Beschwichtigung im Haus der Kulturen

Von Redaktion · · 2008/03

Modewörter tauchen gerne dort auf, wo eine Sache zu komplex wird. Der viel beschworene „Interkulturelle Dialog“ eignet sich weder als theoretischer Ansatz noch stellt er ein Handlungskonzept dar, meint Hakan Gürses.

Es gibt diesen Witz über die Insel. Im Laufe ihres langen Aufenthalts haben die gestrandeten Schiffbrüchigen einander alle Witze erzählt, die sie kennen, sodass sie diese durchnummeriert haben und bei Bedarf nur die Zahl aufsagen, um sich gegenseitig aufzuheitern. Das Bild erinnert mich an so manchen politischen Diskurs unserer Zeit.
Kritische Gesellschaftstheorien helfen sich zumeist durch die Prägung von zentralen Begriffen, in der Regel Neologismen, um mit dem politischen (Denk-) System zu brechen, das sie eben einer Kritik unterziehen. Das Alte soll angesichts des neuen Begriffs in seiner ganzen Mangelhaftigkeit erscheinen, damit das Neue seinen Horizont auftun kann! Doch mit geistigen Gebilden ist es wie mit geistigen Getränken: In der Flasche wirken sie anders als hinter der Binde. Wenn nämlich Wörter das graue Schlafzimmer der Buchseiten verlassen und auf die grüne Wiese der Handlung hüpfen, wechseln sie auch ihren Status. Nun sind sie Ausgewanderte, Fremde in einer neuen Welt, somit Klienten von Dolmetscherinnen.
In der handelnden Sprache des politischen Alltags werden zentrale Begriffe auf diese Weise zu Platzhaltern für (große oder kleine) Erzählungen. Versuchte der studentische 1968er seine Feinde mit dem Wort „dialektisch“ ins Gebet zu nehmen und dabei die eigene logische Verwirrung zu lindern, behalf sich die Entwicklungshelferin der 1980er Jahre im fernen afrikanischen Dschungel durch den häufigen Gebrauch des Zungenbrechers „Entwicklungszusammenarbeit“.
Während in den 1990ern die FestlandanhängerInnen des britischen Dritten Weges jede Rede mit „Globalisierung“ anfingen und mit „Risikogesellschaft“ beendeten, haben inzwischen Postmoderne das gesamte Universum grün und blau „dekonstruiert“. In postkolonialen Diskursen der Gegenwart wiederum wird jede/r und alles, was nicht den obligatorischen Jargon beherrscht, sicherheitshalber dem „Neoliberalismus“ zugeschlagen. Immer dann, wenn eine Sache zu komplex wird, um sie verstehen, erklären oder verändern zu können, fallen die Modewörter. An Stelle von komplexen Theorien und Konzepten tritt das vereinfachende Kürzel und bleibt dort so lange, bis es nicht nur den Bezug zu seinem Ursprung verliert, sondern auch selbst gänzlich sinnentleert wird.

Nicht viel anders, und doch ganz verschieden verhält es sich mit dem „Interkulturellen Dialog“. Denn einerseits wird dieser Begriff zunehmend zum Kürzel-Mantra unserer angeblich vom Kulturaufprall gebeutelten Zeit. Andererseits aber ist er eher eine praktische Floskel als ein Theorie-Derivat. Das Wort ist von Anwendungen geprägt, die ebenso wenig einen einheitlichen Titel verdienen wie seine theoretischen Inbetriebnahmen. Die Wärme, die es ausstrahlt, scheint die fehlende Angabe der wesentlichen Voraussetzungen für ein Handlungskonzept vergessen
zu machen: Ziel, Inhalt, Form und Subjekte der Handlung.

Mit der Erwähnung des Interkulturellen Dialogs als Problemlösung ist noch kein Ziel angegeben, ja nicht einmal das Problem, das es zu lösen gilt. Der Dialog kann als Gerechtigkeitsangebot daher kommen, aber ebenso auch dazu dienen, die Dialogunfähigkeit des Gegenübers – wieder einmal – nachzuweisen, sowie er den Anfang eines Herrschaftsanspruchs markieren kann („Lerne und herrsche!“). Solange der Inhalt des Dialogs nicht festgelegt wird, fungiert der Begriff zudem als Opium: zugleich glücklich machend und einschläfernd. Dann: In welcher Form hat der Dialog stattzufinden – als eine überdimensionale Tagung (so stellen sich akademische StubenhockerInnen ja die ganze Welt vor) oder am runden Vertragstisch (so wiederum die Militärs)? Vor allem aber, wer soll da mit wem den Dialog führen? Wer ist imstande, „Kulturen“ zu vertreten? Ist etwa der gute alte Bassenatratsch, nun geführt vom österreichischen Hausbewohner mit der serbischen Hausbesorgerin, bereits ein Interkultureller Dialog?

Die Beliebtheit dieses Kürzels hat mehrere Gründe: Zunächst die scheinbare Verbindlichkeit, welche in der Vorsilbe „inter“ mitschwingt. Zweitens das Miteinander, das – gepaart mit dem Beruhigungsmittel „Dialog“ – in diese Vorsilbe eingeschrieben ist und verspricht, das Schreckgespenst des beliebigen Nebeneinanders, die Multikulturalität, zu vertreiben. Die problematische Funktion des Interkulturellen Dialogs ist bereits darin angelegt: Indem er als ein zutrauliches Konzept zur Lösung der „Kulturkonflikte“ präsentiert wird, verschleiert er die komplexen Verhältnisse und Strategien, die hinter diesen Konflikten liegen. Interkultureller Dialog ist kein Gegensatz zum Paradigma „Clash of Civilizations“, sondern dessen beschwichtigende Schwester, die mit ihm dasselbe Haus bewohnt – auf dessen Portal steht in großen Lettern eingemeißelt: Haus der Kulturen.
Gerade dieses besondere Jahr sollte eigentlich dazu dienen, sich Gedanken über dieses problematische Stichwort zu machen – damit das Wort „Interkulturalität“ nicht zu einem Witz verkommt und eine sinnvolle Anwendung in politischen und wissenschaftlichen Konzepten finden kann.

Hakan Gürses, ist Philosoph, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Österreichischen Gesellschaft für politische Bildung, Lehrbeauftragter an der Universität Wien sowie Referent des Lehrgangs „Interkulturelle Kompetenzen“ an der Donau-Uni Krems, Journalist und Musiker.

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