Das letzte Lied – Das Leben des Victor Jara

Von Redaktion · · 2000/09

Joan Jara:

Das letzte Lied – Das Leben des Victor Jara

btb Taschenbuch, München 2000, 377 Seiten, öS 146.-

Seit Beginn der chilenischen ArbeiterInnenbewegung wurden Versammlungen und Gewerkschaftstreffen stets von künstlerischen Programmpunkten begleitet. Und beim Aufschwung des Kampfes um soziale Veränderung Mitte der sechziger Jahre nahm das „Neue chilenische Volkslied“, als deren wichtigster Vertreter Vikor Jara gilt, eine hervorragende Rolle ein. Beschäftigung mit Volkskultur, das heißt mit der Kultur der entrechteten und ausgebeuteten Masse des Volkes, galt jedoch per se als subversiv. In den 60-igern noch widerwillig geduldet, wurden nach dem Militärputsch 1973 sogar die traditionellen Instrumente verboten, und die RepräsentantInnen der Volksliedbewegung mussten um ihr Leben fürchten. Victor Jara selbst wurde wenige Tage, nachdem der CIA den Putsch gegen die Linksregierung zum Erfolg geführt hatte, von den Schergen Pinochets ermordet.

Joan Jara schreibt mit der Biographie ihres Mannes gleichzeitig die Geschichte des Kampfes um soziale Gerechtigkeit, mit dem beide aufs engste verwoben waren: sie als Tänzerin und Lehrerin, er als Regisseur, Musiker und praktizierender Kommunist. Den größten Teil des Buches nimmt die Beschreibung der Geschichte der Unidad Popular, der Wahl Allendes zum Staatspräsidenten 1970 und des damit beginnenden kulturellen und sozialen Aufschwungs ein, der von zunehmendem Terror faschistischer Schlägertruppen und der Desavouierung der Regierung Allende durch das bürgerliche Lager begleitet wurde. Die Volksliedbewegung wurde unterdessen so populär, dass sie sich nach Jaras Lateinamerikatournee 1971 über den ganzen Subkontinent ausbreitete.

1997 erschien bei Pläne mit „Victor Jara complete“ eine 4-CD-Box, die den größten Teil seiner Lieder versammelt, inklusive aller Texte mit deutscher Übersetzung (Vertrieb: Extraplatte).

Thomas T. Divis

Nuruddin Farah:

Geheimnisse

Roman, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2000, 398 Seiten, öS 364,-

Kalaman bekommt überraschend Besuch von seiner Jugendliebe Sholoongo. Sie zieht bei ihm ein, mit dem selbstbewussten Wunsch, von ihm ein Kind zu bekommen. Ein altes Versprechen soll eingelöst werden. Das Erscheinen Sholoongos, deren Vergangenheit mit jener Kalamans verwoben ist, löst eine Kette von Reaktionen aus. Die ganze Familie, FreundInnen und NachbarInnen, sind durch Geheimnisse miteinander verbunden, die nicht in ihrer ganzen Tiefe ergründet werden können. Die LeserInnenschaft aber wird Stück für Stück in die Vergangenheit zurückgeführt.

„Die Vorstellung einer Welt, in der es keine Geheimnisse gibt, ist mir ein Gräuel“, sagt Nonno zu seinem Enkel Kalaman. Der alte Mann ist eine schillernde, weise und magische Person, die anzieht. „Geheimnisse bergen eine Lebensenergie, sie halten uns am Leben.“ Und sie sind der Stoff, aus dem Geschichten gemacht sind, die wiederum neuen Erzählstoff hervorbringen. Zentrales Thema des Buches ist die Geschlechtlichkeit. Die Erzählperspektive wird mehrmals gewechselt, sodass alle zentralen Figuren des Romans zu Wort kommen.

„Geheimnisse“ spielt in der Zeit kurz vor dem Ausbruch des Bürgerkrieges in Somalia. Chaos und Verunsicherung herrschen im Land. In Mogadischu traut man/frau sich kaum auf die Straße und am Land wird der/die Reisende ständig von Milizen aufgehalten. Ausweise und Clanzugehörigkeiten werden wichtig; alte Rechnungen beglichen.

Nuruddin Farah verließ Somalia 1974, wurde in seiner Abwesenheit zum Tode verurteilt und konnte sein Heimatland erst wieder 1996 besuchen.

„Secrets“ ist nach „Maps“ und „Gifts“der letzte Band von Farahs Trilogie. Der Autor wurde für sein neues Werk mit dem „Neustadt International Prize for Literature“ ausgezeichnet, dem laut New York Times „wichtigsten literarischen Preis nach dem Nobelpreis“.

lym

Raj Kamal Jha:

Das blaue Tuch

Roman, Goldmann Verlag, München 2000, 224 Seiten, öS 269,-

Mit seinem Roman „Das blaue Tuch“ schaffte es der 34-jährige indische Journalist Ray Kamal Jha erstmals, die Aufmerksamkeit britischer KritikerInnen auf sich zu lenken. Er erntete Lob und Anerkennung. Hierzulande ist Raj Kamal Jha noch relativ unbekannt. Dass er das bleibt, ist zu bezweifeln.

Mit seiner klaren, einfachen Sprache und seinem sehr sensiblen Umgang mit den Themen Liebe, Familie, Armut, Einsamkeit und Gewalt ermöglicht er einen leichten Zugang zu einer „anderen“ Welt. Die Geschichte, die er erzählt, ist eine traurige, die trotz all der Tristesse einen starken Optimismus verströmt. Ihre Botschaft: Es liegt bei uns selbst, was wir aus uns und unserem Leben machen. In Kalkutta, dem Ort der Handlung, bekommt der Icherzähler das neugeborene Baby seiner Schwester, die bei der Geburt verstarb, anvertraut. Eine lange Nacht – bis es von den Adoptiveltern abgeholt werden soll – versorgt der Mann das kleine Wesen, schließt es in sein Herz und weiht es in die tiefsten Familiengeheimnisse ein.

Der Erzähler verrät uns seinen Namen nicht. Sein Schicksal ist nur eines von vielen. Eines, das hervorgehoben wird, unter den 12 Millionen, die es in Kalkutta gibt. Eines, das auf seine Art bezaubernd einzigartig ist.

lym

Yusuf Yesilöz:

Steppenrutenpflanze

Eine kurdische Kindheit.

Rotpunktverlag, Zürich 2000, 128 Seiten, öS 212,-

„Steppenrutenpflanze“ ist ein Erinnerungsbericht, in dem der Autor Yusuf Yesilöz in Fragmenten von seiner Kindheit in einem kleinen kurdischen Dorf in der Türkei der 60-ger und 70-ger Jahre erzählt. Und damit Einblicke in eine Alltagskultur gibt, von der die Medienberichte über die Repressionen, denen das kurdische Volk in der Türkei ausgesetzt ist, nichts erzählen. Es sind kurzweilige Geschichten aus einem Mikrokosmos, der von liebenswürdigen Gestalten bevölkert wird: Dem Vater, der seiner Nikotinsucht hoffnungslos verfallen ist und dem man durch das Verstecken der Zigretten die Geschichte seiner drei gescheiterten Verlobungen abpressen kann. Der Mutter, die sich für ihre 400 Schafe mehr Zeit nimmt als für ihre Kinder. Und der Großmutter, der die Passion der Schwiegertochter fürs Schafezüchten immer wieder Anlass für Schelte gibt. „Steppenrutenpflanze“ ist das bislang am wenigsten politische Buch des 36-jährigen Autors, der als politischer Flüchtling in die Schweiz kam und im von ihm gegründeten Verlag arArat kurdische Literatur in deutscher Sprache herausgibt. Schreiben sei für ihn eine Möglichkeit, die Sehnsucht nach der Heimat zu verarbeiten, hat Yesilöz einmal in einem Interview über sich gesagt. Diese Sehnsucht ist das ganze Buch hindurch spürbar, und sie mag auch der Grund dafür sein, dass seine Schilderungen mitunter etwas sozialromantisch anmuten.

mak

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