Die Bücher danach

Von Rudi Lindorfer · · 2010/07

Fußball bringt die Menschen miteinander ins Gespräch, zum Beispiel über Lesestoff, meint der Buchhändler unseres Vertrauens. Er verrät hier, was er sonst seinen Mannschaftskollegen empfiehlt.

Ich bekenne, ich liebe Fußball, vor allem, wenn ich selbst spiele (mindestens ein Mal pro Woche), ob bei den Soccer Sissis, beim FC Hobby der Augustin-Verkäufer oder im Team der österreichischen Literaten-Nationalmannschaft. Bis zum Erscheinen dieser Südwind-Ausgabe werde ich sicher ein paar Spiele der Weltmeisterschaft gesehen haben, vor allem im Rahmen von Ke Nako Afrika. Ich werde Leute kennen gelernt haben, die ich, würde diese Meisterschaft nicht in Südafrika stattfinden, nicht getroffen hätte. Das ist das wirklich Interessante am Fußball: das Nachher! Das gesehene Spiel bietet einen leichten Anknüpfungspunkt und die Kommentare dazu legen gleichsam das Innere eines Menschen offen: Ist er fanatisch auf „sein“ Team eingeschworen? Anerkennt er das Bemühen, die guten Aktionen im Spiel des „Gegners“? Sieht er im Spiel das Gemeinsame oder nur besondere Einzelleistungen eines Stars? Interessiert ihn ein Land und seine Menschen oder nur dessen Fußballmannschaft?

Fußball ist auch Kommunikation, bei der sich Menschen aller sozialen Schichten treffen und das Herkunftsland keine Rolle spielt. Und: nicht nur bei den „Literaten“ wird über Bücher geredet. Ihr Inhalt, und hier rede ich nicht über Fußballbücher, kann zum Thema nach einem Spiel werden. Sei es nun, dass ich Amir, unserem persischen Mitspieler, von Shahriar Mandanipurs Roman „Eine iranische Liebesgeschichte zensieren“, erzähle, in dem ein Autor, der es leid ist, immer nur düstere Romane zu schreiben, einen Liebesroman zu schreiben versucht. Aber wie soll er das in einem Land anstellen, in dem es Liebenden verboten ist, sich alleine zu begegnen. Also muss er Listen erfinden, damit seine Verliebten sich finden und die erfüllte Liebe nicht den schwarzen Balken des Zensors zum Opfer fällt. Oder sei es Vikas Swarups „Immer wieder Gandhi“. Viele haben den Oskar-prämierten Film „Slumdog Millionär“, die Verfilmung seines Romans (das Buch ist unvergleichlich besser als der Film!), gesehen und so lässt sich leicht ein Bogen zu seinem neuen Buch schlagen, in dem Vikas Swarup die Korruption in der indischen Oberschicht auf spannende und zugleich ironische Weise aufzeigt. Und von Indien ist es quasi nur ein Schritt nach Bangladesch oder nach Pakistan.

Tahmima Anam erzählt am Beispiel einer Familie in „Zeit der Verheißungen“ das Entstehen des Staates, der aus Ost-Pakistan hervorging. Es ist eine Geschichte von Hoffnung auf Freiheit im Chaos eines unfassbar grausamen Krieges – eines Krieges, von dem die meisten meiner MitspielerInnen nicht einmal gehört haben. Und der heute als Bauer in Pakistan lebende Daniyal Mueenuddin webt in „Andere Räume, andere Träume“ rund um ein einflussreiches Mitglied der Landbesitzerklasse acht faszinierende Erzählungen, teils tragisch, teils humorvoll, auf alle Fälle aber mitreißend. Diese Lebensgeschichten verschiedener Menschen öffnen den Blick auf eine vielfältige Welt.

Und der Argentinier Ariel Magnus sei nicht allein wegen seines Mutes, einen humorvollen Roman – nämlich „Ein Chinese auf dem Fahrrad“ – zu schreiben, gelobt, sondern vor allem dafür, dass ihm eine der witzigsten Liebesgeschichten gelungen ist. Li wird wegen angeblicher Brandstiftung angeklagt. Bei der Gerichtsverhandlung nimmt er Ramiro als Geisel und entführt ihn ins Chinesenviertel von Buenos Aires. Hier wird er mehr als Gast denn als Gefangener behandelt und findet immer mehr Gefallen an der Zauberwelt der Kleinstläden, aber besonders an Yintai. Und – versprochen! – nur in diesem Roman stehen ein paar Zeilen über Fußball, über zwei Vereine in Buenos Aires: „Defensores de Belgrano“ ist der Club der Nazis, wie „Club Atlético Atlanta“ derjenige der Juden ist.“ Nun lande ich doch, ungewollt, bei der Instrumentalisierung des Fußballs; vielleicht wird es, wenn Sie diesen Text lesen, auch schon nationalistische und rassistische Ausschreitungen anlässlich der WM gegeben haben. Dabei ist Fußball das Spiel zur Verständigung. Womöglich nur dann, wenn man selber spielt?

Rudi Lindorfer ist Buchhändler bei Südwind-Buchwelt in Wien.

Daniyal Mueenuddin: Andere Räume, andere Träume
Suhrkamp, Berlin 2010; 293 Seiten; € 20,50

Vikas Swarup: Immer wieder Gandhi
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2010; 624 Seiten; € 23,60

Tahmima Anam: Zeit der Verheißungen
Insel, Berlin 2010; 318 Seiten; 1 20,40

Ariel Magnus: Ein Chinese auf dem Fahrrad
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2010; 252 Seiten; € 18,50

Shahriar Mandanipur: Eine iranische Liebesgeschichte zensieren
Unionsverlag, Zürich 2010; 320 Seiten; € 20,50
 

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