Der plurinationale Staat in Bolivien

Von Redaktion · · 2014/05

Isabella Radhuber (Hg.):

Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster 2013, 340 Seiten, Euro 34,90

Mit der ersten Amtszeit von Präsident Evo Morales in Bolivien im Jahr 2006 begann ein Prozess der Aufwertung der indigenen Bevölkerung. Morales holte Indigene in seine Regierung und initiierte eine Verfassungsreform, die den plurinationalen Charakter der bolivianischen Gesellschaft anerkannte.

Dieser Prozess stößt jedoch dort an seine Grenzen, wo die ökonomischen Interessen des Staates im Vordergrund standen. Von 2006 bis 2010 stiegen die Einnahmen aus dem Erdgasexport von 1,85 Milliarden auf 2,3 Milliarden US-Dollar an. Der Anteil der Erdgaseinnahmen am Bruttonationaleinkommen verdreifachte sich in der ersten Amtszeit von Morales. Unbestritten ist, dass ein größerer Teil des staatlichen Budgets bei den Armen und den bisher marginalisierten Indigenen ankommt. Dennoch ist Bolivien von einem Vorbild ethnischer Pluralität noch immer weit entfernt. Gegen die Reformen haben sich nicht nur die reicheren mestizischen Tiefland-Departamentos erhoben. Vielmehr mussten die härtesten Auseinandersetzungen mit indigenen Organisationen geführt werden. Denn das neo-extraktivistische Modell, das auf dem massiven Export unverarbeiteter Rohstoffe beruht, wird nicht in Frage gestellt. Vielmehr wird die indigene Autonomie zugunsten der territorialen Autonomie reduziert. „Klar wird jedenfalls“, so der ecuadorianische Ökonom und Politiker Alberto Acosta im lesenswerten Vorwort, „die große Kluft zwischen den Diskursen zu einer Neugründung des Staates und der Kontinuität eines extraktivistischen Akkumulationsmodells, das für die Unterentwicklung verantwortlich zeichnet und Matrix des kolonial-oligarchisch-neoliberal geprägten Staates (…) ist“.

Wer sich über die gesellschaftlichen Konflikte im plurinationalen Bolivien und das Spannungsverhältnis von Anspruch und Wirklichkeit in leicht lesbarer Form informieren will, ist mit diesem Buch nicht gut bedient. Wer sich aber die Mühe macht, die ziemlich trockenen Ausführungen zu verfolgen, wird verstehen, warum viele der Auseinandersetzungen unvermeidlich waren. Radhubers Band beruht auf einer akademischen Arbeit: Sie untersucht die Wirtschaft mit dem Instrumentarium der in den 1970er Jahren populären Dependenztheorie und konstatiert, dass Bolivien in den kapitalistischen Zyklus integriert bleibt.

Über 90 Prozent der Exporteinnahmen werden durch Rohstoffe – allen voran Erdgas – lukriert. Dennoch habe der Staat mit dem Budget ein Instrument in der Hand, das den Aufbau eines echten plurinationalen Modells ermöglichen sollte. Radhuber plädiert für eine Finanzpolitik, die die verschiedenen autonomen Ebenen, einschließlich der indigenen, berücksichtigt und Umverteilungspolitik betreibt.
Ralf Leonhard

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