Christiana Bukalo kämpft um Rechte

Von Christine Tragler · · 2022/Jan-Feb
© Sapna Richter

Jeder Mensch hat das Recht auf Staatsangehörigkeit – so steht es in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, Artikel 15. Christiana Bukalo hat dennoch keine und kämpft dafür, dass Staatenlosen wie ihr dasselbe gute Leben ermöglicht wird wie anderen Menschen.

In einem Interview sagten Sie einmal, Staatenlosigkeit sei ein Abbild der Welt. Inwiefern?

Staatenlosigkeit existiert weltweit und ist nicht sichtbar. Es kann jeder Person passieren. Das Spektrum der Betroffenen ist riesig. Staatenlosigkeit reflektiert aber auch die Schwierigkeiten, die wir uns als Menschen selbst kreieren. Das Konzept der Nationalstaaten zeigt einmal mehr, wie sehr der Fokus auf Aus- und Abgrenzung liegt und wie schwer uns Inklusion immer noch fällt.

Wann wurde Ihnen das erste Mal Ihre Staatenlosigkeit bewusst?

Es war eine Reise der Erkenntnis. Staatsangehörigkeit selbst ist ja ein Konstrukt. Als Kind ist es schwierig, sich Staatenlosigkeit vorzustellen. Ich wusste aber schon von klein auf, dass wir in einer besonders schwierigen Situation waren. Meine Eltern kämpften damals um Asyl – und wir hatten sehr viele Hürden zu nehmen, um in Deutschland bleiben zu dürfen.

Was der Begriff bedeutet, habe ich erst mit 18 Jahren gelernt, weil meine Familie zu diesem Zeitpunkt erstmals einen Ausweis für Staatenlose bekam. Im Aufenthaltstitel davor stand nicht staatenlos, sondern XXX – das ist das Kürzel für ungeklärte Staatsangehörigkeit.

Wie fühlt es sich heute für Sie an, staatenlos zu sein?

Die vielzitierte gläserne Decke beschreibt für mich sehr gut, wie ich mich fühle. Ich bin in Deutschland geboren, habe hier studiert, arbeite hier. Ich bin sozial engagiert und politisch interessiert. Ich sehe, was möglich wäre und, wie ich mitgestalten könnte – und spüre die gläserne Decke über mir. Ohne demokratische Grundrechte und entsprechende Dokumente werde ich nie wirklich Teil dieses Landes sein können. Das geht sehr vielen Menschen so, die hier leben. Es geht unglaublich viel Potential verloren, wenn wir die Vielfalt in dieser Welt nicht wertschätzen können.

Sie haben 2020 die Plattform Statefree.world gegründet. Wie kam es dazu?

Auslöser war ein relativ traumatisierendes Erlebnis vor einigen Jahren, als ich versuchte zu verreisen. Meine erste große Reise sollte nach Marokko gehen. Ich hatte zuvor recherchiert, unter welchen Umständen ich einreisen durfte. Am Flughafen von Marrakesch wurde ich dennoch abgewiesen, weil ich noch ein zusätzliches Visum gebraucht hätte. Ich musste 20 Stunden später den nächsten Flug zurück nach Deutschland nehmen. Es war der Moment, wo mir klar wurde, dass die Intransparenz, in der man sich als staatenlose Person befindet, einem verunmöglicht, selbständig mit der Situation umzugehen. Auf dem Rückweg habe ich darüber nachgedacht, was ich tun kann, damit so etwas nie wieder jemandem passiert.

Gab es keine Stelle für Staatenlose, wo Sie sich hinwenden konnten?

In meiner Recherche nach der gescheiterten Reise nach Marokko habe ich bemerkt, dass es keine zentrale Anlaufstelle für Staatenlose gibt, aber unterschiedliche Organisationen, die zu dem Thema arbeiten. Das wusste ich davor nicht. Auch nicht, dass es weltweit über zehn Millionen Menschen gibt, die staatenlos sind. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sich niemand darum kümmert, wenn doch so viele Menschen davon betroffen sind.

Außerdem hatte ich noch nie jemanden kennengelernt, der sich mit dem Thema auskannte oder selbst davon betroffen war.

Bei Staatenlosigkeit gibt es im juristischen Bereich leider sehr wenig Expertise. Häufig wird man unwissentlich falsch beraten.

Und deshalb ist es so wichtig, Staatenlosigkeit sichtbar zu machen?

Es gab eine Zeit, da habe ich mich für die Staatenlosigkeit sehr stark geschämt, obwohl ich ja gar nichts dafür kann. Ich dachte: Aus irgendeinem Grund habe ich anscheinend nicht das Recht, eine Staatsangehörigkeit zu haben, dabei ist es doch ein Menschenrecht. Unsere Plattform soll von dem Wissen und der Erfahrung der betroffenen Menschen leben.

Sie haben die Plattform „Statefree“ genannt, also übersetzt staatenfrei, nicht staatenlos. Warum?

Das hat mit dem Thema der Scham zu tun – und ich will dieses Narrativ verändern. Denn: Staatenlos impliziert, dass ich ein Defizit habe oder dass mir etwas fehlt, was ich haben sollte. Klar sind wir Staatenlosen Opfer des Systems.

Christiana Bukalo ist in München geboren und aufgewachsen – und dennoch staatenlos. Ihre Eltern, die in den 1990er Jahren aus Westafrika migriert waren, konnten ihre Identität nur unzureichend nachweisen. Die ungeklärte Staatsangehörigkeit hatte sie also geerbt. Viele Jahre hatte sie keinen geregelten Aufenthaltsstatus, sondern wurde in Deutschland nur geduldet. Jetzt hat die 27-Jährige die Internetplattform Statefree.world gegründet, die Austausch zwischen Betroffenen ermöglichen und einen Raum schaffen soll, in dem Staatenlosigkeit sichtbar werden kann.

Aber: Die Vision ist, dass Staatenlose dennoch Stolz empfinden für das, was sie sind. Wir verwenden beide Begriffe, denn man muss zuvor die Tragweite von Staatenlosigkeit verstehen, um einer Vision von Staatenfreiheit Raum geben zu können.

Bedeutet das, dass staatenlose Menschen nicht zwingend eine Staatsangehörigkeit benötigen, wenn sie die gleichen politischen und sozialen Rechte wie Staatsangehörige hätten?

Viele Organisationen verfolgen seit Jahren die Forderung: Staatenlosigkeit beenden! Aber: Bis wir Staatenlosigkeit tatsächlich eliminiert haben, dauert es noch lange. In der Zwischenzeit sollten wir staatenlosen Menschen endlich Zugang zu Rechten und Dokumenten verschaffen. Staatsangehörigkeit ist immer noch der heilige Gral. Wenn eine Regierung nicht möchte, dass sich jede Person einbürgern lassen kann, muss sie zumindest Umstände schaffen, dass diejenigen, denen sie verweigert wird, genauso ein gutes Leben führen können – und nicht zeitlebens nur nach einer Staatsangehörigkeit streben müssen.

Was ist das Ziel von Statefree.world?

Es ist noch ein sehr junges Projekt. Wir haben eine Mischung aus Forum und sozialem Netzwerk entwickelt und testen derzeit die Plattform und die Features auf ihre Datensicherheit. Gleichzeitig erweitern wir gerade unser Netzwerk – vor allem unsere Beziehungen zu Organisationen weltweit. Meine Hoffnung ist, dass es ein gemeinschaftlicher Ort wird, wo sich die Menschen wohlfühlen und wo man Erfahrungen austauscht, um davon zu lernen. Aber auch Anwält*innen und Forscher*innen sollen hier Zugang zu Informationen finden.

Staatenlosigkeit ist ein von Menschen geschaffenes Phänomen. Warum dauert es so lange, sie zu beseitigen?

Im Kontext von Staatenlosigkeit wird häufig über Komplexität gesprochen. Aber diese komplexen Strukturen wurden aktiv geschaffen. Es gibt definitiv Wege, diese Komplexität auch wieder aufzulösen und entweder eine Struktur zu schaffen, wo alle Menschen an der Demokratie teilhaben können oder eine Struktur zu schaffen, wo es keine Staatenlosigkeit gibt.

Interview: Christine Tragler

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