
Mit dem neuen Grenzgebietsgesetz erklärt Nicaraguas Regierung Landstreifen entlang der Grenzen zum Staatseigentum und vergibt Bergbaukonzessionen an chinesische Unternehmen. Dagegen formiert sich nun indigener Widerstand.
Ein Schock ging durch die Gemeinden an Nicaraguas Karibikküste. Über Nacht erklärte die autoritäre Regierung von Präsident Daniel Ortega und seiner Frau Rosario Murillo, der Vizepräsidentin, einen 15 Kilometer breiten Grenzstreifen zum Staatseigentum. Mit dem am 10. August 2025 verabschiedeten Gesetz wurde das Gebiet unter Militärkontrolle gestellt. Für die dort lebenden, vor allem Indigenen und Gemeinden, deren Vorfahren aus Afrika stammen, bedeutet das: Enteignung per Dekret und das Ende jeder Selbstverwaltung.
Auch alte Traumata wurden wach. „Vor allem die Älteren fühlten sich an die ‚Navidad roja‘ von 1981 erinnert“, berichtet ein Mitglied des Netzwerks Indigener Verteidigerinnen (RDI), das anonym bleiben möchte, dem Südwind-Magazin. Während der sogenannten „Roten Weihnachten“ wurden damals rund hundert indigene Gemeinden aus der nordöstlichen Grenzregion zu Honduras vom Río Coco ins Landesinnere nach Tasba Pri zwangsumgesiedelt. Die sandinistische Regierung rechtfertigte die militärische Operation in den 1980er Jahren mit angeblichen kontrarevolutionären Aktivitäten und mit der nationalen Souveränität und Sicherheit.
Auch heute, so erklärte die Vizepräsidentin Rosario Murillo in La Nueva Radio YA, solle das neue Gesetz externe Bedrohungen, wie Drogen- und Menschenhandel verhindern und würde Souveränität und Frieden gewährleisten.
Indigene sehen das anders: Tatsächlich diene die Kampagne vor allem dazu, „das Land der Indigenen unter staatliche Kontrolle zu bringen“, so die Auskunftsperson. Die Zone gilt für den gesamten Grenzverlauf, auch entlang der Atlantik- und Pazifikküste. An der Nordgrenze zu Honduras betrifft sie genau jene Gebiete, die seit Generationen mehrheitlich von indigenen Gemeinschaften und Nachfahren afrikanischer Menschen an der Karibikküste bewohnt werden, wie das Naturschutzgebiet Bosawás und im Süden das Schutzgebiet Indio Maíz.
Unveräußerliches Land. Der neue Handstreich der Regierung widerspricht allerdings dem Autonomiestatut von 1987. Es garantiert den Völkern der Karibikküste das Recht auf Selbstverwaltung innerhalb des nicaraguanischen Staatsverbandes und wurde in der Verfassung festgeschrieben. Und: Der Artikel 36 von Gesetz 445 besagt, dass dieses Land unveräußerlich ist und das Recht darauf niemals verjährt.
Daniel Ortega ist das ein Dorn im Auge. Seit er 2007 erneut zum Präsidenten gewählt worden war, höhlte er die verfassungsrechtlich verankerten Autonomierechte beständig aus. Er setzte in einigen Gebieten parallele Gemeinde- und Territorialregierungen ein und manipulierte, nach Beobachtung der nicaraguanischen NGO Urnas Abiertas die regionalen Wahlen.
Im Jahr 2014 startete eine massive Invasion von Siedler:innen. „Das hat zu sehr viel Gewalt geführt“, sagt das Mitglied des RDI. „Zwischen 2015 und 2025 wurden mehr als 80 Indigene ermordet und mehr als 170 verletzt.“
Per Resolution erkannte der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte schon vor zehn Jahren an, dass vier indigene Gemeinschaften in ernsthafter und dringlicher Bedrohung leben, etwa durch Gewaltakte, Vertreibungen oder Landkonflikte.
Laut RDI betreiben in diesen Gebieten auch weiterhin bewaffnete Siedler:innen Bergbau und extensive Viehzucht. Es seien zum Teil Ex-Militärs und arme kleinbäuerliche Familien aus anderen Gegenden Nicaraguas, die sich auf Landtitel berufen, die vom nicaraguanischen Katasteramt oder lokalen Behörden ausgestellt wurden – ohne die Rechte der indigenen Gemeinschaften zu berücksichtigen. Das neue Gesetz verschärfe die bereits bestehende Gewaltsituation und die Rechtsunsicherheit in den Grenzgemeinden.
Konzessionen an China. Hinter der aktuellen Landannexion stecken handfeste Interessen. In den vergangenen zwei Jahren hat die Ortega-Murillo Regierung immer mehr Bergbaukonzessionen an chinesische Unternehmen vergeben.
Chinesische Minenbetriebe verfügen in Nicaragua mittlerweile über 30 Konzessionen auf über 600.000 Hektar Land, eine Fläche fast so groß wie Salzburg. Der größte mit über 190.500 Hektar ist Zhong Fu Development S.A. Das Unternehmen extrahiert Gold, Silber und Kupfer, unter anderem in den Autonomen Regionen und in den indigenen Territorien Mayangna und Miskito entlang der Karibikküste, und im Biosphärengebiet Bosawás.
„Die chinesischen Betriebe geben an, das Land legal gepachtet zu haben. Aber der Bergbau wird dort illegal betrieben, denn es gab keine freie, vorherige und informierte Zustimmung, wie es das Gesetz vorsieht“, kritisiert das Mitglied des RDI.

Gegenwehr gestartet. Nachdem Nicaragua offiziell immer noch den Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte anerkennt, hat das Netzwerk einen Bericht an die Interamerikanische Kommission geschickt und um eine öffentliche Anhörung zu den Auswirkungen des Gesetzes und des Bergbaus durch chinesische Unternehmen gebeten.
Denn: Das Grenzgebietsgesetz bedeutet eine weitere Schwächung aller traditionellen Autoritäten und hebt die Autonomie in den betroffenen Gebieten faktisch auf. „Wir glauben, dass es das Ziel dieses neuen Gesetzes ist, Gemeinden zu enteignen und zu vertreiben.“ Mehr noch: „Wir glauben, dass die Regierung die Assimilation vorantreibt, um die indigenen Kulturen auszulöschen“, fasst die Person vom Netzwerk Indigener Verteidiger:innen dessen Befürchtungen zusammen.
Ulrike Prinz ist freie Journalistin und Ethnologin. Sie forschte in Brasilien, gab die Zeitschrift Humboldt für den Kulturaustausch mit Lateinamerika heraus und schreibt über wissenschaftliche, kulturelle und gesellschaftliche Themen.
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