Der Untergang Roms

Von Cédric Durand · · 2018/Nov-Dez

Die politischen Entwicklungen in Italien könnten die zweite Phase einer großen Finanzkrise auslösen, meint Cédric Durand.

Vorsicht Italien! Das Land gilt seit Jahren als schwächstes Glied in einem nach wie vor wankenden Europa. Seine Wirtschaft, zehn Mal größer als die Griechenlands und mit einer Staatsverschuldung von 130 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), stagniert mehr oder weniger seit zwei Jahrzehnten. Das BIP pro Kopf ist heute kaum höher als Ende der 1990er Jahre.

Mit der Koalitionsregierung zwischen der weit rechts stehenden Lega und der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung betritt Italien politisches Neuland. Diese Entwicklung lässt ungelöste Konflikte in der Eurozone wieder aufbrechen und könnte die zweite Phase einer großen Finanzkrise auslösen.

Die Staatsschuldenkrise in der Eurozone von 2010 bis 2014 war ein Warnsignal, das ignoriert wurde. Auf Kosten der griechischen Bevölkerung und einer selbstzerstörerischen Sparpolitik konnte die Finanzialisierung einige wenige Jahre ihre Vorherrschaft bewahren

Die Risikofaktoren

Fehler der Zentralbanken? Ein Exit Italiens? Schuldenkrisen im Süden? Bedeutende ÖkonomInnen beleuchten mögliche Ursachen der nächsten Krise.

Fragile Ruhe. Aber diese Ruhepause beruht auf einer fragilen Variante eines bürokratischen Cäsarismus: Die Verschärfung der technokratischen Herrschaft mittels Memoranda hat den Spielraum für eine demokratische Politik so weit verringert, dass die Legitimität des gesamten europäischen Integrationsprojekts auf dem Spiel steht.

Nativistische Bewegungen stehen an der Spitze einer gefährlichen Wiederauferstehung des Nationalismus, während die Linke versucht, mit neuen Formen populistischer Politik ein sozial progressives Projekt in Gang zu bringen. Beide Lager befinden sich auf Kollisionskurs mit der Europäischen Union. Auf der einen Seite stehen neoliberale Parteien im Norden Europas, die mit engstirnigem Egoismus an der irrigen Vorstellung festhalten, dass Kernländer wie Deutschland Länder der Peripherie wie Griechenland und Italien subventionieren würden. Indem sie an der Eurozone als Währungsunion festhalten, aber eine Fiskalunion ablehnen, die es ermöglichen würde, deutsche Überschüsse zur Unterstützung der südlichen Länder zu verwenden, verweigern sie die einzige Lösung, die das langfristige Überleben der EU sicherstellen könnte.

Dass in der Zwangsjacke der Eurozone kein Platz für eine anti-neoliberale Politik existiert, ist klar. Die Vertiefung des Binnenmarkts wiederum schließt jeden Versuch einer sinnvollen Industriepolitik aus und untergräbt das in der Nachkriegszeit aufgebaute System öffentlicher Dienstleistungen.

Seit der Bildung der neuen Regierung wurden italienische Anleihen en masse verkauft. Die „Risikoprämie“ gegenüber „sicheren“ deutschen Staatsanleihen stieg Anfang Oktober auf drei Prozent.

Gefahr für EU. Sollte die neue Regierung in Rom versuchen, aus diesen eisernen Käfigen auszubrechen, sind die Folgen anhand des griechischen Beispiels bereits absehbar: Kapitalflucht, stark steigende Zinsen und Bankpleiten. Die Europäische Zentralbank müsste sich mit einer rebellischen Regierung auseinandersetzen, die nur zwischen zwei Optionen zu wählen hätte: totale Kapitulation oder Rausschmiss aus der Eurozone. In Anbetracht der Größe der italienischen Wirtschaft, dem Präzedenzfall der Erniedrigung Griechenlands und der destabilisierenden Kraft des Brexit würde eine solche Entwicklung das Ende der EU in ihrer jetzigen Form bedeuten.

Gleichzeitig würde die finanzielle Instabilität Banken und Finanzmärkte weltweit erschüttern und auf die Probe stellen, inwieweit Regierungen und Zentralbanken noch in der Lage sind, eine Eskalation der Krise ein weiteres Mal zu verhindern. Dass politische Entwicklungen in Italien den nächsten weltweiten Finanzkollaps auslösen könnten, deutet darauf hin, dass wir uns nach einer jahrzehntelangen Ära der Finanzialisierung wieder auf dem Weg zurück zu einer politischen Ära befinden (vgl. auch Hauptartikel dieses Dossiers).

Copyright New Internationalist

Cédric Durand lehrt Volkswirtschaft an der Universität Paris-Nord und ist Autor des Buches „Fictitious Capital“.

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