Der Fluch der Zombie-Banken

Von Redaktion · · 2015/07

Die Banken, verantwortlich für das größte finanzielle Fiasko seit den 1930er Jahren, halten ihre Auferstehung für eine ausgemachte Sache. Die Zukunft lässt sich aber auch vernünftiger gestalten, meint NI-Autor David Ransom.

Es war zwar nur eine kurze Episode in meinem Leben, aber zwischen Ende 1968 und Anfang 1970 war ich ein Bank-Trainee. Mein Ausbildungsort war Montevideo, Uruguay. Als ich ein paar Monate hinter mir hatte, streikten die Bankangestellten des Landes für höhere Gehälter. Sie wurden umgehend „militarisiert“: Wer nicht zur Arbeit erschien, wurde als Deserteur angeklagt. Ein korpulenter Oberst nahm das Büro des Managements in Beschlag, während Soldaten einige Angestellte, die sie erwischt hatten, im Polizeigriff an ihre Arbeitsplätze verfrachteten. Schließlich stieg ich aus, überzeugt, dass sich die Quintessenz eines erfolgreichen „Banking“ viel zu tief in der unerträglichen, geradezu schmerzhaften Eintönigkeit des Bankalltags versteckte.

Ich bin also von Vorurteilen behaftet. Niemals davor oder danach erlebte ich eine Langeweile, die körperliche Schmerzen verursachte. Wenn ich lese oder höre, die Kultur einer Bank sei auf Kokain aufgebaut, bin ich nicht schockiert. Ich verstehe durchaus, wie Bankangestellte durch den ständigen Druck, Geld aus dem Nichts zu erzeugen, physisch und psychisch zermürbt werden können. Auch die unterschwellige Neigung zu Panikattacken kenne ich aus eigener Erfahrung. Ich würde auch nicht sagen, dass Banken so etwas wie eine Kultur haben. Ich würde eher von einer Pseudo-Ideologie sprechen, und in Uruguay lernte ich, was das in der Praxis bedeutet.

Es dauerte nur ein paar Jahre, bis der Rest des Landes ebenfalls militarisiert war. Die Banken waren vielleicht nicht hauptverantwortlich – die Armee gab der linken Tupamaro-Guerilla die Schuld – aber sie waren zweifellos die Hauptnutznießer. Denn damals begann das Zeitalter der Globalisierung und der deregulierten Finanzmärkte.

Seither hat sich der Neoliberalismus unaufhaltsam ausgebreitet, von Freihandelsabkommen über die Welthandelsorganisation WTO bis zur Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) und ihrer Schwester, der Transpazifischen Partnerschaft (TPP), mit glanzvollen, aber leeren Versprechen, mit ungezügelten Finanzmärkten und den Banken an vorderster Front (siehe auch Beitrag auf Seite 34).

Dieser Siegeszug, so paradox es auch erscheinen mag, war von Finanzkrisen gepflastert. Einer Schätzung zufolge gab es zwischen 1970 und 2011 weltweit 147 Bankenkrisen, die immer häufiger und schwerer wurden, um schließlich in die letzte, die „Große Rezession“ zu münden, aber stets mit demselben erwünschten Ergebnis: Rettung durch die öffentliche Hand, gefolgt von einer Spielart der neoliberalen „strukturellen Anpassung“.(1)

Das Ausmaß dessen, worauf die Banken tatsächlich aus waren, versetzt selbst mich noch immer in Erstaunen: Geldwäsche, Bruch von Sanktionen, Steuerhinterziehung, Versicherungsbetrug, allgegenwärtige „Falschberatung“, Manipulation von Zinssätzen und Wechselkursen, gewohnheitsmäßige Spekulation, Habgier und Bereicherung – die Anklagepunkte gegen dieses „Dienstleistungsgewerbe“, das seine KundInnen als Weihnachtsgänse behandelt, erstrecken sich auf beinahe alles, was in seinem Namen praktiziert wird.

All dem wurde noch von einem Kartell von Ratingagenturen und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, bezahlt von den Banken, ein Heiligenschein verpasst, unter Aufsicht von äußerst zurückhaltend agierenden, von den Banken gekaperten Regulierungsbehörden und orchestriert von Finanzmärkten, die sich auf nichts anderes stützen als „Vertrauen“ und „Zuversicht“. Das reicht, um selbst den legendären Selbsterhaltungsinstinkt des Kapitalismus in Frage zu stellen.

Für einige öffentliche Entrüstung hat die Unverfrorenheit gesorgt, mit der sich die Führungsriege der Banken trotz alledem weiter selbst belohnt. Die Bonus-Kultur im Finanzsektor ist zweifellos einer der treibenden Motoren der zunehmenden Ungleichheit und sozialen Ungerechtigkeit.

Blasen ohne Ende. Aber die entscheidende Frage ist: Was hält dieses gigantische, unsinnige Spektakel am Leben? Wir reden hier nicht von Zauberei, auch wenn der Neoliberalismus noch so oft auf die „unsichtbare Hand“ des Markts verweist.

Was es nicht sein kann, ist der Nutzen der Banken für die Gesellschaft. Bei den Darlehen, die sie vergeben, handelt es sich zu einem wachsenden Anteil – mittlerweile knapp 60 Prozent – um Immobilien- und Hypothekarkredite.(2) Nur zur Erinnerung: Das war es, was den Finanzkollaps von 2008 ausgelöst hat.

Das Immobiliengeschäft bietet Banken vielleicht die einfachsten und lukrativsten Möglichkeiten, ihre Kreditforderungen zu „verbriefen“ (in Wertpapiere zu verwandeln) und darauf aufbauende, in verschachtelten Konstruktionen verpackte Derivate zu verkaufen, die nichts mit der Realwirtschaft zu tun haben – aber schließlich behauptet ja auch niemand, dass Immobilien produktiv wären. Immobilienblasen werfen sicher eine Zeit lang – und für ein paar wenige – mehr Geld ab als sich durch Arbeit verdienen lässt. Aber für den Rest, insbesondere für die nächste Generation, werden Eigenheime dadurch unerschwinglich.

2007 hatten dann die Banken plötzlich keine Ahnung mehr, was überhaupt noch etwas wert war, und sie stellten die Kreditvergabe völlig ein – sogar untereinander. Technisch betrachtet waren sie erledigt. Es gibt jedoch eine merkwürdige Art der Auferstehung, die nur Banken offen steht. Sie können durch öffentliche Subventionen und Rettungspläne ins Leben zurückgerufen werden, weil es zu problematisch wäre, sie in Konkurs zu schicken, auch wenn sie wertlos und zu nichts zu gebrauchen sind. Solche Banken sollen erstmals 1987 aufgetaucht sein, als die Krise des Sparkassensektors die USA erschütterte, und sie waren in Japan auch lange nach der dortigen Bankenkrise zu beobachten: Lebende Leichen, die mittlerweile treffend als „Zombie“-Banken bezeichnet werden.(3)

Immer größer. Für mich beschreibt dieser Begriff ziemlich genau, wozu mittlerweile alle privaten Banken geworden sind. Im Rahmen der „quantitativen Lockerung“ schoben Zentralbanken den Banken Billionen Dollar in den Rachen, ein letzter verzweifelter Versuch, sie dazu zu bringen, wieder Kredite für produktive Zwecke zu vergeben.

„Systemrelevante“ Megabanken gelten gleichzeitig als zu wichtig, um sie pleitegehen zu lassen, und als zu schwerfällig, um zu funktionieren. Ergebnis: Sie werden größer und immer weniger, dominieren wie ein Oligopol jedes nationale Bankensystem und ernähren sich von indirekten Subventionen, die allein in der Eurozone jährlich 300 Mrd. Dollar betragen könnten,(4) denn auf den Finanzmärkten wird angenommen – und umso eher seit 2008 –, dass sie neuerlich gerettet werden dürften. Das bedeutet, dass sie sich billiger verschulden können und bei der Kreditvergabe höhere Risiken eingehen.

Regulierungsbedarf. Sie müssen auch mehr Eigenkapital aufbringen, um das Insolvenzrisiko zu verringern. Ergebnis: Hartnäckige Steuerhinterziehung, ein Mindestmaß an Eigenkapital und noch immer keine Ausweitung der Kredite an die Realwirtschaft.(5) Also muss die Regulierung der Banken verstärkt werden. Ergebnis: neue Gelegenheiten, von unterschiedlichen Regeln zu profitieren („Regulierungsarbitrage“), und eine Expansion des kaum regulierten Schattenbanksektors. Jeder Versuch, die Boni auf ein vernünftiges Maß zu begrenzen, verläuft im Sande.

Mittlerweile blähen sich die Finanzmärkte weiter auf. Die Aktiva der britischen Banken (Kredite) haben bereits das Vierfache der jährlichen Wirtschaftsleistung des Landes erreicht. Bis 2050 werden sie auf das Zehnfache gestiegen sein.

2010 schätzte Andrew Haldane, damals Leiter der Abteilung Finanzstabilität der Bank of England (der britischen Zentralbank, Anm. d. Red.) und heute ihr Chefökonom, die Kosten der von den Banken verursachten Krise auf weltweit 60 bis 200 Billionen US-Dollar, neben anderen Verlusten vor allem verlorene Wirtschaftsleistung.(6) Das ist ein ordentlicher Brocken. Unter der Annahme, dass es alle 20 Jahre zu einer systemischen Krise kommt, müsste man den Banken eigentlich jährlich mehr als 1.500 Milliarden US-Dollar abknöpfen, berechnete Haldane – mehr, als alle Banken zusammen an den Börsen wert sind. Womit man natürlich Gefahr liefe, sie „auf den Weg der Dinosaurier“ zu schicken, wie Haldane anmerkte. Also fasste das auch niemand ernsthaft ins Auge. Einige Schulden, insbesondere jene der Banken, sind es offensichtlich nicht wert, eingetrieben zu werden.

Öffentliche Infrastruktur. Selbst aus einer noch so kursorischen Geschichte von Banken- und Finanzkrisen geht klar hervor, dass es sich beim Finanzsektor um eine öffentliche Infrastruktur handelt und nicht um Privateigentum. Was ermöglicht die endlosen Rettungen von privaten Banken und daher ihr Weiterbestehen, wenn nicht ihr quasi automatischer Anspruch auf öffentliche Ressourcen und Steuergelder? Und wann fand zuletzt eine demokratische Diskussion über eine Bankenrettung statt, bevor es sich um eine vollendete Tatsache handelte?

Privaten Banken wurde zudem auch eine Art öffentliche Lizenz erteilt, mittels Kreditschöpfung praktisch alles in Umlauf befindliche Geld in die Welt zu setzen, was ihnen eine unverhältnismäßige wirtschaftliche wie politische Macht verschafft hat. Man sollte ihnen diese „Lizenz zum Gelddrucken“ wieder entziehen – keine einzelne Maßnahme wird mit höherer Wahrscheinlichkeit für mehr Vernunft im Finanzsektor sorgen.(7) Ein solcher Schritt ist problemlos mit den traditionellen Rechten eines demokratischen Staates vereinbar. Ebenso damit vereinbar ist es, die staatliche Einlagengarantie nur für Banken zu gewähren, die sich auf das Einlagen- und Kreditgeschäft beschränken – andere Banken brauchen die meisten Leute auch gar nicht.

Dann gäbe es eine realistische Aussicht, die Zombie-Megabanken wieder ins Grab zu befördern, aus dem man sie so voreilig herausgeholt hat. Wenn sie es schaffen, ohne öffentliche Subventionen zu überleben, die der Neoliberalismus ohnehin für eine ausgemachte Teufelei hält – bitte sehr. Aber machen wir Schluss mit dem potenziellen Schaden, den sie anrichten, und der Erpressung, mit der sie uns jederzeit drohen können. Wer zweimal denselben Fehler begeht und doch auf ein anderes Ergebnis hofft, dem ist wohl nicht zu helfen.

Copyright New Internationalist

1)      Zitiert in Martin Wolf, The Shifts and the Shocks, Penguin, London, 2014

2)      The Economist, 31. Jänner 2015.

3)      Siehe etwa Sheila Bair und Yalman Onaran, Zombie Banks, Bloomberg, 2011.

4)      Global Financial Stability Report, Kapitel 3 www.imf.org/External/Pubs/FT/GFSR/2014/01/pdf/c3.pdf

5)      Anat Admati und Martin Hellwig, The Bankers’ New Clothes, Princeton University Press, Princeton and Oxford, 2013.

6)      Andrew G. Haldane, The $100 Billion Question, Bank for International Settlements Review 40/2010

7)      Für eine erhellende Darstellung dieses komplizierten Themas (und vieler anderer Themen, die hier angesprochen werden) siehe Peter Stalker, The Money Crisis, New Internationalist Publications, Oxford 2015.

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