Das Bitcoin-Paradies El Salvador

Von Christian Ambrosius · · 2022/Mar-Apr
Sommer 2021: Protest in der Hauptstadt San Salvador gegen den Bitcoin. © Marvin Recinos / AFP / picturedesk.com

El Salvadors Präsident möchte das Land mit Kryptowährungen am Finanzmarkt etablieren – eine riskante Strategie, die auf Geldwäsche und spekulatives digitales Kapital setzt, dessen Wert starken Schwankungen ausgesetzt ist.

Im Juni vergangenen Jahres überraschte Nayib Bukele, der erst 40-jährige Präsident El Salvadors, die internationale Bitcoin-Gemeinde und die eigene Bevölkerung mit einer Video-Nachricht von der „Bitcoin 2021 Conference“ in Miami. Als weltweit erste Nation versprach das kleine zentralamerikanische Land die bisher wichtigste und bekannteste Digital-Währung als legales Zahlungsmittel einzuführen. In Windeseile segnete das von seiner Partei Nuevas Ideas (Neue Ideen) kontrollierte Parlament das sogenannte Bitcoin-Gesetz ab. Nach nur drei Monaten Vorbereitung führte das seit 2001 dollarisierte Land am 7. September 2021 den Bitcoin als zweites legales Zahlungsmittel ein.

Damit schafft El Salvador die bis dato einzigartige Situation, gleich über zwei seiner legalen Zahlungsmittel keine eigene Kontrolle zu haben: Während der US-Dollar von der US-amerikanischen Zentralbank kontrolliert wird, kommt der Bitcoin gleich ganz ohne Staat aus. Transaktionen werden dezentral organisiert, und die Ausgabe neuer Coins wird über den enormen Energieverbrauch knapp gehalten, der bei der „Prägung“ neuer digitaler Münzen anfällt. (Anm. d. Red.: Die Menge der Bitcoins ist auf 21 Mio. begrenzt, von denen es im Jänner 2022 bereits knapp 19 Mio. gab.) Bitcoin-Fans feiern diese Technologie als revolutionäre Befreiung von staatlicher Manipulation und Einflussnahme.

„Verrücktes System“. Dagegen kann kaum ein*e seriöse*r Wirtschaftswissenschaftler*in dem Experiment Positives abgewinnen. Der über verschiedene politische Lager hinweg respektierte Harvard-Ökonom Dani Rodrik hat es prägnant in einem Tweet zusammengefasst: „Ein Land, das in einem verrückten Geldsystem gefangen ist (Dollarisierung), wählt ein noch verrückteres System, indem es Bitcoin zum legalen Zahlungsmittel macht“ (Übersetzung des Autors), schreibt Rodrik und fragt sich, wie das wohl gut ausgehen könne. Seine hohe Volatilität macht ihn für den Alltagsgebrauch nicht nur unattraktiv, sondern auch gefährlich. Denn der Bitcoin ist vor allem eine spekulative Anlageform: Wie im Casino sind hohe Gewinne möglich, aber eben auch hohe Verluste. Das verträgt sich schlecht mit dem wirtschaftspolitischen Ziel von makroökonomischer Stabilität.

Was treibt Bukele dann an? Eine offizielle Begründung ist die Vereinfachung von Zahlungen für all jene, die keinen Zugang zum formalen Bankensystem haben. Demnach kann, wer über ein Smartphone verfügt, am globalen Zahlungsverkehr teilhaben. Vor allem das Senden der Überweisungen der über zwei Millionen Migrant*innen mit salvadorianischen Wurzeln vor allem in den USA – die über 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts El Salvadors ausmachen – soll einfacher und billiger werden.

Dieses offizielle Argument ist aus mindestens drei Gründen fadenscheinig: Erstens fallen weiterhin Transaktionskosten an, wenn US-Dollar zunächst in Bitcoin und dann wieder zurück in Dollar getauscht werden müssen. Zweitens bedarf es im Prinzip keiner staatlichen Erlaubnis, um internationale Geldsendungen per Bitcoin durchzuführen. Denn genau darin liegt ja die Besonderheit der Bitcoins: Sie funktionieren ohne staatliche Legitimation. Die Idee des Bitcoins wird in dem Moment verraten, in dem seine Akzeptanz staatlich verordnet wird. Drittens ist finanzielle Inklusion sehr viel mehr: Viel wichtiger für ärmere Haushalte ist der Zugang zu sicheren Sparoptionen, Krediten zu vernünftigen Konditionen und grundlegenden Versicherungsprodukten. Es grenzt an Zynismus, den Zwang, Zahlungen in einer spekulativen Vermögensform entgegennehmen zu müssen, als finanzielle Inklusion zu verkaufen.

Geldwäsche. Deutlich plausibler ist es, dass Bukele mit dem Bitcoin-Gesetz vor allem digitales Geld anlocken möchte und dabei den Standortvorteil als dollarisiertes Land ausspielt, das El Salvador besonders attraktiv für Geldwäsche macht. Durch die verordnete Akzeptanz der Kryptowährung als prinzipiell gleichberechtigtes Zahlungsmittel neben dem US-Dollar können die digitalen Coins bequem in US-Dollar oder reale Vermögenswerte – zum Beispiel Immobilien – getauscht werden.

Allzu viele Nachfragen von Seiten lästiger Regulierungsbehörden sind nicht zu befürchten. Der salvadorianische Staat wird kein großes Interesse daran haben, den Ursprung pseudonymer Zahlungsströme ernsthaft nachzuverfolgen. Stattdessen wirbt Bukele offensiv für das Bitcoin-Paradies in den Tropen, das er mit Aufenthaltstiteln für all jene versüßt, die mindestens drei Bitcoin (aktuell rund 120.000 US-Dollar) im Land investieren.

Vorbild Panama? Für ein kleines Land ohne nennenswerte industrielle Produktion könnte die Strategie durchaus funktionieren. Es wäre ein Modell von „Entwicklung“, das nicht auf die wirtschaftliche Ermächtigung benachteiligter Gruppen abzielt, sondern darauf, im Schattenreich des globalen Kapitalismus eine profitable Nische zu finden – ähnlich wie es Panama geschafft hat, sich als wichtiger Standort im globalen Finanzmarkt zu etablieren.

Dieser Traum von einem Panama für Kryptowährungen ist allerdings eine riskante Wette: Je wichtiger Bitcoins werden, desto wahrscheinlicher werden stärkere Regulierungen in anderen Ländern und auf globaler Ebene. Solche Maßnahmen könnten einerseits die Attraktivität des Bitcoin als Währung außerhalb staatlicher Kontrolle mittelfristig untergraben. Erst Ende September hatte China alle Transaktionen in Kryptowährungen für illegal erklärt und angekündigt, dem Schürfen neuer Bitcoins ein Ende zu setzen. Andererseits würde sich der Druck auf El Salvador erhöhen, Geldgeschäfte mit der Kryptowährung stärker zu kontrollieren oder gar ganz zu unterbinden.

Die Menschen in El Salvador wurden nicht gefragt, ob sie die Zukunft ihres Landes auf den Bitcoin verwetten wollen. Die spärlichen Informationen zur Einführung des Bitcoin hat der Präsident größtenteils auf Englisch und über Twitter verbreitet – und ließ das eigene Volk im Dunkeln. Umfragen lokaler Tageszeitungen zeigen, dass die meisten Salvadorianer*innen den Bitcoin ablehnen: 65 Prozent sehen das Bitcoin-Gesetz negativ, nur 23 Prozent begrüßen die Initiative.

Autoritärer Umbau. Zwar ist Bukele weiterhin enorm populär, doch hat seine Beliebtheit Kratzer bekommen. Vielen Salvadorianer*innen scheint zu dämmern, dass sie mit Bukele ein politisch und wirtschaftlich gefährliches Experiment eingegangen sind.

Bukele hat in der Rekordzeit von nur zwei Jahren die Gewaltenteilung und demokratische Kontrollmechanismen abgeschafft. Er treibt den autoritären Umbau des Staates in einem Tempo voran, das Daniel Ortega in Nicaragua blass erscheinen lässt. Bukele hat etwa ein Drittel der Richter*innen abbestellt und gesetzeswidrig die Verfassungskammer des Obersten Gerichtshofes mit regierungstreuen Jurist*innen besetzt, die ihm – verfassungswidrig – seine Wiederwahl erlaubt haben.

Die Zusammenarbeit mit der „Internationalen Kommission gegen Straffreiheit und Korruption in El Salvador“ (CICIES), die er erst vor zwei Jahren gemeinsam mit der Organisation Amerikanischer Staaten gegründet hatte, hat er aufgekündigt. Auch Journalist*innen und andere Kritiker*innen geht der cholerische Präsident aggressiv an und hat willkürliche Polizeieinsätze und Einschüchterungen gegen sie ermutigt und toleriert.

Angesichts dieser institutionellen Entwicklungen könnte noch ein weiterer Aspekt des Bitcoin relevant werden: Er macht es der Regierung leichter, ihre eigenen Transaktionen vor den kritischen Augen der Öffentlichkeit zu verheimlichen. Am 15. September 2021, dem Jahrestag der Unabhängigkeit, haben Tausende Salvadorianer*innen gegen Bukeles Autoritarismus demonstriert, ein weiterer großer Protestmarch folgte im Oktober. Trotz der wachsenden Kritik hat Bukele weiterhin Zustimmungsraten, um die ihn andere Regierungschefs beneiden dürften. Geht das Experiment des digitalen Zahlungsmittels schief, könnte der unpopuläre Bitcoin der Auslöser sein, die Stimmung in El Salvador kippen zu lassen.

Christian Ambrosius ist Ökonom am Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin und arbeitet seit vielen Jahren zu den Themen Migration, Entwicklung und Finanzmärkte.

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