schatten der Hütte lehnt sie im Hüftwebstuhl, das Baby an der Brust. Das rhythmische Stampfen der Reismörser ist mit Kinderlachen untermalt.
Abends, bei Kerzenschein, wird der Krug mit Reiswein herumgereicht. Lou Law erzählt eine Geschichte von zu Hause, schlägt sich dabei auf die Knie und die Runde bricht in schallendes Gelächter aus. Selten habe ich so viel gelacht wie mit den Karennis, selten das Leben als so schön und leicht empfunden wie in dieser noch großteils intakten Kultur mit ihren 3.000 Jahre alten Wurzeln.
Ban Kwai, Karenni Camp 1, liegt in den weitläufigen Bergtälern nahe der thailändisch-burmesischen Grenze. Der Karenni State mit seinen 300.000 Einwohnern wurde 1948 ohne Befragung der Bevölkerung den Grenzen des heutigen Burma einverleibt. Seit 1985 werden die BewohnerInnen systematisch ausgerottet. Ein Exodus nach Thailand begann. Was dort einst als provisorische Siedlung im Dschungel errichtet wurde, ist angewachsen. Die Behörden gewährten den Flüchtlingen das Recht zu bleiben, solange sie das „Camp“ nicht verließen. Heute leben 20.000 Karennis in Camp 1. Privatsphäre gibt es keine, auch keinen Strom, kein Telefon, und ab 21 Uhr herrscht Ausgangssperre. Kein Kontakt zum 21. Jahrhundert, das praktisch vor der Tür liegt. Fremden ist der Zutritt seit 2003 verboten.
Nach anfänglicher Scheu erzählen die Vertriebenen mit leiser Stimme und verlegenem Lächeln Geschichten von Verfolgung, Zwangsarbeit, Hinrichtungen, Massenvergewaltigungen, von Grauen und Leid.
20 Jahre Flüchtlingsdasein als unerwünschte Fremde, ohne Land und ohne Rechte, löschen die Geschichte und die Traditionen dieser alten, noch lebendigen Kulturen aus. Damit verschwindet ein riesiges Archiv an Wissen von unzähligen Alten, Heilern, Bauern, Fischern, Hebammen, Dichtern und Künstlern.
Bei den Karennis ist es bereits eine ganze Generation, die mit gestörter kultureller Identität zur Welt kam und aufwuchs. Die Führer dieses Volkes auf der Flucht sind völlig überfordert von der Aufgabe, 22.000 Menschen zu organisieren und zu verwalten.
Alle Strukturen im Camp werden mit nur geringer Hilfe von westlichen Nichtregierungsorganisationen von den Flüchtlingen selbst errichtet und erhalten. Sie bauen Schulen, Kliniken, Wassersysteme und versuchen sich seit neuestem in vertikalem Anbau: Land für Ackerbau ist rar.
Während die meisten Flüchtlinge ein Schattendasein führen, wurde die Gruppe der Kayan oder „Long Neck Karen“ von der thailändischen Tourismus-Industrie entdeckt. Sie dienen als „Showobjekte“ für Reisegruppen.

www.huaypukeng.com

Die Autorin ist Mitbegründerin von „Ethnosphere“, Verein für Bildung, interkulturellen Dialog und Projekte indigener Völker. Seit über zehn Jahren engagiert sie sich speziell für die Ethnie der Karenni und verbrachte insgesamt über ein Jahr in der Region.

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