Ende in Sicht

Von Benjamin Dürr · · 2011/11

Von der Weltöffentlichkeit kaum beachtet neigen sich die Phosphor-Vorkommen dem Ende zu. Die Folgen eines Phosphormangels wären für die Welternährung dramatisch – denn Phosphor ist wichtiger Bestandteil von Düngemitteln.

Marokko hat den Schatz im Boden. In kaum einem anderen Land sind die Phosphor-Vorräte so groß. Die Hälfte der weltweiten Vorkommen wird in Marokko vermutet – damit bekommt das Land gewaltige Macht. Denn Phosphor wird weltweit knapp. Das Element taucht in der menschlichen DNA auf, in Knochen, in Zellen. Pflanzen brauchen Wasser, Licht – und eben Phosphor. Denn „P“ ist wesentlicher Bestandteil von Adenintriphosphat (ATP) und liefert die Energie für viele Prozesse in Pflanzen. Nach diesem Prinzip funktionieren herkömmliche Düngemittel: mehr Phosphor, mehr Wachstum. Doch durch den intensiven Phosphorabbau für Düngemittel wird dieses Mineral nun schneller verbraucht als es durch geologische Kreisläufe wieder verfügbar gemacht werden kann.

Eine Verknappung von Phosphor trifft deshalb zuerst die Landwirtschaft. Steigende Preise, ein Mangel an Dünger gar hätten dramatische Folgen für die Welternährung. Hungersnöte könnten eine Folge sein. Bisher gibt es dazu nur wenige Untersuchungen. „Peak Oil“ – der Zeitpunkt zu dem das globale Ölfördermaximum erreicht ist – und das Ende des Erdöls dominieren die Debatten. Der Wissenschaftler Arno Rosemarin sucht am Umwelt-Institut Stockholm Lösungen für die Zeit nach dem „Peak Phosphorus“. Er schätzt, dass die Phosphor-Vorkommen noch 235 Jahre reichen würden. „Theoretisch und bei heutigem Bedarf“, erklärt Rosemarin. „Aber wenn man das Bevölkerungswachstum einbezieht, kommt man auf 172 Jahre.“ Werde in Afrika die Landwirtschaft intensiviert, gebe es nur noch 126 Jahre Phosphor; und wird der Bedarf an Agro-Kraftstoffen größer, sogar nur noch 48 Jahre. Andere WissenschaftlerInnen rechnen schon innerhalb weniger Jahrzehnte mit dem Phosphor-Ende. Wie lange die Vorkommen reichen, ist umstritten.

„Peak Phosphorus ist aber auch gar nicht der Kern des Problems“, meint Arno Rosemarin. „Die Herausforderung wird die Lebensmittelproduktion sein.“ Geht man davon aus, dass die Welt weiterhin von ungleichen und ungerechten Wirtschaftsbeziehungen und ungleicher Ressourcenverteilung geprägt bleibt, muss man die Prognose der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) ernst nehmen: Um alle Menschen ernähren zu können, muss sich die Produktion bis 2050 verdoppeln. Die UN-Organisation setzt deshalb auf Ertragssteigerung, Effizienz und Düngemittel: Die Nachfrage nach Phosphor-Dünger wird in den nächsten drei Jahren von 39 Millionen Tonnen (Jahr 2010) auf 44 Millionen Tonnen steigen, so die FAO.

Voraussetzung dafür ist, dass immer neue Minen erschlossen werden. Phosphor wird als Phosphat-Verbindung in der Erde abgebaut. Neben den Lagerstätten in Afrika – vor allem in Marokko und der marokkanisch besetzten Westsahara – wird Phosphor auch in China, USA und Südafrika gewonnen. Allerdings bleibe in wenigen Jahren nur noch Marokko als wichtiges Förderland übrig, erklärt Arno Rosemarin. An anderen Orten sei der Abbau dann technisch und wirtschaftlich zu aufwendig.

„Ohne Phosphor würde kein Leben existieren“, sagt Christian Nolte, Mitarbeiter der FAO in Rom. Wenn wir alle Vorräte geplündert hätten, blieben dem Menschen deshalb zwei Möglichkeiten: „Erstens, wir finden Ressourcen auf einem anderen Planeten“, meint Nolte augenzwinkernd. „Oder wir recyceln existierenden Phosphor.“

Er bevorzuge die zweite Möglichkeit, „und mit tierischen Ausscheidungen geschieht das ja bereits – nur mit denen des Menschen nicht mehr“. Früher hat die Landwirtschaft einen Kreislauf geschaffen: Von den Pflanzen gelangte Phosphor in die Körper von Kühen und Schweinen; über tierische und pflanzliche Produkte nahm der menschliche Körper den Stoff auf. Die Exkremente und der darin enthaltene Phosphor wurden als Dünger zurück auf die Felder gebracht. In manchen Ländern läuft Landwirtschaft noch so; Bäuerinnen und Bauern düngen mit Abwasser ihre Felder.

Die starke Industrialisierung und die Verstädterung haben diesen Phosphor-Kreislauf allerdings gestört. Menschliche Ausscheidungen fließen heute über Kanalisation und Kläranlagen in Flüsse und Meere – damit ist der Phosphor unwiederbringlich verloren, weil er zu stark verteilt ist, um ihn zu fördern. Deshalb greifen ForscherInnen und Firmen in den Kreislauf ein: Sie wollen aus menschlichen Ausscheidungen Phosphor zurückgewinnen. „Technisch ist das nicht besonders aufwendig – es würde allerdings große Veränderungen unseres Sanitär-Systems bedeuten und bei den Menschen wohl moralisch-hygienische Fragen aufwerfen“, meint FAO-Experte Nolte.

Erfolge gibt es bereits: „Outotec“, ein finnisches Technologie-Unternehmen, hat die Recycling-Technik bereits weit entwickelt. Dabei wird Klärschlamm verbrannt. Der Asche wird eine Chemikalie beigefügt, das Gemisch stark erhitzt. Am Ende bleibt eine Phosphor-Verbindung, die als Dünger dienen kann. Seit sieben Jahren forschen der Deutsche Ludwig Hermann und sein Team an dieser Form des Phosphor-Recyclings. „Realistisch betrachtet kann man mit dem Klärschlamm vierzig Prozent der Importe nach Deutschland abdecken“, sagt Hermann.

Eine Herausforderung waren lange die Rückstände im Abwasser, beispielsweise von Arzneimitteln, Hormonen und Schwermetallen. Inzwischen gibt es Verfahren, die verhindern, dass diese Stoffe auf die Felder und damit in Lebensmittel gelangen. „Eine Schwierigkeit war außerdem, das Verfahren stabil und wirtschaftlich zu machen“, erklärt Hermann. Zurzeit warten sie auf die Entscheidung zweier möglicher Anwender. Die Wirtschaftskrise hat den Bau der ersten Anlage verhindert. 2012 aber könnte eine erste Phosphor-Recycling-Anlage gebaut werden.

Alternative Quellen gibt es nicht: Die synthetische Herstellung von Phosphor ist nicht möglich, ein Durchbruch gilt als äußerst unwahrscheinlich. Neben der Rückgewinnung muss die Menge des Phosphors reduziert werden, die ungenutzt verloren geht. „Nur zwanzig Prozent des geförderten Phosphors finden sich am Ende tatsächlich in Pflanzen wieder“, rechnet Arno Rosemarin vom Stockholmer Umweltinstitut vor. Der Rest gehe durch Erosion und ineffizienten Einsatz verloren.

Um die Verschwendung zu stoppen, will Rosemarin die Erosion vermindern, die Qualität des Bodens verbessern, Überdüngung abstellen. Außerdem seien Pflanzensorten nötig, die einen hohen Ertrag pro eingesetztem Kilogramm Phosphor liefern; genauso wie bessere Düngemethoden und -maschinen, auf die Natur abgestimmte Düngemittel und -zeiten.

Bio-Bäuerinnen und Bauern produzieren bereits nach ähnlichen Überlegungen: Sie düngen weniger und bringen statt Kunstdünger beispielsweise Kompost aus, in dem bereits der Phosphor der verrotteten Pflanzen steckt. Könnte biologische Landwirtschaft also eine Lösung für die Phosphor-Krise sein? „Das glaube ich nicht“, sagt Christian Nolte von der FAO. „Sie kann die Probleme nur abmildern.“ Das Problem sei, dass die Ernte-Erträge aus biologischem Anbau rund zwanzig Prozent geringer seien als bei herkömmlicher Bewirtschaftung. „Außerdem kommt auch die Bio-Landwirtschaft nicht ganz ohne Phosphor-Zusätze aus.“ Denn die Menge im Kompost beispielsweise reiche nicht aus, Phosphor müsse trotzdem noch zugesetzt werden.

Auch Stephen Jasinski vom „National Minerals Information Center“ der USA hält biologischen Anbau für keine Lösung. „Bio-Landwirtschaft wird die steigende Weltbevölkerung nicht ernähren können.“ Seine Abteilung bei der US-Geologiebehörde beschäftigt sich mit den Folgen einer Phosphor-Verknappung. Mit Phosphor-Dünger lagen die Ernte-Erträge im Jahr 2000 bei neun Tonnen Getreide pro Hektar. Ohne Düngung könnten sie auf vier Tonnen pro Hektar im Jahr 2100 fallen, schätzt er. Die Preise für Brot und Lebensmittel würden dann drastisch steigen, genauso die Zahl der hungernden Menschen weltweit. Dieses Szenario sei allerdings unwahrscheinlich. Dass die Preise für Düngemittel steigen, spüren Bäuerinnen und Bauern weltweit aber heute schon. Viele Kleinbäuerinnen und -bauern in Afrika können sich deshalb keinen Dünger mehr leisten; in Indien gab es an Verkaufsstellen bereits Ausschreitungen.

Die Phosphor-Verknappung hat nicht nur Folgen für Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion: „Es wird zu geopolitischen Verschiebungen kommen“, meint Jasinski. Laut seiner US-Behörde wurden im vergangenen Jahr 176 Millionen Tonnen Phosphor abgebaut – 87 Prozent der Vorkommen verteilen sich aber auf nur fünf Länder. Europa beispielsweise ist vollständig von Importen abhängig. China habe bereits einen Ausfuhr-Zoll von 135% eingeführt, die USA hätten in den 1990er Jahren Exporte ganz gestoppt.

Der Preis auf dem Weltmarkt ist 2010 innerhalb eines Jahres von rund neunzig US-Dollar pro Tonne auf 150 Dollar gestiegen, so die US-Behörde. Niemand weiß, wie sich der Markt entwickelt, wenn in ein paar Jahren nur noch wenige Länder Phosphor exportieren. „Ein Land wie Marokko bekommt dann geopolitisch viel Macht, weil es den wertvollen Stoff Phosphor besitzt“, schreibt Jasinski in einem seiner Artikel.

„Trotzdem ist Peak Phosphorus nicht so ein großes Problem wie die zu Ende gehenden Ölreserven“, sagt Stephen Jasinski. „Denn im Gegensatz zum Erdöl gibt es Möglichkeiten, Phosphor zurückzugewinnen.“ Öl gehe einfach in die Atmosphäre, Phosphor dagegen verschwinde nicht. „Er wandert nur vom einen Ort zum anderen.“

Benjamin Dürr arbeitet als Journalist u.a. für die Online-Ausgabe der deutschen Wochenzeitung „DIE ZEIT“ und schreibt über Menschen und Projekte in Afrika und Zentralasien.

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