Die Stadt der Frauen

Von Werner Hörtner · · 2000/06

Irgendwo im südlichen Mexiko, am Golf von Tehuantepec, liegt eine Stadt, die anders ist, anders als die Städte in Mexiko oder in Lateinamerika oder sonst wo auf der Welt. Festgebaute und wohlernährte Frauen in knallfarbenen Röcken und buntbestickten Blusen beherrschen das Straßenbild und den Markt, stolzieren hoch aufgerichtet zwischen den Ständen voller Früchte und Meerestiere oder sitzen selbstbewusst und stämmig daneben, auf Kundschaft wartend. Die Frauen be“herr“schen die Wirtschaft, sie beherrschen das öffentliche Leben – die Männer sind Bauarbeiter oder Lastwagenfahrer und die Herren im Rathaus. Ihre politische Macht ist jedoch eher formeller Natur, hält sich in engen Grenzen.

Ja, von Juchitán ist die Rede, der Stadt mit den starken Zapotekinnen, Gegenstand vieler anthropologischer Untersuchungen als eine der letzten Oasen des Matriarchats, und zwar eines sehr gut funktionierenden Matriarchats. Die deutsche Ethnologin und Soziologin Veronika Bennholdt-Thomsen, die in Mexiko studierte und später immer wieder zu Forschungsaufenthalten dorthin zurückkehrte, gab vor sechs Jahren im Rowohlt Verlag ein vielbeachtetes – leider bereits vergriffenes – Taschenbuch über die „Stadt der Frauen“ heraus. Nun ist bei Frederking & Thaler ein Bildband zu Juchitán erschienen, ebenfalls von Bennholdt-Thomsen – zusammen mit der Journalistin Mechthilf Müser und der Fotografin Cornelia Suhan – herausgegeben.

In kräftigen und farbenprächtigen Bildern sind die stolzen Juchitecas wiedergegeben, bei der Arbeit am Markt, im Gasthaus, in der Familie, beim Plaudern – und bei den Festen. Denn die Frauen von Juchitán lieben es, zu feiern, zu tanzen und zu lachen. Ihre Sinnlichkeit, die schon Frida Kahlo bewundert hat, wird bei uns jedoch als sexuelle Freizügigkeit missverstanden, Juchitán als Insel der Promiskuität fehlinterpretiert. Vor einigen Jahren schrieb eine französische Journalistin für die Zeitschrift „Elle“ eine fetzige Reportage über die freizügigen Juchitecas. Diese verklagten daraufhin die Zeitschrift. Der Vergleich lautete, dass „Elle“ eine neue Reportage in Auftrag geben musste – diesmal unter Aufsicht eines Frauenkomitees von Juchitán.

Die Texte von Bennholdt-Thomsen und Müser sind – mit den dazu passenden Fotos – thematisch gegliedert: Markt, Handel, Kindheit und Jugend, Feste, religiöse Feiern usw. Und auch ein Kapitel über eine weitere Besonderheit von Juchitán darf nicht fehlen: die Musches – Männer, die als Frauen auftreten – und die Marimachas – lesbische Frauen im Männer-Outfit.

Ein Buch, das beim Lesen und beim Betrachten Freude bereitet, etwas mitteilt und auch abgibt von der Kraft und Lebensfreude der Juchitecas – und das bei aller Sinnlichkeit auch nachdenklich machen kann und soll. Nachdenklich über diesen alternativen Lebensentwurf der Juchitecas, der auch ein wirtschaftlich gut funktionierendes System enthält.

Veronika Bennholdt-Thomsen, Mechhild Müser, Cornelia Suhan: FrauenWirtschaft. Juchitán – Mexikos Stadt der Frauen. Verlag Frederking & Thaler, München 2000. 142 Seiten, zahlreiche Farbabbildungen, öS 437,-.

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