Chill mal!

Von Nora Holzmann · · 2015/04

Oberflächlicher geht es nicht mehr. Die Dating-App Tinder liegt bei jungen Leuten voll im Trend: Am Smartphone erscheinen Fotos von Singles aus der Nähe – ein Wisch nach rechts heißt „gefällt mir“, ein Wisch nach links „weg damit“. Es zählt einzig der erste optische Eindruck – vielleicht bezeichnend für eine Generation, die viele pauschal verurteilen.

Leistungsstreben, Werteverlust, Materialismus – so lauten einige Phänomene, die angeblich die Jungen von heute prägen. Der Erziehungswissenschaftler Kurt Gallé nennt sie die „Generation D“ – gekennzeichnet durch Desinteresse, Destruktion, Desorientiertheit und Delinquenz. Die Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier und Philipp Ikrath sprechen von der „Generation Ego“, der es vor allem um individuelle Selbstverwirklichung geht.

Tatsächlich scheinen es sich die meisten jungen Menschen heute bequem im Leben eingerichtet zu haben, ohne sich groß von den Konflikten und Ungerechtigkeiten in der Welt stören zu lassen. Die einen tauschen brav auf Facebook Prüfungsfragen aus, freuen sich aufs nächste iPhone-Modell und träumen vom Häusl bauen. Die anderen, die Weltbewegteren, fahren mit dem Rucksack nach Asien, kochen selbst Bio-Marmelade ein und wollen mal einen Job, der irgendwie sinnvoll ist.

Wo sind sie, die Aufmüpfigen, die Revoluzzerinnen, die Weltveränderer? Warum hauen die jungen, global vernetzen Menschen nicht auf den Tisch und sagen: so nicht mehr, alles anders, letzte Chance!?

These 1: Es geht ihnen – zumindest hierzulande – zu gut. Das ist einerseits angesichts zunehmender Prekarisierung und Jugendarbeitslosigkeit unwahrscheinlich. Und andererseits noch lange kein Grund, sich nicht für eine gerechtere Gesellschaft einzusetzen.

These 2: Es geht ihnen zu schlecht. Zeitmangel, Leistungsdruck, Wirtschaftskrise mögen gute Gründe für fehlendes Engagement sein, überzeugend sind sie nicht. Die Arbeiterinnen in der Textilfabrik in Bangladesch leiden wohl ungleich mehr unter all dem und protestieren trotzdem.

These 3: Es gibt sie eh, die Jungen, die die Welt verändern wollen und es auch tun. Die diskutieren, demonstrieren, philosophieren, träumen, Projekte kreieren und helfen, wo sie können. Es gab sie früher, es gibt sie heute, und immer sind sie in der Unterzahl.

Es sei das große Problem der Alten, schreibt Alard von Kittlitz im deutschen Magazin „Neon“, dass sie vergessen, wie es damals wirklich war: „Sie glauben, dass sie alle nur ‚Ho, Ho, Ho Chi Minh‘ gerufen haben. Stimmt nicht. Deswegen sieht Europa so aus, wie es aussieht. Funktionaler Kapitalismus.“ Es sind eben – unter anderem – die Alten, die eine Gesellschaft und ihre Werte prägen. Die Jungen für fehlende Ideale und zu wenig Einsatz zu verurteilen, aber selbst schön angepasst zu leben, geht nämlich auch nicht.

Da hilft nur eines: Die Jungen von gestern und die Alten von morgen, denen der Zustand der Welt nicht egal ist, tun sich zusammen und werden so zumindest fürs Erste mehr.

Und wer weiß, vielleicht heißt der nächste Trend ja „Welt retten“?

Mehr zum Thema bei unserer Podiumsdiskussion am 28. April (siehe S.42).

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