Blaue Kamele und postmoderne Wüstenarchitektur

Von Iris Anna Kötter · · 2005/07

Mit der Kunst-Biennale in Sharjah präsentiert sich das drittgrößte Scheichtum der Arabischen Emirate einmal mehr als Kulturhauptstadt der Föderation.

Biennial? Museum of Art?“ Der Taxifahrer schüttelt den Kopf. Wer sich vom glamourösen Dubai aus zur 7. internationalen Biennale in die nur zwanzig Autominuten entfernte Hauptstadt Sharjah des Emirats Ash Shariqah aufmacht, sollte neben Englisch ein paar Brocken Hindi können. Aus Pakistan oder Indien kommen die meisten Immigranten, die als Chauffeure, Bauarbeiter und Kellner den Aufbau der boomenden Emirate übernommen haben. Heiß ist es, der Wind verschafft trotz offenem Fenster kaum Kühlung. Abends sinken die Temperaturen jetzt selten unter 30 Grad. An den Büro- und Wohntürmen, die rechts und links wie Pilze aus dem Ödland schießen, geht die schnelle Taxifahrt vorbei. Nachts werden die Bauarbeiten von überdimensionalen Scheinwerfern beleuchtet.
Auch wenn im Dunst Tausende von Lichtern schimmern und dann die postmoderne Architektur unwirklich aussieht – die Wüste lebt. Für den Pariser Künstler Foud Elkoury, der im Libanon geboren ist, repräsentiert diese Art von Urbanität allerdings eine globale Tendenz: Seine Nachtaufnahmen der menschenleeren Wohnträume – von Las Vegas bis Dubai – offenbaren in ihrer kalten Schönheit, wie Natur und Landschaften nur noch eine Reproduktion ihrer selbst sind. Auf Elkourys Ausstellungsplakat der Biennale 7 wird sichtbar, dass menschliche Bedürfnisse nach Kontakt und Kommunikation in den Städten der Zukunft keine Bedeutung mehr haben werden.

Sharjah erlebt wie Dubai einen unvergleichlichen Bauboom, der weltweit seinesgleichen sucht. 25 Jahre nach der Staatsgründung der V.A.E. (Vereinigte Arabische Emirate) leben in den sieben Scheichtümern 2,6 Millionen Menschen, von denen nicht einmal ein Viertel einen einheimischen Pass besitzt. Etwa 1,9 Millionen „Gastarbeiter“ aus aller Herren Länder sorgen dafür, dass die Emirate in den letzten Jahren einen unvergleichlichen Sprung in die Moderne gemacht haben. Fast nahe liegend, dass diese 7. Sharjah-Biennale unter dem Motto „Belonging“ – Dazugehören – steht.
70 Kulturschaffende aus 36 Ländern gehen in ihrer Kunst auf die lokalen und globalen Entwicklungen der Globalisierung ein. Ob Performances oder Fotografie – die BesucherInnen des Sharjah Art Museums sollen zur Reflexion über das zunehmend diffuse Erleben der eigenen Lebensräume, Gesellschaften und Nationen angeregt werden. „Woher kommen Sie?“ wird der leitende Kurator der Ausstellung, Jack Persekian, immer wieder gefragt. Keine einfach Antwort für den im geteilten Jerusalem lebenden Galeristen, einen Palästinenser armenischer Abstammung, denn diese Fragestellung fordert oft eine proklamierte eindeutige Zugehörigkeit ein. So bewegt Jack Persekian zusammen mit der Ausstellungsmacherin Hoor Al Quasimi, der Tochter des Herrschers von Sharjah, auf der Biennale 7 eine viel weitergehende Frage. Eine Frage, die heute viele Menschen in einer immer unübersichtlicher werdenden Welt beschäftigt: Zu wem oder was gehöre ich eigentlich?
„Ich gehöre zu meiner Kunst“, erklärt Nuha Assad (20) selbstbewusst. „Aber ich gehöre zu dir und du zu mir, denn irgendwie gehören wir alle zur selben Menschheit, nicht wahr?“, sagt die junge Araberin aus Sharjah und lacht mich an. Bei der Eröffnung der 7. Biennale zeigt sie ihre Vorstellung von „Belonging“. Die Künstlerin setzt Menschen aus Sharjah, Arbeitsimmigranten und Einheimische, auf Stühle und umhüllt sie alle mit einem roter Seidenstoff, so dass nur noch die Konturen zu sehen sind. Schon als junges Mädchen hatte Nuha sehr gerne gemalt, dann in ihrer Ausbildung als Mediengestalterin ihren Weg konsequent weiter verfolgt.
„Wenn ich nicht in Sharjah leben würde, wäre ich bestimmt keine Künstlerin geworden“, sagt Nuha. Scheich Sultan Bin Mohammed Al-Quasimi will Sharjah mehr und mehr zum kulturellen Zentrum in der arabischen Welt entwickeln. Obwohl der Westen dem Orient selten Modernität und Aufklärung zutraut, wird das kleine Emirat nicht nur in der arabischen Welt, sondern auch international zunehmend als Oase für zeitgenössische Kunst wahrgenommen.
Der Scheich begreift sich selbst als Förderer zeitgenössischer Künste, aber auch als Beschützer des eigenen kulturellen Erbes. Mit der Biennale, 25 Museen, einer Kunsthochschule und einer Universität versucht Sharjah Tradition und Moderne gemeinsam auf den Weg zu bringen. Diese Mischung aus westlichen Einflüssen und Elementen der arabischen Kultur ist bei den meisten einheimischen KünstlerInnen zu finden, die auf der Biennale zu sehen sind.

Auch die „Emirates Fine Art Society“ hat in Sharjah eine Heimat gefunden. Direkt gegenüber dem Sharjah Art Museum ist die Künstlervereiningung der V.A.E. in einem alten arabischen Haus untergebracht. Auch Ebtisam Adul Aziz (30) – eigentlich hat sie Mathematik studiert – ist dort häufig zu finden. Sie gehört wie Nuha Assad zu der „Künstlerfamilie“, die unter dem Dach der Fine Art Society weiter wächst.

1984 hat der Biennale-Teilnehmer Hassan Sharif (53) die Vereinigung gegründet. Hassans Kunst besteht aus Müll. Mit seinen ironischen Karton-Objekten, aus Windelpackungen und Zigarettenschachteln gefaltet, kritisiert er den Konsumismus, der die Welt „vereint“. Unter dem Namen Dubai Five zählt er mit seinen Freunden zu den ersten Künstlern aus den Emiraten, die Ausstellungen in Europa hatten. In Workshops gibt die Fine Art Society das traditionelle Wissen zeitgenössischer Kunst an junge KünstlerInnen weiter.
„Ich komme immer nach der Arbeit her, um zu arbeiten“, erklärt Ebtisam mit einem charmantem Lächeln, als sie mich in den Innenhof des Hauses führt, der nach traditioneller Bauart zum Himmel hin offen ist. Vom Patio aus gehen – vom Erdgeschoss bis zur Dachterrasse – verschiedene Zimmer ab, die, mit den neuesten PCs ausgestattet, als Ateliers genutzt werden. In den kühlen Innenräumen entwickelt sie Ideen für ihre Arbeit, aber auch ihre Texte, die sie für ihre wöchentliche Kunstkolumne in der renommierten Khaleej Times schreibt.
Der Golf und seine Bevölkerung werden nicht nur in der arabischen Welt oft als rückständig und kulturlos angesehen. „Wenn ich die Bilder ansehe, die in meiner Bank hängen, dann denke ich mir, dass der Westen eigentlich den schlechten Geschmack zu uns bringt“, sagt Mohammed Kazem (37), der stellvertretende Vorsitzende der Fine Art Society. Ihm missfallen beispielsweise die bunt angemalten Kamele, die über ganz Dubai verteilt sind. „Diese Plastikimitationen haben weder etwas mit unsere alten Tradition, noch mit zeitgenössischer Kunst zu tun“, spöttelt der Araber. Der Titel seiner Arbeit auf der 7. Biennale ist „Window“.

Über drei Jahre hat er die Bauarbeiten und das unmenschliche Leben der ArbeitsimmigrantInnen dokumentiert. Da der englische Hotelbesitzer ihn nicht ins Gebäude ließ, hat Mohammed die Baustelle fotografisch dokumentiert. Wie in vielen seiner Arbeiten zeigt er mit „Window“ die Widersprüchlichkeit der modernen Technologie, die der Menschheit den Fortschritt, aber auf der anderen Seite viel Leiden gebracht hat. Als das Hotel fertig ist, darf der Künstler einen Videofilm in den Innenräumen drehen. Die Aufnahmen enden mit dem Blick vom Fenster auf die Schnellstraße. Ganz klein sind die winzigen Autos zu sehen, die sich rasant fortbewegen. „Niemand weiß, wohin die Emirate sich in Zukunft noch entwickeln werden“, meint Mohammed nachdenklich.

ris Anna Kötter studierte in Berlin Sozialwissenschaften und absolvierte in Damaskus ein Postgraduate-Studium. Sie arbeitet als Redakteurin und freie Journalistin für „Die Welt“, „Financial Times“ u. a. Medien.

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