Chávez mit dem Rücken zur Wand

Von Erich Gerbl und Hans Weitmayr · · 2002/02

Jagdbomber donnern über Caracas, Putschgerüchte blühen. Die Unternehmer demonstrieren mit der Arbeiterschaft, der Präsident lässt seine Muskeln spielen. Und die Bevölkerung lebt weiterhin in Armut.

Im Camouflage-Tarnanzug, dazu ein rotes Barett: So präsentiert sich Venezuelas Staatspräsident dieser Tage am liebsten. Martialische Reden, die über vier Stunden dauern und – sowohl in Länge als auch in Inhalt – an die aktivsten Tage Fidel Castros erinnern, hält der ehemalige Fallschirmspringer vor seinen „Waffenbrüdern“, wie er Soldaten allen Ranges und Alters nennt. Mit anderen Worten: Hugo Chávez blüht richtig auf. Warum? Weil er mit dem Rücken zur Wand steht und befürchtet, seine „Bolivarianische Revolution“ könnte vor dem Aus stehen.
Innenpolitisch spitzt sich die Lage dramatisch zu. 90 Prozent der werktätigen Bevölkerung legten Anfang Dezember im größten Streik seit 1958 ihre Arbeit nieder. Gleichzeitig demonstrierte der Staatspräsident seine Macht, indem er Jagdbomber über seine Hauptstadt donnern ließ. Hugo Chávez hat es immer schon verstanden, den Unmut der verschiedensten Gruppen auf sich zu lenken.

Das Fass zum Überlaufen brachten jene 49 Gesetze, die dem Staat das Eingreifen in fast alle Lebensbereiche ermöglichen. Das Paket erließ Chávez am 13. November 2001 per Dekret. Besonders gegen das Agrarreformgesetz läuft der Großteil der Interessensvertreter Sturm. Das neue Landgesetz stellt die soziale Funktion des Bodens über das Recht des Eigentümers und stülpt dem Rechtsstaat damit einen sozialen Wohlfahrtsstaat über. Konkret sieht das neue Bodenrecht Enteignungen vor, wenn jemand nicht nachweisen kann, sein Land intensiv zu nutzen. An sich der richtige Weg: Venezuela ist eines der Länder des Subkontinents, die nie eine nachhaltige Landreform gesehen haben. Noch immer ist der Grundbesitz auf zu wenige Familien konzentriert, während der Großteil der Bevölkerung mit leeren Händen dasteht. So wird nicht so sehr das Vorhaben der gerechteren Verteilung an sich kritisiert, sondern primär die Form, in der das Paket daher kommt. Zum einen sind Großgrundbesitzer, Bauern und Unternehmer erzürnt: Einerseits weil sie in die Entstehung des Gesetzeswerkes nicht einbezogen wurden. Zum anderen bezeichnen sie die Reform als verfassungswidrig, willkürlich und unklar.
Das Gesetz ist in der Auslegung sehr unpräzise. Was als „ungenützt“ bezeichnet werden kann, wird erst in den Ausführungsbestimmungen definiert. Die Entscheidung darüber fällt ein staatliches Institut. Entsprechend dieser kann es Land enteignen und umverteilen. In jedem Fall wird die Landreform den Bürokratiedschungel weiter nähren und der Korruption Tür und Tor öffnen. Der westliche Eigentumsbegriff ist damit in Frage gestellt.

Zum Ärger von Chávez unterstützen die Gewerkschaften die Forderungen des mächtigen Unternehmerverbandes Fedecámaras, zehn der 49 Gesetze zu ändern. Fedecámaras hat den Dialog mit der Regierung bereits abgebrochen. Gegenwärtig beraten die zuständigen Gremien, ob sie vor Gericht gehen oder den Streik ausweiten wollen. Trotz der betonten Gelassenheit dürfte das Ausmaß des Generalstreiks den Präsidenten doch überrascht haben. Keine Überraschung ist der zivile Ungehorsam hingegen, wenn man die jüngsten Umfragedaten kennt. Die Popularität des Präsidenten sinkt rapide. Nur noch 20 Prozent der Befragten würden ihn heute wieder wählen. 70 Prozent der VenezolanerInnen machen ihn für die zunehmenden Probleme in ihrem Land verantwortlich. Obwohl die alten Parteien seit der Machtübernahme Chávez’ in Bedeutungslosigkeit versunken sind, lässt das schwindende Vertrauen der Bevölkerung erahnen, dass die Zeiten ohne nennenswerte Opposition vorbei sind.
Selbst die Armee scheint nicht mehr geschlossen hinter dem ehemaligen Fallschirmspringer zu stehen. Bereits im November kursierten Gerüchte über einen möglichen Putschversuch. Viele Offiziere, die ihn bisher unterstützen, suchen jetzt Kontakte zur Opposition, um sich im Falle eines Umsturzes abzusichern. Eine Geheimorganisation mit dem Namen „Nationale Notstandsjunta“ meldete sich mehrfach zu Wort und droht mit einem Staatsstreich. Sie behauptet, von großen Teilen des Offizierskorps unterstützt zu werden. Das erscheint möglich, hat sich Chávez schon vor der aktuellen Krise durch die dicke Freundschaft mit Fidel Castro und seine Sympathie für die kolumbianische Guerilla viele Gegner im Militär geschaffen. Auch der jüngste Seitenhieb gegen die USA geht vielen VenezolanerInnen gegen den Strich. Die Nordamerikaner als Terroristen zu bezeichnen, hat die Beziehungen zu den USA weiter verschlechtert. Diese waren durch die Staatsbesuche des Präsidenten in Libyen, dem Irak und Kuba ohnehin schon angeschlagen. Das US-Außenministerium kündigte bereits an, venezolanischen Gütern den bevorzugten Zugang zum US-amerikanischen Markt, wie er Andenstaaten erlaubt wird, nicht mehr zu gewähren.

Trotz der immer stärker werdenden Proteste hat der Präsident zumindest noch die wichtigsten politischen Institutionen hinter sich. Seine Regierungspartei MVR (Bewegung der Fünften Republik) kontrolliert in der Nationalversammlung drei Viertel der Mandate; auch der Oberste Gerichtshof befindet sich unter der Kontrolle des Ex-Militärs.
Chávez hat sich vorgenommen, bis 2012 im Amt zu bleiben. Um dieses Ziel zu erreichen, muss er eventuell seine Drohung wahr machen, die „Revolution“ auch mit der Waffe in der Hand zu verteidigen – dabei übersieht er, dass er sein Problem nicht mit Waffengewalt, sondern nur mit einer funktionierenden Wirtschaft lösen kann. Und Letztere liegt zurzeit im Argen:
So hat Erdöl, das schwarze Gold der 70er Jahre, seinen Glanz verloren; der sichtbare Niedergang des einstigen Juwels Caracas spiegelt diese Entwicklung auch äußerlich wider. Derzeit werden 80 Prozent des Wirtschaftsaufkommens über die Erdölproduktion generiert, zwei Drittel davon gehen in die USA. Eine Wirtschafts-Beziehung, die in ihrer Einseitigkeit gefährlich ist. Gefährlicher – für Venezuela – wäre nur, wenn sie gekappt würde. Und auf dem Weg dahin haben die USA den ersten Schritt bereits getan. Nach den verbalen Ausritten des venezolanischen Präsidenten im Nachklang der Attentate vom 11. September haben die USA dem OPEC-Staat die Meistbegünstigungs-Klausel gestrichen. Eine Sanktion, die sich Chávez nicht leisten kann: Die Arbeitslosigkeit des Landes ging zwar im Vorjahr leicht zurück, ist aber mit rund 13 Prozent noch immer sehr hoch.
„Steigerung der Produktion“, „Mehr staatliche Kontrolle“ und „Umverteilung“ lauten deshalb die Schlachtrufe dieser Tage. Die 90er werden bereits – wie zuvor die 80er für ganz Lateinamerika – als „década perdida“, als verlorenes Jahrzehnt gesehen.

Wie die Trendwende gelingen soll, ist jedoch umstritten – Direktinvestitionen aus dem Ausland gelten dabei immer noch als potentes Heilmittel. Doch selbst an diesem Ast sägt der ehemalige Fallschirmspringer: Werden die neuen Gesetze nämlich in die Tat umgesetzt, wird die Ölbranche etwa doppelt so hohe Abgaben auf ihre Produktion zahlen müssen wie bisher. Damit will Chávez rückläufige Einnahmen aus dem Ölgeschäft kompensieren, da sich Venezuela bei der OPEC verpflichtet hat, seine derzeitige Fördermenge von 2,7 Millionen Barrel pro Tag um 160.000 Barrel zurückzunehmen. Bei seinem Wien-Besuch letzten November verglich er diese Politik wörtlich mit einem „Kreuzzug“ – eine direkte Anspielung auf die verbale Entgleisung von US-Präsident George Bush. Chávez forderte sogar, dass die OPEC zwei Millionen Barrel pro Tag zurücknimmt. Die Organisation rang sich schlussendlich zu 1,5 Millionen durch.
Und wenn 2001 schon schwierig war, dann erwartet Venezuela 2002 ein noch härteres Jahr: So wird der Kapitalbedarf nach Ansicht der Deutschen Bank im nächsten Jahr um 14 Milliarden Dollar steigen. Doch alleine in der ersten Jahreshälfte 2001 sind drei Milliarden Dollar aus dem Land abgeflossen. Die Gründe für diesen Aderlass waren unter anderem die überbewertete Landeswährung Bolivar sowie die Politik des Präsidenten, die von den Finanzmärkten als unberechenbar interpretiert wird. Das Zerstörungspotenzial, das eine langzeitig überbewertete Landeswährung in sich trägt, konnte man zu Jahreswechsel am Beispiel Argentinien studieren. Die über Caracas donnernden Jagdbomber lassen auch für Venezuela schlimme Zeiten befürchten.

Hans Weitmayr nahm am Studienprogramm „Interamerikanische Studien“ der Universidad Católica in Quito teil und schreibt für das „Wirtschaftsblatt“. Erich Gerbl verbrachte längere Zeit in Venezuela und ist Redakteur der Tageszeitung „Wirtschaftsblatt“

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