ťDie Pyramiden in ein Disneyland verwandelnŤ

Von Dario Azzellini · · 2001/03

Paco Ignacio Taibo II stellt Überlegungen zur politischen Wende in Mexiko und ihre möglichen Auswirkungen auf die Kulturpolitik des Landes an. Das Gespräch mit dem spanisch-mexikanischen Erfolgsautor führte SÜDWIND-Mitarbeiter Dario Azzellini.

Südwind: Nach über 70 Jahren Herrschaft der Staatspartei PRI – der „Institutionellen Revolutionären Partei“ – gewann in Mexiko erstmals ein Kandidat der Opposition die Präsidentschaftswahlen …

Taibo: Ja, aber zunächst muss gesagt werden, dass es sich hier um einen ganz besonderen Wechsel handelt: Jene, die ihn verursacht haben, haben nicht gewonnen. Dieser Wechsel ist das Ergebnis von 20 Jahren sozialer Kämpfe und eines von der Linksopposition unter Cuauthemoc Cárdenas angeführten Wahlbündnisses. Das hat den Spielraum der PRI langsam untergraben und zerstört. Und plötzlich taucht ein konservatives Mitte-Rechts-Projekt, das alle programmatischen Fahnen der Linken an sich reißt, als Sieger dieses Prozesses auf!
Wir haben hier also eine Regierung, deren Grundlage ein Berg von Versprechen ist. Sie haben die Programme der Linken, der PRI und von allen anderen ausgeschlachtet und einfach alles versprochen, um einen gesellschaftlichen Konsens zu erzielen: die Korruption zu bekämpfen, das Land zu redemokratisieren, politische Freiheiten zu gewährleisten, Frieden in Chiapas zu schließen, keine Privatisierungen vorzunehmen … Diese Versprechen stehen natürlich im Widerspruch zu den Grundlagen des neoliberalen Projekts, das sie eigentlich verfolgen.

Welche Bedeutung hat der Wahlsieg von Vicente Fox und seiner rechten PAN für den Kultursektor Mexikos?

Sie vertreten eine mittelmäßige Oligarchie, die nie Zugang zur großen Wirtschaftsmacht hatte, blockiert von der staatsfixierten PRI-Oligarchie. Der pervertierte Kapitalismus der PRI brach seine eigenen Grundregeln von Angebot und Nachfrage durch die enorme Korruption, den Machtmissbrauch usw. Wendet man diese Logik auf den Kulturbereich an, so entdeckt man hinter diesen Leuten einerseits ein ausgeprägtes Banausentum, mangelnde Initiative und eine geringe Vorstellungskraft.
Andererseits finden wir die neoliberale Logik, also das Vorhaben, den Staat und seine Kulturinterventionen so weit wie möglich zu reduzieren und den Kultursektor wirtschaftlich rentabel zu machen. Dabei hatte die neoliberale Logik ja schon in den letzten Jahren der PRI-Regierung Eingang gefunden und wichtige Infrastruktur zerstört: Eine Subventionierung von Theatern über die Sozialversicherung wurde zerschlagen, ebenso die staatlichen TV-Produktionen fürs Schulfernsehen, die gesamte staatliche Filmproduktion, das Vertriebsnetz für Bücher für Grundschullehrer und die staatlichen Buchverlage … Allerdings, und das ist das Interessante an der Geschichte, ist es nicht so leicht, etwas zu bekämpfen, das sich bei uns in 70 Jahren entwickelt hat: der Staat als Förderer und Anbieter von Kultur.

Gibt es eigentlich konkrete exemplarische Vorhaben?

Wenn es nach dem Willen des Finanz- und des Wirtschaftsministers ginge und es in ihrem Einflußbereich läge, dann würden sie die Pyramiden von Teotihuacan in ein Disneyland verwandeln. Sie wollen „Anthropologische Parks“ schaffen, die an das Hotelgewerbe gekoppelt sind. Aber das schafft einen schwer wiegenden nationalen Widerspruch, denn die Ausgrabungsstätten sind eine Art laizistische Pilgerstätte. Der gewöhnliche Mexikaner besucht das Museum von Chapultepec, die Pyramiden von Teotihuacan oder Chichenitza. Er folgt der Logik einer Begegnung mit den herausragenden Symbolen der Vergangenheit. Wenn privatisiert wird, Mauern gebaut werden und Eintritt verlangt wird, verursacht das Erregung. Es richtet sich gegen eine in der Bevölkerung weit verbreitete Tradition. In dieser Hinsicht müssen sie also sehr vorsichtig sein.

Wie groß ist der Einfluss reaktionärer Kräfte in der neuen Regierungspartei?

Der Foxismus hat im ganzen Land Hunderte von konservativen und ultrakonservativen Vorstellungen, die aus der Gedankenwelt der PRI ausgeschlossen waren, wiederbelebt. Sie sehen die Regierung als ihr politisches Projekt an. Ihre Vorstellungen sind mit dem Traditionalismus und reaktionären Teilen der katholischen Kirche verbunden.

Welches Gewicht hat die von der linksoppositionellen PRD gestellte Kommunalregierung in der Hauptstadt?

Diese ist ein Faktor, der das Panorama noch komplizierter gestaltet. Die PRD könnte eine kulturelle Alternative schaffen, die der staatlich propagierten Kultur entgegensteht. Ich habe jedoch meine Zweifel, weil im Regierungsprojekt des Bürgermeisters López Obrador kein besonderes Augenmerk auf Kultur gerichtet wird.
Es wird einen interessanten Prozess geben. Das Feld der Kultur wird einer der Bereiche sein, in dem sich die ideologische Konfrontation, die Debatte zwischen zwei unterschiedlichen Sichtweisen am deutlichsten zeigen wird. Die eine ist neoliberal, konservativ, mit spärlichem Kunstverständnis, uneinheitlich und von der Bürokratie und ihrem Willen, nicht zu viel Aufsehen zu erregen, bestimmt; die andere ist verbunden mit den radikalen intellektuellen Sektoren, und diese sind sehr kämpferisch. Das wird lustig werden. Wir werden in den nächsten Monaten einen Schlagabtausch nach dem anderen erleben.
Ich glaube, die Vorstellung, dass Kultur ein Recht ist, hat sich schon durchgesetzt. Die mexikanische Hauptstadt ist ein wunderbares Schlachtfeld für kulturelle Auseinandersetzungen. Hier sind fünfundzwanzig- bis dreißigtausend Kulturschaffende konzentriert. Viele von ihnen haben jahrelang gekämpft, und sie werden ihren Freiraum nicht aufgeben. Und sie sind sich bewusst, dass ihr Raum der einer wechselseitigen Beziehung mit den Konsumenten von Kultur, mit dem Publikum und den Intellektuellen ist.

Ich kann keine einheitliche Kulturpolitik der neuen Regierenden erkennen. In den Vorstädten von Mexiko Stadt zum Beispiel organisiert die Jugendorganisation der PAN jedes Wochenende Punk- und Hardrock-Konzerte auf Fußballplätzen …

Ja, der Foxismus ist keine homogene Angelegenheit, er ist ein Konglomerat aus Elementen, die an die Oberfläche gekommen sind, als der Unrat umgerührt wurde. Ich war gerade kürzlich in Baja California, im Norden Mexikos, und habe dort eine Debatte organisiert, danach habe ich noch eine Pressekonferenz gegeben und den dortigen Kulturminister als Faschisten bezeichnet. Der Typ hatte ein Regelwerk für die Mittelschulen verabschiedet, in dem den Jugendlichen verboten wurde, sich die Haare zu färben, kurze Röcke oder hohe Absätze zu tragen, die Augenbrauen zu enthaaren und einiges mehr. Sie hatten schon drei Jugendliche von einer Schule geschmissen.
Ich bin also hin und habe gesagt, dass das gegen die Verfassung verstößt und was sie denn mit mir machen würden, wenn ich mir die Haare grün färbte? Es entstand eine breite Debatte unter Beteiligung von Lehrern und Intellektuellen. Die Reaktion des Kulturministers des Bundesstaates wurde auf den Titelseiten der Zeitungen gebracht: Er beschwichtigte, es sei ja nicht so schlimm und wir sollten uns beruhigen. Der Mann hatte nicht die mindeste Sensibilität, um zu verstehen, dass Identitätssymbole für Heranwachsende grundlegend sind. Wenn du sie beschneidest, wenn du die Elemente der Rebellion ausradierst, dann bildest du unterwürfige Jugendliche heran.

Arbeiten Sie momentan an einem neuen Roman?

Die letzten Monate seit meiner Rückkehr von der „Semana Negra“, dem Kulturfestival, das ich alljährlich im spanischen Gijon organisiere, habe ich an einem Roman gearbeitet, der schon relativ weit gediehen ist. Er wird den Titel „Wir kehren zurück wie Schatten“ tragen.

Worum geht es darin?

Um mexikanischen Kaffee. Hitler, der sich morgens Koffein spritzt, Irrenhäuser, den betrunkenen Hemingway, der plötzlich im Golf von Mexiko auftaucht, Nazis im mexikanischen Kaffeeanbaugebiet, korrupte Innenminister, die sich auf ein großes Geschäft vorbereiten, Graham Greene als deutschen Spion … Ich werde ihn im März beenden und Ende des Jahres in Europa veröffentlichen.


Zur Person

Paco Ignacio Taibo II wurde 1949 in Gijon, Spanien, geboren und lebt seit 1958 in Mexiko-Stadt. Er ist Journalist, Universitätsdozent, Historiker und Schriftsteller. Bekannt sind vor allem seine Kriminalromane des Antihelden Belascoarán, der intrigenreiche Politkrimi „Vier Hände“, die vor wenigen Jahren veröffentlichte Biografie Che Guevaras und das Buch über die Zeit des Che im Kongo.
Gegenwärtig sind sieben Titel von Paco Taibo II in deutscher Übersetzung erhältlich; sie sind vor allem bei Edition Nautilus und im Verlag Libertäre Assoziation erschienen.

Basic

Berichte aus aller Welt: Lesen Sie das Südwind-Magazin in Print und Online!

  • 6 Ausgaben pro Jahr als Print-Ausgabe und/oder E-Paper
  • 48 Seiten mit 12-seitigem Themenschwerpunkt pro Ausgabe
  • 12 x "Extrablatt" direkt in Ihr E-Mail-Postfach
  • voller Online-Zugang inkl. Archiv
ab € 25 /Jahr
Abo Abschließen
Förder

Mit einem Förder-Abo finanzieren Sie den ermäßigten Abo-Tarif und ermöglichen so den Zugang zum Südwind-Magazin für mehr Menschen.

Jedes Förder-Abo ist automatisch ein Kombi-Abo.

84 /Jahr
Abo Abschließen
Soli

Mit einem Solidaritäts-Abo unterstützen Sie unabhängigen Qualitätsjournalismus!

Jedes Soli-Abo ist automatisch ein Kombi-Abo.

168 /Jahr
Abo Abschließen