Der Marsch der indigenen Würde

Von Anne Huffschmid · · 2001/04

Der triumphale Zug der Zapatisten durch Mexiko hat den Aztekenstaat verändert. Den Wettbewerb ťLiebling der MedienŤ hat zweifellos Subcomandante Marcos gegen Präsident Vicente Fox gewonnen.

Geschichte wiederholt sich nie, heißt es. Oder vielleicht doch ein kleines bisschen? Zum Beispiel an jenem glühendheissen Sonntag im März, als die Zapatistas noch einmal, wie vor fast 90 Jahren, siegreich in Mexiko-Stadt einzogen.

Wie die ”Karnevalsköniginnen“, so notierte ein Zeitungsreporter mit sanfter Häme, seien die winkenden Comandantes durch die Stadt gezogen. Aber dafür mindestens ebenso bejubelt. Waren es damals 30.000 bewaffnete Soldaten, die die Stadt – vorübergehend – eroberten, so reichten zur Eroberung an diesem 11. März ganze 24 Mitglieder der Zapatistenguerilla EZLN. Ohne Gewehre, dafür mit ihren berühmtgewordenen Kapuzen, unseren Schimützen ähnlich, über dem Gesicht.

”Aqui estamos“, hier sind wir, begann ihr Wortführer, Subcomandante Marcos, seine Begrüßungsrede. Und die Botschaft war alles andere als trivial. Nie zuvor standen leibhaftige Indios im mestizischen Mexiko derart im Scheinwerferlicht. Ein großes Staunen lag in der Luft. Die umliegenden Hotelterassen waren seit Wochen ausgebucht, auf allen Dächern, an allen Fenstern und Balkons hingen die Menschentrauben. ”Bienvenidos“, willkommen, stand auf T-Shirts und Transparenten zu lesen. ”Wir werden nie wieder Spott und Verachtung zulassen“, sagte Comandante Tacho, neben Marcos einer der Köpfe der EZLN. ”Wir indigenen Völker verlangen einen würdigen Platz.“

Zuvor waren die Comandantes mit einer großen Anhängerschar zwei Wochen lang durch zwölf der 31 Bundesstaaten Mexikos gezogen und hatten mehr als 35 öffentliche Auftritte hinter sich gebracht. Es mutet paradox an: Erklärtes Ziel der von den Medien alsbald ”Zapatour“ getauften Reise war es, für eine Verfassungsreform zu werben, die ausgerechnet Präsident Vicente Fox vor kurzem dem Kongress vorgelegt hat.

Die Initiative, die auf Grundlage der ersten Teilabkommen mit der EZLN 1996 erarbeitet und von der PRI-Regierung seither blockiert worden war, sieht die Verankerung indigener Selbstbestimmungsrechte in der Verfassung vor. Darunter das Recht auf die Wahl von Gemeinderäten nach indigenen ”Sitten und Gebräuchen“ und die Neubildung indigener Kommunen, die Anerkennung eigener Rechtsnormen, die kollektive Nutzung der Bodenschätze sowie eigene Medienorgane.

So diente auch die Hauptstadtvisite nicht etwa, entgegen allen medialen Unkenrufe, einem persönlichen Treffen mit Präsident Fox und einem spektakulären Outing des Subcomandante, sondern zunächst einmal der Lobby-Arbeit im mexikanischen Kongress. Diesen wollen die Zapatistas von ”den Vorzügen“ der Reform überzeugen. ”Wir wollen kein Geschäft, keinen VW-Käfer und keinen Fernseher“, sagte Esther, eine der vier weiblichen Comandantes der Delegation. Just diese drei Dinge hatte der ehemalige Coca-Cola-Manager und frisch gebackene Präsident seinen ”indianischen Brüdern und Schwestern“ seit Monaten in Aussicht gestellt. Fox, der der Zapatour sogar eine ”diskrete Polizeieskorte“ an die Seite gestellt hatte, gibt sich unterdessen gelassen. Der Marsch sei ein untrügliches Zeichen ”für das demokratische Klima“ im Lande, sagte er am Vortag in seinem allwöchentlichen Radioprogramm.

Kein Zweifel: Vicente Fox hat wenig Ähnlichkeiten mit seinem Amtsvorgänger Ernesto Zedillo. Hatte dieser sich nicht einmal die Mühe gemacht, Verhandlungsbereitschaft gegenüber der EZLN auch nur zu simulieren, so hat der neue – erstmals demokratisch legitimierte – Regierungschef seit seinem Amtsantritt eine Reihe bemerkenswerter Zeichen gesetzt: die Vorlage der Autonomie-Initiative im Parlament, den Abzug von Militärposten, die Freilassung inhaftierter Zapatistas sowie die Reisefreiheit für ausländische MenschenrechtsbeobachterInnen.

Das Kommunikationsproblem zwischen Regierung und Rebellen, die seit viereinhalb Jahren kein Wort mehr gewechselt haben, bleibt also bestehen – selbst wenn aus der harten heute eine softe Linie geworden ist. Das zeigt sich schon an der Wortwahl: Während Vicente Fox die Zapatour hartnäckig als ”Friedensmarsch“ deklarierte, nannten die Zapatistas ihre Karawane einen ”Marsch der indigenen Würde“. Und der würdige Platz, den Comandante Tacho fordert, muss ihrer Ansicht nach eben zuallererst in der Verfassung verankert werden.

Ohne die Verankerung dieser Ansprüche ist auch nicht an einen ”schnellen Frieden“, den Präsident Fox unaufhörlich beschwört, zu denken. Denn die Verfassungsreform ist eines von drei Signalen, die die EZLN neben der Freilassung ihrer inhaftierten Mitglieder und dem Abzug von sieben Militärstützpunkten zur Bedingung für die Wiederaufnahme der Friedensgespräche gemacht hat.

Strategisch wenig sensibel ist es allerdings von Seiten der EZLN, die Verabschiedung der Verfassungsreform vom Präsidenten zu verlangen. Denn die liegt – glücklicherweise – gar nicht mehr in seiner Macht, sondern in der des Kongresses. Dort aber hat keine der drei großen Parteien mehr eine Mehrheit. Und selbst Parteigänger des Präsidenten haben schon jetzt juristische ”Bedenken“ gegen die Initiative angemeldet. Eine Veränderung oder gar Neuverhandlung des Gesetzestextes will wiederum die EZLN keinesfalls akzeptieren.

Das Dilemma ist real: die neue ”effektive Gewaltenteilung“, auf die sich die parlamentarischen KritikerInnen der von Fox lancierten Initiative zurecht berufen, gegen die ”historische Verantwortung“, an die Indiobewegungen, NGO-VertreterInnen und prozapatistische AktivistInnen appellieren.

Kein Zweifel: Jener sonntägliche Auftritt war ein Höhepunkt des politischen Curriculums der Zapatistenguerilla, ein ”kultureller und politischer Sieg“, wie es der bekannte Schriftsteller Carlos Monsiváis formulierte. So viel öffentliche Aufmerksamkeit ist ihr seit ihrem Aufstand nicht mehr zuteil geworden, so wohl wollend war der veröffentlichte Mainstream noch nie. Zwar schafften es die beiden mächtigsten Fernsehanstalten, ”TV Azteca“ und ”Televisa“, vom ”historischen“ Ereignis am Sonntag keine einzige Direktübertragung zu schalten. Dennoch scheinen die Zeiten, in denen auf dem Bildschirm, wenn überhaupt, von subversiven Umtrieben und Waffenlagern, ”Revolutionstouristen“ und manipulierten Indios die Rede war, vorbei.

Nach jedem Höhepunkt aber geht es, naturgemäß, wieder bergab. War früher die harte Linie der Regierung der größte Feind der Zapatistas, so droht ihnen heute eher mediale Einverleibung und Banalisierung. Nicht wenige Medien berichteten über die Zapatour als eine Art indigene Love Parade und reduzieren ihr Anliegen auf einen bloßen Zweikampf zweier starker Männer, Fox und Marcos, die, so stand allerorten zu lesen, um ”politisches Rating“ konkurrieren. Möbel- und Publicityfirmen nutzen die zapatistische Ikonographie für originelle Werbespots, und die wollene Skimaske droht zum bloßen Markennamen zu verkommen.

Szenenwechsel. In Tepoztlán, einem malerischen Dorf südlich der Hauptstadt, auf einer Zwischenstation der Karawane. Die Nacht ist hereingebrochen, eine dicht gedrängte Menschenmenge lauscht, auch hier, den Gästen. David, in seinem weich gebrochenen Spanisch, erklärt noch einmal – einmal mehr –, was es mit der Forderung nach Autonomie auf sich hat: ”Wir sagen nicht, dass unsere Art besser oder schlechter ist – sie ist nur anders.“ Die Stimme von Isaías, einem kräftigen Mann mit knallbunter Schärpe, klingt fester: ”Wir kommen um zu fordern, nicht um zu bitten.“ Ein Nebeneffekt der Zapatour: Mit einem Mal bekommen auch die indigenen Comandantes unterscheidbare Konturen, zwar kein Gesicht, aber einen Körper und eine Stimme.

Doch wieder ertönen ”Marcos“-Rufe im Publikum. Schließlich tritt der ”Sub“ selbst ans Mikrophon. Kinder und Fotokameras werden in die Luft gereckt.

”Guten Abend Tepoztlán“, ruft er in den aufbrausenden Jubel hinein. ”Marcos existiert nicht!“ Auf eine kurze Schrecksekunde folgen Bravo-Rufe. ”Er ist nur der Rahmen für ein Fenster, in das ihr hineinschauen sollt.“ Gegen den drohenden Heldenkult, wieder die paradoxe zapatistische Rhetorik: ”Wir sind ihr! Ich bin du!“ Der Kampf um die indigene Autonomie solle in den Schulbüchern verewigt werden. ”Und auf der letzten Seite soll es eine leere Zeile geben“, sagt Marcos, ”da kann dann jeder von euch seinen Namen eintragen.“

Die Autorin lebt als freie Journalistin und Mitarbeiterin der Berliner Tageszeitung ”taz“ in Mexiko.

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