Millennium plus fünf

Von Werner Hörtner · · 2005/09

Dieser mysteriös anmutende Titel bezeichnet den großen UN-Gipfel zu Entwicklungsfragen Mitte September in New York, auf dem auch die geplanten Reformen des UN-Systems zur Debatte stehen werden.

Wenn die reichen Länder der Welt 0,7 Prozent ihres Nationaleinkommens für Entwicklungshilfe ausgeben, könnte die extreme Armut bis zum Jahr 2015 halbiert und bis 2025 gänzlich ausgerottet werden, prophezeit US-Ökonom Jeffrey Sachs, einer der überzeugtesten Fürsprecher der Millenniums-Entwicklungsziele (MDGs).
Bis 2010 will man die Hilfe von derzeit etwa 50 Milliarden US-Dollar verdoppeln, wobei die Hälfte des frischen Geldes, also 25 Mrd., nach Afrika fließen soll, wurde beim G8-Gipfel im schottischen Gleneagles im vergangenen Juli vereinbart. (Näheres dazu siehe S.16.)
In einer Südwind-Sonderausgabe vom vergangenen April wurde der umfassende Aktionsplan des UN-Millennium-Projekts vorgestellt. Der Bericht beschreibt, wie die MDGs erreicht werden können, und empfiehlt die dafür einzuschlagenden Wege. Er listet auch konkret auf, welche Fortschritte bei der Umsetzung in den letzten fünf Jahren erreicht wurden – und wo Plan und Realität weit auseinanderklaffen. Das ist vor allem in Afrika südlich der Sahara der Fall, wo die Nahrungsmittelproduktion in den letzten Jahren sogar weiter zurückging, die Umweltzerstörung voranschritt, Aids und Malaria zunahmen. Der Bericht nennt auch übergreifende Gründe für das Nichterreichen der Ziele, wie schlechte Regierungsführung, Armutsfalle (ein Land ist zu arm, um aus eigener Kraft voranzukommen) und regional ungleiche Entwicklung.

Was wird der große Millennium+5-Gipfel, der vom 14. bis 16. September am New Yorker UNO-Sitz abgehalten wird, für die Erreichung der Entwicklungsziele bringen? Eine weitere Mammutkonferenz mit viel Aufwand, doch wenig konkreten Ergebnissen?
Die Vorbereitungsarbeiten der Vereinten Nationen sind ausreichend, um den Gipfel zu einem Erfolg werden zu lassen. Mit dem umfangreichen Aktionsplan, Ergebnis mehrjähriger Untersuchungen von fast 300 Fachleuten, wurde eine konkrete und praktische Vorgabe für die Erreichung der Ziele erarbeitet. Es wird am politischen Willen der Geberländer liegen, ob sie ihre Verpflichtungen zum Aufbau einer weltweiten Entwicklungspartnerschaft einhalten werden, und ebenso am Willen und der Fähigkeit der armen Länder, ihre Sozial- und Wirtschafts- sowie auch die Menschenrechtspolitik an den Interessen der benachteiligten Bevölkerungsschichten auszurichten. Hier ist Skepsis berechtigt, umso mehr, wenn man sich die von Eigeninteressen – bzw. den Interessen ihrer Unternehmen – diktierten Positionen der reichen Länder in den wichtigen handelspolitischen Fragen anschaut.

Eine Befürchtung ist, dass das Hauptthema des New Yorker Gipfels, die Erreichung der Millenniumsziele, gegenüber anderen Fragestellungen in den Hintergrund tritt. Etwa der vom Generalsekretär so sehr forcierten Reform des UN-Systems. Kofi Annan selbst hat ja in seinem Dokument „In larger freedom“ die Brücke von sozialem Fortschritt und höherem Lebensstandard mit Menschenrechten und globaler Sicherheit in Zusammenhang gebracht, wobei er die UN-Reform als wichtigen Beitrag für sein integrales Fortschrittskonzept betrachtet. Diese Reform soll ganz allgemein die Rolle der Entwicklungs- und Schwellenländer im UN-System stärken und den Vereinten Nationen mehr Kompetenzen in der internationalen Sicherheits-, Menschenrechts-, Sozial- und Wirtschaftspolitik geben.

So wichtig diese Reform auch ist, so groß ist die Gefahr, dass durch die Diskussion darüber der New Yorker Millenniumsgipfel in die Auseinandersetzungen über Annans Änderungsvorschläge hineingezogen wird. Und dass dann die Debatte über internationale Sicherheitsfragen und Terrorismusbekämpfung bestimmend sein wird und nicht mehr die Erreichung der Entwicklungsziele.
Die Europäische Union möchte auf dem Septembergipfel als Vorreiterin der internationalen Entwicklungspolitik auftreten. Bei Treffen im Mai und im Juni wurde ein Stufenplan zur Erhöhung der Entwicklungshilfe bis auf 0,7% im Jahre 2015 festgelegt. Es handelt sich dabei jedoch nur um Zusagen, die noch keinen Niederschlag in der langfristigen Budgetplanung der Staaten gefunden haben. Eine Möglichkeit, verbindliche Beschlüsse zur Aufbringung der erforderlichen Finanzmittel zu fassen, gibt es noch bei einem Treffen der EU-Wirtschafts- und Finanzminister am 9./10. September in Manchester.
Um die eigenen Haushalte nicht mit steigenden Entwicklungshilfe-Ausgaben belasten zu müssen, wird in der EU immer stärker mit außerbudgetären Finanzierungsquellen geliebäugelt. Frankreichs Präsident Chirac macht sich für die Abgabe auf Flugtickets stark, die Briten für die „Internationale Finanzfazilität“ (Entwicklungsgelder über den Kapitalmarkt) – und die EU-Haushalts-Kommissarin Grybauskaite findet bereits die Tobin-Steuer einen „guten Vorschlag“.


Eine Kurzfassung (104 Seiten) des umfassenden MDG-Berichts mit dem Titel „In die Entwicklung investieren“ ist kürzlich auch auf Deutsch erschienen: www.unmillenniumsproject.org

Am 21. September findet in Wien eine MDG-Veranstaltung mit Eveline Herfkens u.a. statt (s. Terminkalender).

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