Der Preis des Widerstands

Von Redaktion · · 2008/07

Es braucht nicht viel, um in Burma zum Staatsfeind zu werden. Ehemalige politische Gefangene erzählen NI-Redakteur Dinyar Godrej, warum sie weiter kämpfen werden, auch wenn ihr Leben dadurch zerstört wird.

Bo Kyi trägt eine Schuld, eine Ehrenschuld. Und seine ganze Arbeit dient dazu, sie zu tilgen. Gegen Ende unseres Gesprächs erzählt er mir davon: „Ich bewundere die Kämpfer für die Demokratie, die im Gefängnis sitzen, alle, die in Burma weiterkämpfen. Es ist unglaublich, sie wissen, dass man sie verhaften wird, dass man sie foltern wird, aber trotzdem geben sie nicht auf. Wir können nicht anders, wir müssen sie unterstützen. Sofern einem Demokratie und Menschenrechte etwas bedeuten.“
Es muss dieses Gefühl eines inneren Zwangs sein, das Menschen dazu bringt, sich in einem Land politisch zu engagieren, in dem es bereits als Verrat gilt, eine andere Meinung als die Behörden zu vertreten. Menschen wie Min Ko Naing, Vorsitzender der verbotenen All Burma Federation of Student Unions, der fast 16 Jahre in Einzelhaft verbrachte, auf nackten Betonböden schlafen und von Hungerrationen klebrigen Reises leben musste; in Zellen, wo sich Exkremente in einer Ecke türmen oder, wenn der Häftling Glück hat, in einem kleinen Topf. Überall kriechen Maden herum. Man muss eiserne Fußfesseln tragen, die fast sechs Kilo wiegen. Sie sind mit einer Stange verbunden, sodass man dauernd mit gespreizten Beinen stehen muss.
Unter solchen Verhältnissen lebte Min Ko Naing, als er ein Angebot eines Beamten des US-Außenministeriums ausschlug, in die USA auszureisen. Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis setzte er seine politische Tätigkeit fort und wurde wieder verhaftet. Während einer anderen kurzen Periode außerhalb des Gefängnisses (von „in Freiheit“ kann in Burma kaum die Rede sein) wurde er zu einem der führenden Köpfe der Demonstrationen im August 2007. Derzeit ist er wieder in Haft.
Darauf bezieht sich die Schuld, von der Bo Kyi spricht. Wir treffen uns in der staubigen und allem Anschein nach verschlafenen Grenzstadt Mae Sot in Thailand, wo Bo Kyi und andere ehemalige burmesische politische Gefangene die Assistance Association for Political Prisoners (AAPP) gegründet haben. Tatsächlich aber geht es in Mae Sot äußerst lebendig zu. Dafür sorgen die Aktivitäten der zahllosen burmesischen Exilorganisationen, die versuchen, die Bevölkerung jenseits der Grenze zu unterstützen und alles tun, um den heruntergekommenen Flüchtlingen zu helfen, die in Thailand ankommen. Die Stadt ist auch ein Treffpunkt exilierter burmesischer PolitikerInnen; Gerüchte über eine Infiltrierung durch Agenten des Regimes und Schlimmeres machen die Runde.

Bo Kyi saß seit März 1990 zweimal im Gefängnis, insgesamt sieben Jahre und drei Monate. Seine Vergehen: Tätigkeit für die Studentenvereinigung, Organisation von Demonstrationen und Weigerung, Informant des Armeegeheimdienstes (Military Intelligence – MI) zu werden. Was in burmesischen Gefängnissen passiert, lässt sich durchaus als Folter einstufen. Vor dem Insein-Gefängnis wurden einmal Schweine geschlagen, um die Schreie der misshandelten Insassen zu übertönen. „Im Insein-Gefängnis leben 10.000 Menschen; gebaut wurde es für 4.000. Die Gefangenen müssen auf der Seite schlafen, einer hinter dem anderen. Aber bei der Hitze, wie soll man da schlafen?“, schildert Bo Kyi. Es wimmelt vor Moskitos, Malaria ist an der Tagesordnung – neben Tuberkulose, HIV/Aids, Durchfall- und Hauterkrankungen. Sterben politische Gefangene im Gefängnis, werden sie oft begraben oder verbrannt, ohne die Familienangehörigen davon zu verständigen. Autopsien werden oft nicht vorgenommen oder falsch aufgezeichnet. Ihre Begräbnisse werden vom MI überwacht. 2006 reduzierten die Behörden den Umfang der Lebensmittel, die Verwandte den Gefangenen bringen durften, und strichen gleichzeitig das Nahrungsmittelbudget der Gefängnisverwaltung zusammen.*
Die Website der Strafvollzugsbehörde vermittelt dagegen eine Vision, in der folgsame Gefangene um Besserung bemüht sind. Es wird behauptet, die Gefängnisse könnten vom Internationalen Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) und von amnesty international besucht werden. Wie amnesty telefonisch bestätigt, sind der Organisation jedoch keine Besuche gestattet; das IKRK wiederum stellte die Inspektionen Ende 2005 ein, um gegen die ständige Begleitung durch Regierungsvertreter zu protestieren.

Zurück zur Wirklichkeit. Bo Kyi stellt mir Aung Kyaw Oo vor, einen anderen ehemaligen studentischen Aktivisten, der 14 Jahre lang einsaß. Nach seiner Entlassung 2005 begann er, die Familien politischer Gefangener zu unterstützen, bis die Lage zu heiß wurde. Er ließ seine Familie zurück und flüchtete nach Mae Sot, wo er am 6. August 2007 ankam. Die hungrigen Augen, die das Gesicht dieses schlanken, ernsten Mannes beherrschen, beeindrucken mich. Wenn er spricht, flüstert er beinahe.
Die AAPP tut das, was auch andere vergleichbare Organisationen tun – sie dokumentiert Menschenrechtsverletzungen mit Namen, Ort und Datum, beobachtet die Zustände in den Gefängnissen, fordert internationale Organisationen zum Einschreiten auf, wenn Leben in Gefahr sind, macht die Missstände öffentlich und unterstützt ehemalige politische Gefangene. Aber sie arbeitet auch jenseits der Grenze, versorgt Gefangene und ihre Familien mit Nahrungsmitteln und Medikamenten.
„Wie in aller Welt schaffen Sie das alles eigentlich?“, frage ich Bo Kyi. Ab diesem Punkt bleibt unser Gespräch vertraulich. Für Bo Kyi ist es sehr wichtig, dass ich nichts schreibe, was das von seiner Organisation in Burma aufgebaute Netzwerk gefährden könnte. Nur soviel: Derartige Tätigkeiten beruhen auf Kontakten zu Familien, den Sympathien einiger Gefängniswärter und der Korruptheit einiger anderer.
Repression in Zahlen
  • 1.864 politische Gefangene im Jänner 2008. Diese Zahl inkludiert nicht die seit September 2007 Verhafteten.
  • Mehr als 10.000 ehemalige politische Gefangene.
  • Unbekannte Zahl von Menschen, die kurzzeitig für Verhöre (Folter) in Haft genommen werden – eine Maßnahme, um politische Tätigkeit zu unterbinden.
  • Mindestens 127 Todesfälle unter politischen Gefangenen entweder im Gefängnis oder kurz nach Entlassung.

    Quellen: www.aappb.org; AAPP: The Darkness We See, Mae Sot, Dezember 2005.


  • Ich schalte mein Aufnahmegerät aus, verabschiede mich und schwinge mich auf den Rücksitz des Motorrads von Lae Lae Nwe, einem AAPP-Mitglied. Sie hat mir angeboten, mir Interviews mit Mönchen zu ermöglichen und dabei zu dolmetschen. Auf dem Weg eröffnet sie mir, dass sie auch im Gefängnis war. Sie könnte mir davon bei ihr zuhause erzählen. Das „Zuhause“ von Lae Lae ist auch das von rund 50 Kindern und Jugendlichen, um die sie sich kümmert. Die spielenden Kinder machen einen Heidenlärm, die Jugendlichen sitzen vor dem Fernseher oder lernen, und dabei erzählt sie mir ihre Geschichte.

    „Eines Tages im Jahr 1998 bat mich meine beste Freundin, Zin Mar Aung – ich kannte sie seit dem Kindergarten -, einen regierungsfeindlichen Brief zu tippen. Ich arbeitete für eine Computerfirma, also tippte ich den Brief, den meine Freunde und ich auf der Universität von Rangun und unter Kollegen verteilten. Leider wurden einige meiner Freunde vom Armeegeheimdienst MI festgenommen, darunter auch Zin Mar Aung. Sie wurde gefoltert, also nannte sie meinen Namen, als man sie fragte, wer den Brief getippt hätte.“
    Ebenfalls verhaftet, leugnete Lae Lae standhaft, irgendetwas über den Inhalt des Briefs zu wissen, obwohl sie im Stehen verhört wurde und nichts zu essen und zu trinken bekam. Schließlich wurde sie zu 21 Jahren verurteilt und ins Insein-Gefängnis verlegt. „Nach vier Jahren wurde ich entlassen, gemäß Artikel 401 (1) – ich musste eine Vereinbarung mit dem MI unterzeichnen, wonach ich im Fall einer Beteiligung an politischen Aktivitäten den Rest meiner Haftstrafe verbüßen müsste und mit einer weiteren Gefängnisstrafe zu rechnen hätte.“
    „2006 verließ ich Burma. Kürzlich kam ein Aktivist hierher, um an einem Workshop über Organisierungsarbeit teilzunehmen. Es war knapp vor Weihnachten, und ich wollte meinen Freunden von der Universität etwas schenken. In Rangun übergab ihnen der Aktivist die Geschenke. Leider wurde er kürzlich vom MI verhaftet und brutal gefoltert, deshalb erzählte er ihnen von den Geschenken. Danach wurden auch meine Universitätskollegen neuerlich festgenommen, glücklicherweise aber wieder freigelassen. Jetzt haben meine Eltern Angst vor mir. Wenn ich sie anrufe, hängen sie jedesmal auf.“

    Copyright New Internationalist

    *) Länderbericht Myanmar 2007, Amnesty International; www.aappb.org; zur offiziellen – rosigen – Sicht der Dinge siehe www.myanmar.gov.mm/ministry/home/PrisionsMain.htm

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