Die „Kultur der Hirsche“

Von Martin Jäggle · · 2018/Jul-Aug

Die Durchsetzung der „Kultur der Hirsche“ steht nun auch in Österreich auf der politischen Agenda, zum Teil von gesellschaftlichen Erwartungen getragen.

Die „Kultur der Hirsche“ ist die Kultur der Starken, der Stärkeren, der Sieger. Ihr Kennzeichen ist der permanente Kampf um die Rangordnung. Wer den Kampf verliert, wer sich nicht ein- und somit unterordnet, muss eben gehen, ein ganz natürlicher Prozess. Die „Kultur der Hirsche“ ist frei von Humanität. Das Prinzip ist klar: Die Starken, genannt die Leistungsfähigen, die es verdienen, zu stärken, die Schwachen, genannt die Leistungsverweigerer oder Minderleister, zu schwächen, weil sie es verdienen, und das Rudel, genannt das Volk, vor jeglichem Zuzug zu schützen.

Das Solidarprinzip wird unterminiert durch den Slogan „Nur wer eingezahlt hat, soll etwas bekommen“. Damit das menschliche Bedürfnis zu helfen nicht wirksam wird, werden Geflüchtete „konzentriert“ von der Gesellschaft ferngehalten und Verlierer unsichtbar gemacht, ob mit einem Alkoholverbot am Wiener Praterstern oder einem Bettelverbot in den Innenstädten. Zur Drangsalierung der Geflüchteten wird die Höhe der Mindestsicherung von Deutschkenntnissen abhängig gemacht, deren Erwerb möglichst erschwert oder gar verhindert wird durch reduzierten Kontakt zur Bevölkerung und Streichen von Deutschkursen.

Zurück zur Note. Rasch gilt es, Entwicklungen zur humanen Schule zu stoppen. Um die „Notenwahrheit“ (!) wieder herzustellen, muss ab der ersten Schulstufe nach Ziffernnoten beurteilt werden. Doch diese Form der Beurteilung gibt in Wahrheit wenig Information, ist unzureichend und ungerecht. Mit der „Notenwahrheit“ sollen Kinder sich selbst sortieren und sortiert werden können.

Die auf Förderung ausgerichteten, an 2/3 der Volkschulen gewissermaßen basisdemokratisch (Eltern und Lehrpersonen müssen zustimmen) eingeführten alternativen Formen der Leistungsbeurteilung sollen konterkariert werden.

So wird an den Schulen gestärkt, was der deutsche Pädagoge Fritz Bohnsack „Moral der Hirsche“ nennt. Sie dominiert ohne Gewissensbisse, fördert Konkurrieren, orientiert am eigenen Vorteil und favorisiert einen Menschentyp, zu dessen individueller Profilierung die Aberkennung von Erfolgen für andere gehört. Das unterminiert eine humane Charakterbildung, distanziert von Krankheit und Schwäche und ist bereit, Abweichler zu kreuzigen. Doch die „Humanität einer Gesellschaft und die Humanität einer Schule zeigt sich in ihrem Umgang mit Schwäche. Die Humanität eines Menschen zeigt sich in seiner Fähigkeit, die eigenen Schwächen und die anderer zu akzeptieren“.

Gegeneinander. Um die gesellschaftlichen Exklusionsdynamiken zu verstärken und ihren Grundwasserspiegel an Humanität zu senken, wird, wer zu wenig Deutsch kann, ab kommendem Herbst in der Schule sanktioniert und in sogenannte „Deutschförderklassen“ aussortiert. Aber wer Vielfalt bekämpft, schwächt auch die Menschenrechte. Statt den Zusammenhalt einer Gesellschaft der Vielfalt zu fördern, wird das Gegeneinander gestärkt.

Noch 2016 zielte die österreichische Bildungsreform zur Umsetzung der „Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“ (2016!) „auf Chancengerechtigkeit beim Bildungszugang, auf Individualisierung, Inklusion“, um „allen Kindern die gleiche Chance auf beste Bildung zu geben“.

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