Alarmstufe dunkelrot

Von Patricio Luna · · 2007/12

Auch an der Peripherie zeigt der Planet Risse an allen Ecken und Kanten. Klimaforscher und -forscherinnen aus aller Welt trafen sich im Oktober in Ecuadors Hauptstadt Quito zur Klimakonferenz „Clima Latino“.

Kaffeebauern im Süden Ecuadors verlieren durch Niederschläge, die aus dem Gleichgewicht geraten und Saat- und Ernteperioden durcheinander werfen, Erträge und Einnahmen. In Brasilien drängen Abholzung und Brände die indigenen Amazonasvölker immer weiter zurück. Und Klimaextreme und Wetterkapriolen wie das Phänomen El Niño kommen einem Land wie Peru teuer zu stehen: 1997 richtete der Klima-Gau Schäden von 3,5 Milliarden Dollar an – 4,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), in einem Land, wo 51 Prozent von 28 Millionen Menschen in Armut und 21 Prozent in extremer Armut leben.
Auch in Lateinamerika steht der Uhrzeiger auf wenige Sekunden vor zwölf. Der peruanische Experte Luis Geng von der nationalen Umweltaufsichtsbehörde bringt die Folgen des Klimawandels mit der Feststellung auf den Punkt: „Früher sahen wir Folgen und Probleme in 15 bis 25 Jahren kommen. Heute aber stehen sie schon fast vor unserer Haustür.“ Das düstere Panorama weckt auf, rüttelt Gewissen und Gehirne wach.
Die UNO und der 1988 gegründete und jetzt – zusammen mit dem ehemaligen US-Vizepräsidenten Al Gore – mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Weltklimarat (International Panel on Climate Change, IPCC) mahnen unermüdlich: „Der Klimawandel ist das gravierendste Problem der Menschheit und der Gegenwart. Es ist höchste Zeit zu handeln. Etwas muss geschehen.“ Ecuador, seit Jänner 2007 im Zeichen der „Bürgerrevolution“ von Präsident Rafael Correa (siehe SWM 4/07), hat sich den Appell der UNO zu Herzen genommen.

Zur Eröffnung der „Internationalen Konferenz über Klimawandel in Lateinamerika“ am vorletzten Donnerstag im Oktober kamen das diplomatische Korps und Staatschef Correa. 1.500 Menschen hatten sich zur Konferenz angemeldet. Die Konferenz war die größte und wichtigste Veranstaltung ihrer Art in Lateinamerika und der Karibik.
Neben RegierungsvertreterInnen waren auch hochrangige ExpertInnen von Weltbank, dem Washingtoner World Resources Institute (WRI), der Organisation der acht Amazonasanrainerstaaten (OTCA) oder der für die Prävention von Katastrophen eingerichteten „International Strategy for Disaster Reduction“ (ISDR) mit Sitz in Genf eingeladen. Der Ko-Präsident des IPCC, der Argentinier Osvaldo Canziani, betonte in seinem Eröffnungsreferat, die Weltbevölkerung müsse „für das größte soziale, wirtschaftliche und ökologische Problem der Erde, den Klimawandel“ sensibilisiert werden.
Die Organisatoren versprechen sich von der Konferenz weit reichende Effekte. Die Diskussionsergebnisse, Beschlüsse und Empfehlungen wurden Ende Oktober gleich Ecuadors Umweltministerin mit auf den Weg gegeben – zur Konferenz mit ihren lateinamerikanischen AmtskollegInnen in der Dominikanischen Republik. Sie sollen auch Denkanstöße bei der UN-Weltklimakonferenz von Anfang bis Mitte Dezember auf Bali, Indonesien geben. „Clima Latino“ zielte aber auch auf den Gipfel der EU- und lateinamerikanischen Staats- und Regierungschefs im Mai 2008 in Lima ab, der Nachfolgekonferenz des Wiener Gipfels von Mai 2006. Diese hat sich „Klimawandel und den Kampf gegen Armut“ auf die Fahnen geschrieben.

Wirkungsvolle Strategien kann Lateinamerika tatsächlich eine Menge gebrauchen: Nicht erst seit den BIP-Wachstumsschüben von fünf Prozent und mehr in den vergangenen Jahren hat sich Lateinamerika an der Natur versündigt. „Für die heutige Lage sind alle verantwortlich: Lateinamerika genauso wie die Industriestaaten, die den Großteil des schädlichen CO2 ausstoßen“, so der über 80-jährige IPCC-Weise Osvaldo Canziani.
Sensibel und besonders schutzwürdig sind in Lateinamerika – so der einhellige Tenor der Konferenz – die Gletscher und der Regenwald Amazoniens. Die Gletscher haben die wichtige Funktion, den Amazonas und unzählige andere Flüsse zu regulieren.
Der Amazonasregenwald, die „Lunge der Welt“, verwandelt wie kein anderes Gebiet der Erde CO2 in lebenswichtigen Sauerstoff. Er ist nicht nur des Planeten Sauerstoffpumpe, sondern auch der Wasserlieferant für große Gebiete Südamerikas.
Doch in Brasilien fallen jährlich immer noch zwei Millionen Hektar Regenwald Brandrodung und Kettensägen zum Opfer – die anderen Amazonasanrainer nicht mitgerechnet. Noch schlimmer: 60 Prozent dieser Fläche werden für Viehwirtschaft vernichtet, zur Nutzung als Weideland,, oder für den massiven Anbau von Soja zum Export, um den Globus, und vor allem die EU, mit Futtermitteln zur Tiermast zu versorgen.

Die Unterzeichnerstaaten des Kyoto-Protokolls streben eine Verringerung der CO2-Emissionen in Industrieländern bis zum Jahr 2012 gegenüber 1990 um durchschnittlich 5,2 Prozent an. In aufstrebenden Ökonomien wie Brasilien, Mexiko oder auch in Chile verläuft die Entwicklung umgekehrt. Chile, mit einer Bevölkerung von 15 Millionen, hat den CO2-Ausstoß zwischen 1990 und 2004 vervierfacht. Hinter China und vor Indien gehört es heute zum Kreis der großen Umweltsünder. Und China und Indien verschmutzen bereits mehr als die USA und die EU zusammen.
Mit seinen fast 60 Jahren Erfahrung in Sachen Klima betont Canziani, wie sehr ein Umdenken und neue Konzepte nötig seien. Und die Erkenntnis sei wichtig, dass sich Investitionen in Klima lohnen. „Ein Dollar kann gerade bei Klimaschutz zu 20 oder mehr Dollar werden.“ Man müsse endlich aufhören, immer nur an den Export von Rohprodukten zu denken. Aus einer 200 Dollar billigen Tonne Saatgut mache man in China Fertigprodukte im Wert von 14.000 Dollar – eine Wertsteigerung um das 70-fache. „Aber wann geht das in die Köpfe von Regierungen und von Latino-Politikern?“ ärgert sich der argentinische Klimaexperte. Auch der renommierte peruanische Wissenschafter Eduardo Calvo von der San-Marcos-Universität in Lima kann sich da nur an den Kopf greifen: „Wenn wir exportieren, verschenken und vergeuden wir das Wertvollste, was wir besitzen: kostbares Wasser.“ Das Wasser, das vom Himmel plätschert und über Glück oder Unglück entscheidet wie bei den Kaffeebauern in Südecuador.

Der Autor ist Chilene und lebte lange in Deutschland. Seit mehreren Jahren arbeitet er in Ecuador und berichtet von dort aus für das Südwind-Magazin.

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