Eine bestechend einfache Idee

Von Brigitte Pilz · · 2005/05

Der Faire Handel feiert heuer in Österreich seinen 30. Geburtstag. Seit den Anfängen hat sich die Szene verzweigt und verästelt. Ihr Tatendrang ist ungebrochen, beflügelt von positiven Bilanzen und zunehmender Beliebtheit.

Sie kam aus Holland zu uns. Und obwohl sie dort die Probe aufs Exempel bereits bestanden hatte, sagten ihr nur die größten Optimisten ein langes und gutes Leben voraus. Im Grunde ging es um die Realisierung einer bestechend einfachen Idee: direkter Einkauf bei Produzentengruppen in armen Ländern des Südens, Ausschaltung des Zwischenhandels und ein attraktives Angebot für Konsumentinnen und Konsumenten hier bei uns. 2005 wird die erste österreichische Importorganisation für Fairen Handel, die EZA (Entwicklungszusammenarbeit mit der Dritten Welt Ges.m.b.H.), 30 Jahre alt.
In den drei Jahrzehnten ihres Bestehens gab es natürlich auch Krisensituationen und Einbrüche. Doch seit längerem geht es beständig aufwärts: 85% Umsatzsteigerung in den letzten vier Jahren und 9,1 Mio. Euro Umsatz im Jahr 2004 machten einen Neubau nötig. Im September wird von Lengfelden nach Weng am Wallersee übersiedelt. „Gezielte Verbesserung der Produktpalette, maßgeschneiderte Angebote für Kunden und die internationale Vernetzung der Importorganisationen sind einige der Gründe für den Erfolg“, meint Andrea Schlehuber, seit sechs Jahren als Geschäftsführerin der EZA in ihrem Traumjob tätig. Drei gleich starke Standbeine machen das Unternehmen weniger krisenanfällig: je ein Drittel Kaffee (früher 50% des Umsatzes), andere Lebensmittel (Kakao, Schokolade, Zucker, Honig, Reis, Gewürze etc.) und Handwerk. „Das bringt vor allem den Produzenten Sicherheit“, freut sich Schlehuber. „Die Kaffeebauern können zur Not an die Coyoten (ausbeuterische Zwischenhändler Anm.) verkaufen. Die Produzenten des Handwerks nicht. Wenn der lokale Markt nichts aufnimmt, haben sie keinen weiteren Absatzkanal.“
Handwerk war viele Jahre ein Sorgenkind des Fairen Handels. Defizite beim Design und zu lange Produktzyklen führten zwischenzeitlich zu Umsatzrückgängen. Wenn man heute einen Weltladen wie jenen in Wien, Lichtensteg, betritt oder jenen in Linz oder den ersten in einem Einkaufszentrum, im Citypark in Graz, staunt man nicht nur über die geschmackvolle Ausstattung. Auch das Angebot ist sehr attraktiv: wunderschönes Kunsthandwerk von Schalen aus Bambus mit Perlmuteinlagen, über Skulpturen aus Holz und Speckstein, Schmuck aus Halbedelsteinen, Metallen, Holzperlen, Muscheln bis hin zu Gläsern, Porzellan, Keramik, Lederwaren, Alpaca-Pullover, Seidenschals, Heften und Schreibbüchern aus handgeschöpftem Papier. Auf Anhieb lassen sich Geschenke für alle möglichen Anlässe finden. Schlehuber: „Wenn wir hochwertige Produkte, die man nicht überall finden kann, in einem schönen Laden professionell anbieten, sind die Kunden bereit, einen höheren, fairen Preis zu bezahlen.“
Die Entwicklung des Designs war für die Produzentengruppen eine riesige Herausforderung. „Früher haben wir einen Container Fußabstreifer bestellt und sie nach und nach verkauft“, sagt Andrea Schlehuber. „Heute brauchen wir alle drei Monate ein neues attraktives Produkt im Laden.“ Die ErzeugerInnen erhalten zwar Beratung und Rückmeldung von den Importeuren, doch sie sind inzwischen selbst vernetzt und informieren sich über neue Trends und Moden. Ein Vorteil der Globalisierung.

Kongeniale Partner der EZA sind in Österreich die Weltläden. Aus vielen kleinen lokalen Initiativen sind 81 „Fachgeschäfte für Fairen Handel“ gewachsen. Der Gesamtumsatz der Weltläden in Österreich machte 1992 2,9 Mio. Euro aus, 2004 waren es etwa 8,4 Mio. Euro. Die Vernetzung der Weltläden in einer Arbeitsgemeinschaft (ARGE Weltläden) hat eine beeindruckende Professionalisierung bewirkt. Ein gemeinsames Logo wurde gefunden, die ansprechende Gestaltung der Geschäfte nach und nach umgesetzt und Fortbildung für MitarbeiterInnen angeboten. Viel vom heutigen Erfolg der Weltläden ist auch engagierten Einzelpersonen zu danken. Eine davon ist Maria Szentpetery, die über Jahre in Linz den Laden geleitet und immer weiter professionalisiert hat: „Mir war daran gelegen, aus der Schmuddelecke mit Alternativtouch rauszukommen. Den Weltladen in Linz zum größten in Österreich gemacht zu haben, darauf bin ich schon stolz.“
Ihr Credo ist heute allgemein akzeptiert: Jeder Laden braucht einen gewissen Umsatz, und er braucht zumindest eine angestellte Person für den Verkauf. „Das Zurückdrängen von Freiwilligen muss damit nicht einher gehen“, meint Ernst Gassner, selbst ehrenamtlich als Vorsitzender der ARGE Weltläden tätig. Es gebe rund um den Laden genug zu tun, wofür das Geld fehle. Die Bildungsarbeit geschieht nicht nur im direkten Kontakt mit den KundInnen im Geschäft selbst. Jedes Jahr wird rund um den Weltladen-Tag ein Thema mit Veranstaltungen, Schulprojekten, Medienarbeit etc. in der Öffentlichkeit lanciert, etwa „Land macht satt“ zu Landreform oder „Made in Dignity“ für Sozialstandards in der industriellen Produktion. Heuer startet man – wie auch schon in den letzten Jahren international von NEWS (Network of European World Shops) vorbereitet – die Kampagne gegen Kinderarbeit „Stand up for their Rights!“.
Die Weltladen-Bewegung ist sicher derzeit eine der lebendigsten entwicklungspolitischen Initiativen in Österreich. Etwa 150 Menschen treffen sich dreimal jährlich zur Weltladen-Konferenz. Pert Helm, langjähriger Geschäftsführer von Südwind-Buchwelt und damit auch der dort integrierten Weltläden: „Die ARGE bietet den Akteurinnen und Akteuren Möglichkeiten, Perspektiven über das nächste Weihnachtsgeschäft hinaus zu entwickeln.“
Neben der EZA und den Weltläden hat sich die Szene des Fairen Handels verzweigt und verästelt.

„Jessas, was tuat da Bua“, haben die Eltern gesagt. Und die Freunde meinten: „In sechs Monat‘ wird er eh wieder normal.“ Das war vor 18 Jahren. Damals hat Karl Pirsch die Wut über die Ungerechtigkeit im Welthandel gepackt. Gemeinsam mit seiner Frau Marianne und dem heutigen zweiten Geschäftsführer Gerhard Lechner wurde begonnen, in einem Kleinbus fair gehandelte Waren zu verkaufen, Startkapital 5.000,- Schilling. „Der erste Inventurbestand hat in einem Zirbenkasten Platz gehabt“, erinnert sich Karl. Heute macht die „Eine Welt Handel AG“, Leoben, einen Jahresumsatz von drei Millionen Euro. Die Aktiengesellschaft hat man gewählt, um an Kapital zu kommen. Man begann, selbst von kleinen Produzentengruppen zu importieren, derzeit etwa 75% Handwerk. Bei fairen Korbwaren ist die Firma Nummer Eins in Österreich.
Von Anfang an wurde der Kontakt zum „normalen“ Handel gesucht. Türöffner war die Familie Essl mit ihren Baumax-Märkten, wo Gerhard Lechner zuvor tätig gewesen war. Heute zählen andere Große wie Leiner/Kika zu den Kunden. Im Vorjahr hat man Spar angeboten, die Plastikkübel, in denen je 5 kg steirische Äpfel angeboten wurden, durch Weidenkörbe aus Bosnien zu ersetzen. 30.000 Körbe wurden bei dieser Aktion abgesetzt.
Die „Eine Welt Handel AG“ führt drei eigene Geschäfte und zehn Franchiseläden, die von der Firma auch unterstützt werden. „Es ist für viele Platz im Fairen Handel“, meint Karl Pirsch. „Ein wenig Konkurrenz spornt an.“ Deshalb hält er nichts vom Gentlemen-Agreement der in der EFTA (European Fair Trade Association) zusammengeschlossenen elf Importorganisationen: Man konkurrenziert sich nicht im Land des anderen. Die EZA verkauft, obwohl in Salzburg angesiedelt, nicht ins nahe Bayern oder die Schweizer claro nicht nach Vorarlberg. „Da sollten wir schon noch weiterdenken“, meint auch Ernst Gassner. „Es ist etwa nicht sinnvoll, für ein Produkt jeweils eigene Landesverpackungen zu haben.“
Eine andere Initiative agiert von Oberösterreich aus erfolgreich: Die „Cona Entwicklungs- und Handelsges.m.b.H.“ hat sich auf faire Importe vornehmlich von Handwerk aus Nicaragua und El Salvador konzentriert. Dabei wird auf die Betreuung der Produzentengruppen im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung großer Wert gelegt. In den letzten Jahren hat Cona Solartrockner entwickelt. Mehrere hundert Anlagen stehen heute in Mittelamerika und in Österreich. Solare Trocknung ist für Früchte, Kräuter, Gewürze, Mais, Bohnen, Holz, aber auch für Biomasse bestens geeignet. Und für Kaffee: Rund 10% des Orgánico werden bereits solar getrocknet.

Irgendwann wollten ein paar Querdenker die selbst auferlegten Schranken des Fairen Handels nicht mehr akzeptieren. Im Kampf Davids gegen den „normalen“ Welthandel Goliath gibt es genug andere Hürden. „Hinein in den Supermarkt“, hieß die Devise. Auch diesmal sprang der Funke aus Holland über.
Ein Siegel oder Label kennzeichnet in einem Supermarkt oder sonstigem Einzelhandelsgeschäft sozialverträglich produzierte und fair gehandelte Produkte. FLO (Fair Labeling Organisation), die internationale Vereinigung von Siegelinitiativen, führt ein Register von Produzenten und sorgt durch ein gefinkeltes Kontrollsystem für die Einhaltung der Kriterien. Lizenznehmer – das sind sowohl Kaffeeröster als auch Supermarktketten oder Importorganisationen des Fairen Handels – kaufen direkt bei diesen Produzentengruppen zu den von den Label-Initiativen ausgehandelten Preisen und Konditionen. Die nationalen Siegel-Initiativen wie Fairtrade Österreich (früher TransFair) sorgen für immer mehr Lizenznehmer und die Verbreitung der Idee des Fairen Handels.
Bei fairen Teppichen läuft es anders: Die Initiative STEP, vor zehn Jahren in der Schweiz gegründet, besiegelt Handelsunternehmen (in Österreich bereits über 30), die sich verpflichten, handgefertigte Teppiche ausschließlich aus kontrollierter, sozialverträglicher Produktion zu beziehen.
Das Flower-Label-Programm wiederum fördert die menschenwürdige und ökologische Produktion und Vermarktung von Blumen aus dem Süden, die besonders in den Wintermonaten unser Auge und Herz erfreuen. Es wurde in Deutschland von FIAN (FoodFirst Informations- & Aktionsnetzwerk) mit Partnern gegründet. In Österreich verkaufen bereits über 50 Geschäfte faire Blumen.

Zurück zu Fairtrade Österreich: 1993 gegründet, wird die Organisation von einer ganzen Reihe sozialer Einrichtungen getragen, denn die Lizenzeinnahmen werden noch lange nicht für eine ausgeglichene Bilanz sorgen können. Die Öffentlichkeitsarbeit wird durch die ÖEZA (Österreichische Entwicklungszusammenarbeit im Außenministerium) finanziell gefördert, weil sie – wie das Europäische Parlament auch – den Fairen Handel als wirkungsvolle Entwicklungszusammenarbeit sieht. Und tatsächlich kann man einerseits sagen: Einstellige oder auch zweistellige Prozentanteile von fairen Produkten am Welthandel sind eine kleine Nische. Auf der anderen Seite konnten bereits viele Millionen Menschen durch den Fairen Handel ihre Lebenssituation verbessern.
Am Anfang war der Widerstand gegen Siegelinitiativen von Seiten der Weltladenbewegung – obwohl ihre Dachorganisation Gründungsmitglied war – doch beträchtlich, erinnert sich Pert Helm. Das ist die Verwässerung unserer Idee, hieß es etwa. Oder: Damit begibt sich der Faire Handel unter das Diktat des ungerechten Welthandels. Die Supermärkte werden die Früchte unserer Bildungsarbeit ernten, und bei uns werden die Umsätze in den Keller rasseln. Die großen Einzelhandelsketten haben zweifellos mehr Möglichkeiten bei der Preisgestaltung: Spar etwa bietet inzwischen bei Kaffee von seiner Eigenmarke Regio eine fair-besiegelte 500g-Packung um Euro 2,99 an, während der faire Kaffee ansonsten mindestens Euro 4,99 kostet.
Trotzdem zeigt sich, dass – natürlich je nach Standort eines Geschäfts – mehrere Verkaufsschienen nebeneinander bestehen können. Die Weltläden haben ihr Sortiment – besonders im Handwerksbereich – stark erweitert. Der Supermarkt bietet Lebensmittel, allen voran Kaffee und Bananen. Kleinere Einzelhandelsgeschäfte, Bio-Läden etc. diversifizieren bei den fairen Lebensmitteln.
Je erfolgreicher der Faire Handel ist, umso größer ist allerdings die Gefahr von Trittbrettfahrern. Derzeit bietet Billa/Merkur in der Ja!Natürlich-Schiene einen Hochlandkaffee aus Ecuador an, der biologisch und sozialverträglich produziert sein soll. Ein ähnliches Beispiel gibt es bei Orangensaft. Barbara Studeny, seit kurzem Geschäftsführerin von Fairtrade Österreich: „Das Problem ist, dass der Konzern auf Selbstkontrolle besteht. Doch wir wollen mit ihm auf jeden Fall im Gespräch bleiben.“
Das faire Geschäft steckt über weite Strecken in den „Mühen der Ebene“. Dann wieder beflügeln Erfolge. Wenn etwa die Mensen aller Universitäten Österreichs auf faire Produkte umsteigen oder das Lebensministerium. Wenn die kleine, aber feine Schokoladen-Firma Zotter beschließt, ihre Köstlichkeiten nur noch mit fairem Kakao und Zucker herzustellen. Dann kann man schon zu träumen beginnen: „Die Kaffeefirma Illy zu gewinnen, wäre eine Supersache“, sagt Barbara Studeny. Und Ernst Gassner: „Wenn uns der Spagat zwischen Chiquita und fairen Bananen gelänge, dann wären wir wahrlich aus der Nische heraußen.“


Buchtipp:
Brigitte Pilz: Zum Beispiel Fairer Handel, Reihe Süd-Nord, Lamuv Verlag, Göttingen 2001,
144 Seiten, Euro 8,30

Nähere Informationen zu Initiativen des
Fairen Handels in Österreich finden Sie
auf den folgenden Websites:
ARGE Weltläden: www.weltlaeden.at
CONA: www.cona.at
Eine Welt Handel AG: www.eine-welt-handel.com
EZA3Welt: www.eza3welt.at
Fairtrade: www.fairtrade.at
FIAN: www.fian.at/blumen/index.htm
STEP: www.label-step.org

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